Seite 3

Paracetamol nur noch auf Rezept?

Peter Ditzel

In amerikanischen Drugstores kann der Kunde das Präparat Tylenol mit dem Wirkstoff para-Acetaminophenol (oder kurz Paracetamol) aus der Freiwahl in seinen Einkaufskorb legen. Neben Tylenol im Regal stehen Aspirin, Ibuprofen und andere "kleine" Analgetika – die Auswahl ist groß – einfach so, ohne Beratung.

In der deutschen Präsenzapotheke vor Ort gibt es kleine Analgetika nicht in der Freiwahl, sondern nur aus Apothekers Hand, manchmal mit Beratung, aber oft auch im Angebot: Paracetamol z. T. unter einem Euro, ASS und Co. nur wenig teurer. Und bei preisaktiven Apotheken in der Happy Hour auch günstiger, mit Prozenten.

Kleine Analgetika dürfen in Deutschland nicht in der Freiwahl der Apotheke vor Ort stehen. Aber in der virtuellen Freiwahl einer Versandapotheke. In Deutschland kann man Generika von Paracetamol, ASS und Ibu in der Versandapotheke – der deutschen Version der unbegrenzten Freiwahl – anklicken, in seinen Einkaufskorb legen, einfach so, ohne Beratung. Und falls einer Versandapo die gewünschte Menge zu viel wird und sie aufgrund pharmazeutischer Bedenken nicht mitspielt, dann teilt der kundige Kunde die Bestellung auf mehrere Versandapos auf. So einfach ist das.

Der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht, berufen vom Bundesgesundheitsministerium und tagend unter dem Vorsitz des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), wird sich am kommenden Montag (27. Februar) der Frage annehmen, ob Paracetamol der vollständigen Verschreibungspflicht unterstellt und für die anderen kleinen Analgetika wie ASS, Ibuprofen, Diclofenac, Naproxen, Phenazon und Propyphenazon eine Begrenzung der Packungsgröße eingeführt werden soll. Die Diskussion über Mengenbegrenzungen pro Packung und/oder Verschreibungspflicht der kleinen Analgetika bewegt die Wissenschaft und den Markt schon länger. Abhängig von Herkunft, Interessen und Überzeugung prallen die Meinungen dazu seit geraumer Zeit hart aufeinander. Die DAZ hat die Diskussionen auf beiden Seiten, pro und kontra einer Begrenzung bzw. Verschreibungspflicht, in den letzten Wochen und Monaten begleitet und beiden Seiten Raum für ihre Argumente eingeräumt (eine Zusammenstellung der wichtigsten Beiträge dazu finden Sie auf DAZ.online in der Tagesnews vom 20. Februar).

Der Stand der Dinge vor der Sitzung des Ausschusses für Verschreibungspflicht kurz zusammengefasst: Das BfArM ist bestrebt, die Packungsgrößen von rezeptfrei erhältlichen Analgetika zu begrenzen auf eine maximale Behandlungsdauer von vier Tagen. Das soll dem Verbraucher signalisieren, dass diese Arzneimittel nur bei kurzfristigem Gebrauch sicher und nicht für eine längerfristige Anwendung gedacht sind. Großpackungen von 50 oder 100 Stück vermitteln dem Patienten Harmlosigkeit, so das BfArM, daher sollten sie nur noch auf Rezept erhältlich sein.

Nichts dagegen, dass das BfArM auf Sicherheit bedacht ist, aber ob die Packungsgrößenbeschränkung und eine Rezeptpflicht für Großpackungen das richtige Mittel sind, ist fraglich. Mit einer Umstellung der Packungsgrößen auf einen Bedarf für maximal vier Tage lässt sich vielleicht leben, obgleich dies eher einer "kosmetischen" Umstellung nahe kommt. Wer mehr Schmerzmittel benötigt, wird sich mehrere Kleinpackungen besorgen – in der Apotheke vor Ort oder in der Versandapotheke. Und ganz Clevere werden sich die 100er von ihrem Arzt rezeptieren lassen. Zudem: Paracetamol ganz unter die Verschreibungspflicht zu stellen, ist realitätsfremd. Die Apotheke benötigt ein Paracetamol, um den Menschen, die damit gute Erfahrungen gemacht haben, Linderung bei Alltagsschmerzen zu verschaffen. Oder sollten Mütter mit fiebernden Kleinkindern jedes Mal den Arzt aufsuchen? Und warum sollte der Apotheker hier entmündigt werden?

Wäre es da nicht wirklich besser, über die Werbung und Vermarktung von paracetamol- und ASS-haltigen Arzneimitteln nachzudenken? Warum keine Werbebeschränkungen für kleine Analgetika und Analgetika-enthaltende Kombipräparate? Warum kein Verbot für Hersteller und Apotheken, mit dem Preis zu werben? Damit wären die auch bereits aus heutiger Sicht unverantwortlichen Niedrigpreisangebote für Analgetika, wie sie sich in Apotheken-Flyern und auf den Internetseiten von Versandapotheken finden, endgültig vom Tisch. 20 Paracetamol-Tabletten für 43 Cent – das suggeriert der Bevölkerung Harmlosigkeit und vermittelt das Gefühl, ein unbedenkliches Alltagspräparat zu kaufen, das bedenkenlos eingenommen werden kann. Mein Rezept wäre: weg mit dieser aggressiven Preiswerbung und hin zur verstärkten Beratung in der Apotheke.


Peter Ditzel



DAZ 2012, Nr. 8, S. 3

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.