Interpharm 2013

Depressiv oder "nur" ausgebrannt?

(cb). Prof. Dr. med. Volker Faust, Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie in eigener Praxis in Ravensburg, gab in seinem Festvortrag interessante Einblicke in zwei heute weit verbreitete Krankheitsbilder mit teilweise überlappenden Symptomen und stellte Möglichkeiten vor, sie voneinander abzugrenzen.
Prof. Dr. Volker Faust "Glücklicherweise bekommen wir meistens die Burn-out-Patienten, die nur etwas angekokelt sind, sodass man immer noch etwas machen kann."

Obwohl das Burn-out-Syndrom (engl.: to burn out = ausbrennen) heute in fast aller Munde ist, so Faust, sucht man es im Klassifikationssystem DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders), der von der American Psychiatric Association herausgegebenen "Bibel der Psychiatrie", vergebens. Sogar in der demnächst erscheinenden Neuauflage (DSM V) ist es nicht enthalten. Lediglich in der ICD-10 (International Classification of Diseases) der WHO, die die Grundlage der Abrechnung ärztlicher Leistungen mit den Krankenkassen bildet, wird man fündig: Burn-out wird dort – als letzte Ziffer – als ein Zustand chronischer Erschöpfung bezeichnet. Wie Faust berichtete, scheuen sich jedoch viele Psychiater immer noch, diese inzwischen weit verbreitete Störung anzuerkennen und ordnen sie vielfach den Depressionen zu.

Differenzialdiagnostische Abgrenzung

Dabei gibt es ganz fundamentale Unterschiede zwischen Burn-out und Depression, die sich am besten durch gezielte Fragen identifizieren lassen.

Auf der Ebene der alltagsrelevanten Symptome ist vor allem die Kernfrage "Können Sie sich noch freuen?" wichtig, die allerdings nach Fausts Erfahrung von den Behandlern viel zu selten gestellt wird. Ein Depressiver wird darauf mit einem klaren Nein antworten, während ein von Burn-out Betroffener bei gegebenem Anlass durchaus noch in der Lage ist, Freude zu empfinden.

Ein depressiver Patient kann sich nicht nur nicht mehr freuen, er hat auch das Interesse an Dingen verloren, die ihm vor seiner Erkrankung etwas bedeutet haben. Obwohl Niedergeschlagenheit auch typisch für das Burnout-Syndrom ist, wird ein Betroffener noch an seinen Hobbys oder Interessen festhalten, wenn auch mit etwas mehr Mühe.

Ebenfalls unterschiedlich fallen die Antworten auf die wichtige Frage "Wie fühlen Sie sich?" aus: der Depressive fühlt sich wie bei einer schweren Grippe, ist dauerhaft kraftlos, elend und zerschlagen, auch ohne vorherige körperliche Anstrengung. Burn-out-Patienten haben nicht dieses "Elendigkeitsgefühl", leiden eher unter Mattigkeit und chronischer Müdigkeit. Während bei einer Depression die Fähigkeit zum Treffen alltäglicher Entscheidungen nicht mehr vorhanden ist, können Burn-out-Patienten durchaus im Berufsleben Entscheidungen treffen, wenn auch eingeschränkt. Doch solange es noch geht, wird der Burn-out-Patient versuchen, beruflich eine Fassade aufrechtzuerhalten, erläuterte Faust.

Zwar kennt er auch das Gefühl, dass sich die Gedanken im Kreis drehen, bei depressiven Patienten sind "Gedankenkreise" jedoch immer zu finden.

Schlafstörungen und kognitive Einschränkungen

Ein wichtiger Unterschied besteht auch bei der Art der Schlafstörungen, unter denen Patienten mit beiden Krankheitsbildern leiden: Depressive klagen über "zerhackten Schlaf" und viel zu frühes Erwachen (oft bereits zwischen 2 und 4 Uhr morgens). Für das Burn-out-Syndrom sind dagegen vor allem Einschlafstörungen infolge des Gefühls, nicht zur Ruhe zu kommen, nicht abschalten zu können, typisch.


"Bei einem ‚Sechser‘ im Lotto sagt der Frustrierte: ‚Na wenigstens das‘, der Depressive dagegen: ‚Wozu, ich habe es nicht verdient, gebt das Geld denen, die es nötig haben.‘"


Prof. Dr. Volker Faust zur Differenzialdiagnose Frust – Depression.


