Arzneimittel und Therapie

Rezeptfreie Analgetika-Großpackungen zu gefährlich?

Um dem Patienten zu signalisieren, dass Analgetika keinesfalls harmlos sind, sollen nach dem Willen des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht in Zukunft nur noch Kleinpackungen ohne Rezept in der Apotheke erhältlich sein. Folgt der Gesetzgeber der Empfehlung des Sachverständigenausschusses, dann dürften beispielsweise rezeptfrei erhältliche 100er ASS-Packungen bald der Vergangenheit angehören.
Foto: DAZ Archiv
Begrenzte Packungsgrößen In Zukunft sollen nur noch Analgetika-Kleinpackungen für die Selbstmedikation zur Verfügung stehen.

Analgetika-Großpackungen sollen der Verschreibungspflicht unterstellt werden, wenn sie bestimmte Mengen überschreiten (s. Kasten). So hat es zumindest der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht dem Gesetzgeber, dem Bundesministerium für Gesundheit, empfohlen. Das BMG kann diese Empfehlung nun unter Berücksichtigung des § 48 Arzneimittelgesetz im Rahmen einer Änderungsverordnung umsetzen, die jedoch der Zustimmung des Bundesrats bedarf.

Eine Unterstellung von Stoffen unter die Verschreibungspflicht setzt voraus, dass von den Stoffen besondere Risiken beispielsweise durch Missbrauch ausgehen. Ob tatsächlich ein erhöhter Missbrauch von Großpackungen im Vergleich zu Kleinpackungen vorliegt, ist umstritten (s. AZ Nr. 3, 2010, S. 1-2). Nach Ansicht des Pharmakologen Prof. Dr. Dr. Kay Brune, Erlangen, bergen jedoch alte Arzneistoffe wie ASS Risiken, die bei einer Neubewertung zur vollständigen Unterstellung unter die Verschreibungspflicht führen könnten (s. Stellungnahme). Prof. Dr. Martin Schulz, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der ABDA unterstützt die Empfehlung des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht und plädiert für eine schnelle Umsetzung ohne Übergangsregelungen nach Möglichkeit zum 1. Juli 2010. Dagegen sieht Dr. Bernd Eberwein, Geschäftsführer des Bundesverbandes der ArzneimittelHersteller eigentlich keinen Handlungsbedarf. Das hat er in der Apotheker Zeitung vom 18. Januar 2010 dargelegt. Im Sachverständigenausschuss hatte er aber einen Herstellervorschlag zur Abstimmung vorgelegt, der eine Begrenzung der rezeptfreien Packungsgröße für einen Bedarf von zehn Tagen vorsah. Nach diesem Vorschlag hätte beispielsweise noch eine 50er ASS-Packung für die Selbstmedikation zur Verfügung gestanden. du

Die Empfehlung


Am 12. Januar 2010 hat der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht beschlossen, dem Gesetzgeber eine Packungsgrößenbegrenzung der rezeptfrei erhältlichen Stoffmengen für folgende Analgetika nach folgender Maßgabe vorzuschlagen:

  • Acetylsalicylsäure bis zu maximal 10.000 mg (z. B. 20 x 500 mg)
  • Diclofenac bis zu maximal 500 mg (z. B. 20 x 25 mg)
  • Ibuprofen bis zu maximal 8000 mg (z. B. 20 x 400 mg)
  • Phenazon bis zu maximal 10.000 mg (z. B. 20 x 500 mg)
  • Propyphenazon bis zu maximal 10.000 mg (z. B. 20 x 500 mg)

Naproxen stand nicht auf der Tagesordnung. Von diesem Analgetikum sollen weiterhin Packungen mit bis zu 30 Tabletten rezeptfrei erhältlich sein.

Stellungnahme: Altanalgetika müssen auf den Prüfstand!


Die in Deutschland rezeptfrei verfügbaren Analgetika sind einerseits Altwirkstoffe wie ASS, Paracetamol, Phenazon und Derivate, die nie einer wissenschaftlichen Überprüfung ihrer Eignung für die rezeptfreie Anwendung unterworfen wurden. Andererseits handelt es sich mit Diclofenac, Ibuprofen und Naproxen um Substanzen, die in den vergangenen 25 Jahren nach gründlicher Evaluation ihrer belegten Indikationen, ihrer pharmakologischen Eigenschaften, ihrer toxikologischen Risiken und möglicher, gefährlicher Interaktionen mit anderen Wirkstoffen für die rezeptfreie Anwendung zugelassen wurden. Dabei wurden unter anderem Tagesdosen und Packungsgrößen festgelegt. Aufgrund der historischen Entwicklung verwundert es nicht, dass für die oft wiederholten Behauptungen, ASS sei besonders wirksam bei Migräne, Phenazonderivate seien besonders effektiv bei Kolikschmerzen und Paracetamol sei besonders geeignet bei Kreuzschmerzen, eine überzeugende wissenschaftliche Evidenz fehlt.

Gut belegt sind jedoch spezielle Gefahren dieser Altwirkstoffe: ASS hemmt in analgetischer Dosierung die Blutgerinnung für Tage, den Schmerz aber nur für Stunden. Jedes Gramm ASS führt zu Blutverlusten im Magen-Darm-Trakt, mit Ibuprofen gibt es beide Probleme nicht. Phenazon und Propyphenazon sollen häufig zu allergischen Reaktionen führen, Daten dazu haben wir nicht. Phenazon wird bei einigen Patienten sehr langsam ausgeschieden, in welchem Umfang daraus Probleme resultieren, ist unbekannt. Paracetamol ist die wichtigste Ursache für Leberversagen in Industrieländern. Neuerdings mehren sich die Hinweise darauf, dass dieser Wirkstoff, angewendet während der Schwangerschaft oder beim Kleinkind, das Auftreten von Asthma vermehrt. Warum also dürfen ASS und Phenazon nach wie vor in Großpackungen verkauft werden, obwohl praktisch die Hälfte der deutschen Bevölkerung z. B. ASS nicht einnehmen darf: Kinder, Schwangere, Alte, Allergiker, Asthmatiker, Patienten mit Blutgerinnungsstörungen, offenen Geschwüren, Magen-Darm-Blutungen (auch in der Vergangenheit). Aus meiner Sicht besteht Handlungsbedarf. Die Begrenzung der Packungsgröße kann vielleicht die Aufmerksamkeit der Apotheker und ihrer Kunden darauf richten, dass „unbegrenzte Verfügbarkeit“ nicht auf „uneingeschränkte Arzneimittelsicherheit“ hinweist. Ein erster Schritt vielleicht, der uns nicht davon entlastet, alle Altanalgetika einer vergleichenden Risiko-/Nutzenbewertung zu unterwerfen. Auch rezeptfrei erhältliche Wirkstoffe sind hochwirksame Medikamente und keine „Lifestyle-Accessoires“.

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Kay Brune, Doerenkamp Professor FAU Erlangen-Nürnberg, Department of Experimental and Clinical Pharmacology and Toxicology, Fahrstr. 17, D-91054 Erlangen

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Verschreibungspflicht für Analgetika-Großpackungen?

Geht es nach dem Willen des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht, sollen in Zukunft Analgetika mit beispielsweise mehr als 20 Tabletten oder Brausetabletten der Verschreibungspflicht unterliegen. Die Herstellerseite unterbreitete einen weniger restriktiven Vorschlag, nach dem ein Analgetikabedarf von 10 Tagen rezeptfrei erhältlich sein sollte. Ziel soll es sein, das Risikobewusstsein in der Bevölkerung zu schärfen.

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