Arzneimittel und Therapie

Wirkung von Schmerzmitteln hängt von der Erwartung ab

In der Schmerzforschung ist der Placebo-Effekt bereits gut untersucht, da Schmerzen experimentell relativ einfach von außen zugefügt und entsprechende Reaktionen nachgewiesen werden können. Beeindruckend sind jetzt Ergebnisse einer Untersuchung mit Remifentanil. Auch die Wirkung des starken Opioids hängt entscheidend von der individuellen Erwartungshaltung des Probanden ab. Es war sowohl ein eindeutiger Placebo- als auch ein Nocebo-Effekt nachweisbar: die Magnetresonanztomographie zeigte eine Aktivierung unterschiedlicher Hirnregionen.
Schmerzempfindung Im Experiment hing die Wirkung eines starken Schmerzmittelsentscheidend von der individuellen Erwartungshaltung des Probanden ab. Psychische Faktoren können demnach nicht nur die subjektive Schmerzempfindung verringern, sondern auch messbare Effekte bei der Schmerzverarbeitung im Zentralnervensystem bewirken. Foto: Jasmin Merdan - Fotolia.com

Die Behandlung von Schmerzpatienten, besonders solchen mit chronischen Schmerzen, gestaltet sich häufig schwierig, da neben der somatischen Ursache auch psychische Faktoren für die Beschwerden mitverantwortlich sein können. Unterschiedliche Erwartungen und Erfahrungen beeinflussen darüber hinaus den Therapiererfolg. So kann eine insuffiziente Schmerztherapie dazu führen, dass Patienten das Vertrauen in die Medizin verlieren und dann auch mit starken Opioiden keine Schmerzlinderung mehr erreicht werden kann. Der Patient erwartet ein negatives Ereignis und dieses tritt dann tatsächlich auch ein, man spricht vom Nocebo-Effekt.

Ausgeprägter Placebo- und Nocebo-Effekt sogar bei starken Analgetika

Eine Placebo-Wirkung ist für Schmerzmittel in der Vergangenheit bereits nachgewiesen worden. Mittels Magnetresonanztomographie konnte gezeigt werden, dass ein Scheinanalgetikum eine Hemmung der Aktivität von im Rückenmark befindlichen Neuronen, die auf die Verarbeitung von Schmerzreizen spezialisiert sind (Nozizeptoren), bewirken kann. Es gilt als nachgewiesen, dass psychische Faktoren nicht nur die subjektive Schmerzempfindung verringern können, sondern auch messbare Effekte auf schmerzrelevante Neuronenaktivitäten schon auf der ersten Stufe der Schmerzverarbeitung im Zentralnervensystem bewirken können.


Nocebo-Effekt


Der Nocebo-Effekt (lat. nocebo = ich werde schaden) und der Placebo-Effekt (lat. placebo = ich werde gefallen) bezeichnen beide eine Reaktion auf eine Intervention ohne eine spezifische Wirkung. Im Gegensatz zur positiven Wirkung beim Placebo-Effekt erfolgt beim Nocebo-Effekt aber eine negative Reaktion.

Negative Erwartung hebt Arzneimittelwirkung auf

Für die jetzt durchgeführten Untersuchungen wurden 22 gesunde Probanden im Alter zwischen 20 und 40 Jahren ausgewählt. Diese wurden für jeweils einige Sekunden einem Hitzereiz ausgesetzt, der einen mittleren bis starken Schmerz auslöste. Die Intensität betrug im Durchschnitt 66 auf einer Skala von 0 bis 100. Während der Experimente erhielten die Probanden eine Remifentanil-Infusion in drei Phasen. Zunächst wurde das Opioid in einer verdeckten Infusion appliziert, die Probanden erwarteten entsprechend keine Wirkung. Die Schmerzintensität sank dabei ohne Placebo-Unterstützung auf durchschnittliche Werte von 66 dieser Skala. Danach wurde den Probanden mitgeteilt, dass sie ein starkes Schmerzmittel erhalten. Die Schmerzintensität sank nunmehr auf durchschnittlich 39. Bei identischer Dosierung kam es somit fast zu einer Verdopplung des schmerzlindernden Effekts. In der dritten Phase erhielten die Probanden die Information, es gebe kein Schmerzmittel. Entsprechend hätten sie starke Schmerzen zu erwarten. Tatsächlich erhielten sie aber das Opioid in der gleichen Dosierung wie zuvor. Die Probanden bewerteten die Schmerzintensität mit durchschnittlich 64. Nocebo und Opioid waren gleich stark wirksam, die negative Erwartung und die Angst vor den Schmerzen hatten die Wirkung des Medikaments völlig aufgehoben.

Wirkung von Placebo und Nocebo sichtbar gemacht

Verarbeitete sensorische Signale werden vom präfrontalen Cortex empfangen, einem Teil des Frontallappens der Großhirnrinde (Cortex). Mittels funktioneller Magnetresonanztomographie konnten die Auswirkungen von Placebo und Nocebo nachverfolgt werden: Die positive Erwartung war mit einer vermehrten Aktivierung in cingulo-frontalen und subcorticalen Hirnarealen assoziiert, während eine negative Erwartung Regionen im Hippocampus und im medialen frontalen Cortex aktivierte. Die Experimente, die einen kurzen Schmerzreiz verursachten, wurden allerdings an gesunden Probanden durchgeführt. Ob aber entsprechende Studien an chronischen Schmerzpatienten zu vergleichbaren Ergebnissen führen, bleibt abzuwarten.


Quelle

Bingel, V.; et al.: Effect of Treatment Expectation on Drug Efficacy: Imaging the Analgesic Benefit of Opioid Remifentanil. Sci. Transl. Med. 2011; 3(70), 70ra14, vom 16. Februar 2011.

Eippert, F.; et al.: Direct evidence for spinal cord involvement in placebo analgesia. Science (2009) 326: 404.


Dr. Hans-Peter Hanssen



DAZ 2011, Nr. 8, S. 34

Das könnte Sie auch interessieren

Neurobiologische Mechanismen des Placebo-Effekts

„Ich werde gefällig sein“

DAZ-Podcast Einfach erklärt – auf die Ohren

Nocebo: Nebenwirkungen aus der körpereigenen Apotheke

Wie wirkstofffreie Arzneimittel wirken und warum dieses Wissen genutzt werden muss

Alles nur Placebo?

Vom Placebo-Effekt bei kindlicher Migräne

Schmerztherapie ohne Nebenwirkung?

Komplexe Sachverhalte einfach erklärt – Folge 10: Der Nocebo-Effekt

You get what you read

Deutsche Gesellschaft für Neurologie kommentiert Studie

Opioide gegen Rücken- und Nackenschmerzen „kaum zielführend“

Deutsche Gesellschaft für Neurologie betont die Bedeutung von Bewegung

Opioide gegen Rücken- und Nackenschmerzen „kaum zielführend“

Randomisierte Doppelblindstudie untermauert koanalgetischen Effekt

Coffein-Booster für Ibuprofen

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.