Ganz entscheidende Unterschiede gibt es auch bei den kognitiven Defiziten, die sich bei beiden Störungen erkennen lassen: während sie sich bei der Depression am besten mit einer "Leere im Gehirn" beschreiben lassen, treten derartige Defizite beim Burn-out überwiegend am Arbeitsplatz auf. Ein Patient mit einer schweren Depression hat zudem sensorische Einschränkungen, er hört, riecht und schmeckt weniger als vor seiner Erkrankung. Diese Symptome kennt der Burn-out-Patient nicht.

Sexuelle Probleme beginnen bei Depression bereits einige Zeit vor Auftreten der depressiven Symptome und bleiben auch nach der Heilung noch einige Zeit bestehen. Der Burn-out-Patient hat nicht vordergründig mit sexuellen Problemen zu kämpfen, obwohl sie auch eine gewisse Rolle spielen können, erläuterte Faust.

Bei den körperlichen Beschwerden besteht auch ein Unterschied beim Symptom Druckgefühl auf der Brust, das typisch für Depressionen ist, beim Burn-out jedoch keine Rolle spielt.

Darüber hinaus ist der Depressive belastet durch Minderwertigkeitsgefühle, Unsicherheit, er fühlt sich wertlos, ist ohne jegliches Selbstbewusstsein. Letzteres ist beim Burn-out-Patienten oberflächlich betrachtet nicht vorhanden ("Ich leiste viel mehr als mancher andere"). Auch Energie-, Hoffnungs- und Hilflosigkeit, typische Symptome einer Depression, wird der Burn-out-Patient nicht zugeben, obgleich er sich häufig müde und matt fühlt.

Indirekte Suizidalität diagnostisch erfassen

Obwohl die Suizidrate bei depressiven Patienten hoch ist, werden sie auf die gezielte Frage "Wollen Sie sich umbringen?" meist antworten "Nein, so weit geht’s nicht", berichtete Faust. Daher muss anders gefragt werden, etwa "Sind Sie durch die Qual ihres Leidens lebensmüde geworden?". Ein Depressiver wird sich wahrscheinlich nicht aktiv vor einen Zug werfen, aber er wird sich womöglich nicht mehr selbst retten, wenn er, beispielsweise bei einem drohenden Autounfall, noch die Möglichkeit hätte, die Gefahr abzuwenden.

Abgrenzung durch Ursachenklärung

Bei der Abgrenzung von Depression und Burn-out-Syndrom ist die Ursachenabklärung ganz wichtig. Hat beispielsweise ein Patient einen schweren Verlust erlitten, z. B. durch den Tod eines Familienangehörigen oder auch eines geliebten Haustieres, ist klar, so Faust, dass eine (reaktive) Depression vorliegt und kein Burn-out. Bei der endogenen Depression spielen Erbfaktoren eine Rolle, daher sollte der behandelnde Psychiater hier eine genaue Familienanamnese betreiben, wobei zu berücksichtigen ist, dass oft eine Generation "übersprungen" wird.

Merkmale des Burn-out-Syndroms

Kennzeichnend für Burn-out sind vor allem Stressoren am Arbeitsplatz, die bei der Diagnose identifiziert werden müssen. Dazu gehören vor allem ständiger Zeitdruck, Über-, aber auch Unterforderung, mangelnde Anerkennung ("Gratifikationskrise"), Hektik, Termindruck und ständige Erreichbarkeit.

Daraus ergeben sich ein geringer Handlungsspielraum und eine Vielzahl von Konflikten, nicht nur mit den Vorgesetzten. Ein sehr wichtiges Merkmal ist auch die Frustration (lat. frustran = vergebens). Das Arbeitsumfeld vieler Burn-out-Betroffener nimmt schließlich einen Stellenwert ein, der zu einem Ungleichgewicht zwischen Arbeit und Freizeit führt, als Folge werden Hobbys und soziale Kontakte eingeschränkt.

Schließlich kommt es beim Burn-out zum "Endzustand", gekennzeichnet durch Ironie, Sarkasmus und Zynismus, der für das soziale Umfeld des Betroffenen – im Gegensatz von vielen anderen Zeichen – gut erkennbar ist und unweigerlich zur Ausgrenzung führt.



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