DAZ aktuell

"Ein Skandal, aber akut nicht gefährlich"

BERLIN (diz). Der Skandal um Dioxin-verseuchte Lebensmittel weitet sich aus. Hatte man zunächst eine zu hohe Dioxin-Belastung von Eiern gefunden, wurde nun Dioxin auch im Schweinefleisch entdeckt. Das Dioxin gelangte nach bisherigen Erkenntnissen über die Futtermittel für die Tiere in die Nahrungskette. Ein Futtermittelhersteller hatte für die technische Industrie vorgesehene Mischfettsäuren verwendet, die nicht für die Lebensmittelproduktion freigegeben waren. Wir sprachen mit dem Toxikologen Prof. Dr. Ralf Stahlmann vom Institut für Klinische Pharmakologie und Toxikologie an der Charité in Berlin, und fragten, wie gefährlich Dioxine für den Menschen sind.
Wie gefährlich sind Dioxine? Darüber sprach die DAZ anlässlich des ­Dioxin-Skandals mit dem Toxikologen Prof. Dr. Ralf Stahlmann. Die hier zu sehende Grafik fertigte Hermann Josef Roth.

DAZ: Herr Professor Stahlmann, in der Presse wird immer von "Dioxin" gesprochen. Mit welchen polychlorierten Dibenzodioxinen und Dibenzofuranen muss denn hier gerechnet werden? Woher stammen diese Verbindungen?

Stahlmann: Insgesamt gibt es einige hundert Dioxine und nahe verwandte Verbindungen. Besonders kritisch sind etwa 30 Verbindungen. Im aktuellen Skandal geht es in erster Linie um das 2,3,7,8-TetrachlorDibenzo-p-dioxin (2,3,7,8-TCDD). Weit verbreitet ist die Meinung, dass Dioxine aus Müllverbrennungsanlagen stammen. Diese Erkenntnis ist überholt, aus solchen Anlagen stammt nur ein Bruchteil der Dioxinbelastung. Unterschätzt werden die privaten Feuerungsanlagen, z. B. die Ölheizungsanlagen. Pauschal lässt sich sagen: Überall dort, wo offenes Feuer ist, kann auch Dioxin entstehen. Das gilt auch für Waldbrände und Vulkanausbrüche – vor diesem Hintergrund lässt sich schon sagen, dass Dioxine ein "Naturprodukt" sind. Dioxine kommen ubiquitär vor, sie reichern sich in der Umwelt an. Einige Dioxine persistieren sehr lang und werden schlecht abgebaut.


DAZ: Wie gefährlich sind die Dioxine für den Menschen?

Stahlmann: Zunächst: Es ist wie so oft auch hier eine Frage der Menge, die der Mensch aufnimmt. Im aktuellen Dioxin-Skandal geht es um winzige Mengen, die im Bereich Picogramm pro Kilogramm, also im ppt-Bereich liegen. Solche winzige Konzentrationen sind erst seit etwa gut 20 Jahren zuverlässig messbar. Dies führt in der Bevölkerung zu einer verzerrten Wahrnehmung, solche Belastungen habe es früher nicht gegeben. Fakt ist: Wir konnten früher diese Mengen im Nano- oder Picogramm-Bereich noch gar nicht messen. Folglich wussten wir nicht, dass wir solche Stoffe aufnehmen.

Zudem muss man wissen: Die Exposition ist – und das ist eine gute Nachricht – in den letzten zehn, 15 Jahren auf etwa die Hälfte zurückgegangen. Wenn es nun gelegentlich für eine begrenzte Zeit durch solche Lebensmittel-Skandale zu einer doppelt so hohen Exposition kommt wie sonst üblich, entstehen daraus sicher keine akuten gesundheitlichen Gefahren.


Dioxin


Dioxin ist im allgemeinen Sprachgebrauch eine Sammelbezeichnung für chemisch ähnlich aufgebaute chlorhaltige Dioxine und Furane. Insgesamt besteht die Gruppe der Dioxine aus 75 polychlorierten Dibenzo-para-Dioxinen (PCDD) und 135 polychlorierten Dibenzofuranen (PCDF). Dioxine liegen immer als Gemische von Einzelverbindungen (Kongenere) mit unterschiedlicher Zusammensetzung vor. Das toxischste Dioxin ist das 2,3,7,8 Tetrachlor-Dibenzo-p-Dioxin (2,3,7,8 TCDD), das auch nachdem es bei dem Chemieunfall in Seveso im Juli 1976 die Umwelt kontaminierte, als "Seveso-Gift" bezeichnet wird.

Dioxine wurden nie im technischen Maßstab produziert. Sie entstehen unerwünscht bei allen Verbrennungsprozessen in Anwesenheit von Chlor und organischem Kohlenstoff unter bestimmten Bedingungen, z. B. bei bestimmten Temperaturen. Dioxin entsteht bei 300 °C und mehr und wird bei 900 °C und höher zerstört.

Über dioxinbelastete Chemikalien, wie Pentachlorphenol, polychlorierte Biphenyle (PCB), bestimmte Herbizide wurden in den 80er Jahren Dioxine jährlich im Kilogrammbereich in die Umwelt eingetragen. Diese Stoffe sind mittlerweile durch Verbotsverordnungen reglementiert. Für den Eintrag in die Luft waren früher Metallgewinnung und die Abfall-Verbrennungsanlagen die wichtigsten Quellen. Dank anspruchsvoller Grenzwerte und Technik konnte der Dioxinausstoß aus den Abfall-Verbrennungsanlagen drastisch gesenkt werden. Heute sind thermische Prozesse der Metallgewinnung und -verarbeitung und Kleinquellen in den Vordergrund der Dioxinemissionen getreten.

