Selbstmedikation

Kein Nutzen durch hoch dosierte B-Vitamine?

Eine kanadische Studie ergab, dass hoch dosierte B-Vitamine das Fortschreiten einer diabetischen Nephropathie nicht verzögern können. Offenbar muss von einer solchen Supplementation sogar dringend abgeraten werden, denn bei den in der Studie behandelten Patienten nahm im Vergleich zur Placebogruppe die glomeruläre Filtrationsrate signifikant ab, das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko verdoppelte sich.

Verschiedene Studien der letzten Jahre haben sich mit der Frage beschäftigt, ob eine hoch dosierte B-Vitamin-Gabe vor kardiovaskulären Ereignissen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall schützen kann. Hintergrund für diese Überlegungen war die Erkenntnis, dass Folsäure, Vitamin B6 und B12 erhöhte Homocystein-Plasmakonzentrationen senken können. Hohe Homocysteinspiegel wiederum sind mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko verknüpft, wie epidemiologische Studien gezeigt hatten. Als kritische Grenze für ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko gilt ein Homocystein-Plasmaspiegel ≥ 10 µmol/l. Experten diskutieren die bisher vorliegenden Ergebnisse aus Studien und Metaanalysen jedoch kontrovers. Für allgemeine Empfehlungen scheint es noch zu früh zu sein.

Effekt hoch dosierter B-Vitamine

Bei Patienten mit diabetischer Nephropathie wird häufig eine Hyperhomocysteinämie beobachtet. Die multizentrische, randomisierte, doppelblinde placebo-kontrollierte Studie DIVINe (Diabetic Intervention with Vitamins to Improve Nephropathy) sollte untersuchen, ob eine hoch dosierte Vitamin-B-Supplementation das Fortschreiten einer diabetischen Nephropathie verlangsamen und vaskuläre Komplikationen verhüten kann. 252 erwachsene Typ-1- bzw. Typ-2-Diabetiker mit der klinischen Diagnose einer diabetischen Nephropathie (Albuminurie mindestens 300 mg/d oder Proteinurie mindestens 500 mg/d) erhielten entweder ein Vitamin-B-Präparat (Tablette mit Folsäure 2,5 mg/d, Vitamin B6 25 mg/d und Vitamin B12 1 mg/d) oder Placebo. Primärer Endpunkt war die Änderung der glomerulären Filtrationsrate (GFR) zwischen Ausgangswert und dem Wert nach 36 Monaten. Zu den sekundären Endpunkten zählten die Notwendigkeit einer Dialyse und ein zusammengesetzter Endpunkt aus Myokardinfarkt, Schlaganfall, Revaskularisierungs-Eingriffen und Mortalität jeglicher Ursache.

Supplementation senkt Homocysteinspiegel

Von den 252 randomisierten Patienten konnten 238 in die Auswertung einbezogen werden. Ihr mittleres Alter lag bei 60 Jahren, 75% waren Männer, 82% waren seit 18 Jahren an einem Diabetes mellitus Typ 2 und seit zwei Jahren an einer diabetischen Nephropathie erkrankt. Die mittlere Beobachtungszeit der Studie lag bei 31,9 Monaten.

 

Zu Studienbeginn lagen die mittleren Gesamt-Homocystein-Plasmakonzentrationen der Studienteilnehmer bei 15,5 µmol/l und damit über dem kritischen Wert von ≥ 10 µmol/l. Nach 36 Monaten waren sie in der B-Vitamin-Gruppe im Mittel um 2,2 µmol/l gesunken, in der Placebogruppe verzeichnete man einen Anstieg um 2,6 µmol/l (mittlere Differenz -4,8, 95% CI -6,1 bis -3,7 p < 0,001).

Risikoanstieg bei Herzinfarkt und Schlaganfall

Die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) verminderte sich nach 36 Monaten in der Behandlungsgruppe im Mittel um 16,5 ml/min/1,73 m2, in der Placebogruppe dagegen nur um 10,7 ml/min/1,73 m2. Die mittlere Differenz lag bei -5,8 (95% CI -10,6 bis 11,1, p = 0,02).

 

Beim sekundären Endpunkt "Notwendigkeit einer Dialyse" fand man keinen Unterschied zwischen beiden Gruppen (hazard ratio HR 1,1, 95% CI 0,4 bis 2,6, p = 0,88).

 

Die Patienten der B-Vitamin-Gruppe hatten ein signifikant höheres Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse als die der Placebogruppe (HR 2,0, 95% CI 1,0 bis 4,0, p = 0,04). In der Behandlungsgruppe betrug das Risiko 23,5% (95% CI 15-32%), in der Placebogruppe 14,4% (95% CI 6,9% -21,8%).

 

In Bezug auf HbA1c-Wert, Blutdruck, Lipidprofil, Mortalität jeglicher Ursache und kognitive Fähigkeiten zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen, auch nicht bei der Häufigkeit unerwünschter Wirkungen.

Biochemie von Homocystein

Homocystein ist eine schwefelhaltige nicht-proteinogene Aminosäure. Sie wird im Methionin-Stoffwechsel durch Abspaltung der Methylgruppe des Methionins gebildet. Anschließend kann Homocystein in einer Vitamin-B12-abhängigen Reaktion mithilfe von Methyl-Tetrahydrofolat remethyliert werden. Alternativ überträgt Homocystein seine SH-Gruppe unter Beteiligung von Vitamin B6 auf Serin, dabei entstehen Cystein und Homoserin.

Keine hoch dosierten B-Vitamine für alle

Aufgrund ihrer eigenen Ergebnisse und den Daten aus anderen Studien raten die Autoren davon ab, hoch dosierte B-Vitamine als "Homocystein-senkende Strategie" außerhalb von klinischen Studien zu verabreichen.

Quelle House, A, et al.: Effect of B-Vitamin therapy on progression of diabetic nephropathy. JAMA 303(16), 1603-1609 (2010). Löffler, G.:Basiswissen Biochemie mit Pathobiochemie, Springer-Verlag, 7. Aufl. (2008).

 


Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

Zum Weiterlesen


Vitamine: Folsäure kann vor Schlaganfall schützen.

DAZ 2008, Nr. 11, S. 50-51.

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