Quelle: Informationen des Umweltbundesamts


DAZ: Was weiß man über die Toxizität dieser Verbindungen? Wie äußern sich akute Vergiftungen mit Dioxin?

Stahlmann: In aller Regel haben wir es bei der Dioxin-Aufnahme mit einem Problem der chronischen Toxizität zu tun. Nur: Wenn der Mensch in kurzer Zeit sehr hohen Mengen an Dioxinen ausgesetzt ist, sind natürlich auch akute Symptome festzustellen. Ein Beispiel dafür ist der Fall des früheren ukrainischen Präsidenten Wiktor Juschtschenko, auf den 2004 ein Giftanschlag mit Dioxin verübt wurde. Hier fand man Konzentrationen, die im Bereich von über 10.000 ppt liegen. Bei akuter Intoxikation mit großen Mengen an Dioxin zeigen sich dann Hautveränderungen wie Chlorakne.

Die Mengen, die wir in unseren Körper mit der Nahrung aufgenommen haben, liegen dagegen im Bereich von 20 bis 30 ppt.


DAZ: Es dürfte also eher eine Frage der längerfristigen Aufnahme von Dioxinen sein?

Stahlmann: Auf jeden Fall. Deshalb: Es ist sehr wichtig, dass die Behörden hinter solchen Skandalen her sind und kontrollieren, wenn erhöhte Dioxin-Konzentrationen in Lebensmitteln zu finden sind. Hier darf kriminellen Machenschaften nicht Tür und Tor geöffnet werden. Altöle dürfen nicht in die Tierfutterproduktion einfließen, sonst haben wir langfristig ein Problem mit steigenden Dioxinwerten. Das wird in der öffentlichen Diskussion nicht immer verstanden: Auf der einen Seite ist dies ein Skandal, auf der anderen Seite ist es akut nicht gefährlich. Aber es muss deutlich werden, dass in der Langfristigkeit der Belastung, in einer lebenslangen hohen Dioxin-Exposition die Gefahr liegt.


DAZ: Lassen sich diese Toxine aus dem menschlichen Körper eliminieren? Kann man diesen Prozess beschleunigen, wenn ja, wie?

Stahlmann: Verbindungen wie die Dioxine reichern sich im menschlichen Fettgewebe an. Bei akuten Vergiftungen – es sind hier einige wenige Fälle dokumentiert – gab man den Patienten Olestra-Kartoffel-Chips, die mit dem nicht verdaulichen Fettersatzstoff Olestra zubereitet wurden. Dieser Fettersatzstoff wird mit dem Stuhl ausgeschieden und führt dabei auch zu einer erhöhten Fettausscheidung. Dadurch ist es gelungen, auch die Ausscheidung des im Körperfett angereicherten Dioxins bei akuten Expositionen zu beschleunigen.


DAZ: Wie lange dauert es, bis Dioxine im Körper abgebaut bzw. ausgeschieden sind?

Stahlmann: Man geht davon aus, dass die Halbwertszeit des gefährlichsten Dioxins, des TCDD, bei etwa sieben Jahren liegt. Bei sehr hoher Anreicherung im Fettgewebe wie im Fall von Juschtschenko ist die Halbwertszeit deutlich kürzer.


DAZ: Was weiß man über die langfristige Toxizität?

Stahlmann: Der Tierversuch mit TCDD an Ratten zeigte einen signifikanten Anstieg von Leberkarzinomen. Allerdings wurden die Tiere mit Mengen im Nanogramm-Bereich behandelt, während unsere Exposition im Picogramm-Bereich liegt.


DAZ: Für den Verbraucher ist nur bedingt zu erkennen, welche Lebensmittel betroffen sind. Was raten Sie ihm angesichts dieser Situation? Kann er sein Frühstücksei weiterhin essen?

Stahlmann: Also, ich würde bedenkenlos sagen: Ja, unsere Lebensmittel sind auch weiterhin verzehrbar. Denn die Höchstmengen der Dioxin-Aufnahme sind auf eine lebenslange Exposition hin berechnet. Wenn vorübergehend. d. h. beispielsweise wenige Wochen lang, die Exposition erhöht ist, besteht keine akute Gefahr. Ich möchte hier aber nicht missverstanden werden: Was jetzt entdeckt wurde, ist eine kriminelle Aktion gewesen. Es ist gut, dass die Behörden dies kontrollieren und handeln. Und es sollte Konsequenzen haben, wie beispielsweise die notwendige Trennung der Produktion technischer Fette und Öle von der Lebensmittelherstellung, um in Zukunft solche Skandale zu vermeiden. Man sollte die Aufnahme solcher Stoffe generell so niedrig wie möglich halten.


DAZ: Kommen Dioxine auch im Zigarettenrauch vor?

Stahlmann: Ja, Dioxine sind auch im Zigarettenrauch nachweisbar.


DAZ: Herr Stahlmann, wir bedanken uns für das Gespräch.

Infos im Web


Dioxin – was ist das eigentlich?

Weiterführende Informationen zum Thema Dioxin sind abrufbar im Internet auf der Seite des Umweltbundesamts:

www.umweltbundesamt.de




DAZ 2011, Nr. 2, S. 20

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.