DAZ aktuell

Rechtsgutachten gegen Zielpreise

BERLIN (tmb). Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) und seine Mitglieder halten nichts von Zielpreisvereinbarungen, wie sie die Apothekerseite vorgeschlagen hat. Angesichts der Sorgen des Verbandes über die wirtschaftlichen Folgen des Modells hat er dessen rechtliche Zulässigkeit prüfen lassen. Demnach seien Zielpreisvereinbarungen an Apotheken als Unternehmensbeihilfen im europarechtlichen Sinn zu werten. Diese wären nur mit einer Genehmigung durch die EU-Kommission zulässig. Der BAH betrachtet das Gutachten aber nicht als Drohung mit rechtlichen Schritten, sondern als Beitrag zur Diskussion über rechtssichere Lösungen.

Im Rahmen einer Pressekonferenz des BAH am 18. August in Berlin präsentierten die Düsseldorfer Rechtsanwälte Dr. Jan Byok und Dr. Jörg Witting ihr Rechtsgutachten zu den vorgeschlagenen Zielpreisvereinbarungen. Diese würden – anders als die Rabattverträge – zwischen den Krankenkassen und den Apothekern ohne Beteiligung der Industrie geschlossen.

Bonus in der Kritik

Einen zentralen Aspekt der Bewertung in dem vorgelegten Gutachten bilden die vorgeschlagenen Bonuszahlungen von 50 Cent pro Zielpreisarzneimittel an Apotheken und die ebenfalls vorgeschlagenen Gutschriften der Differenzen zwischen dem Zielpreis und dem tatsächlichem Preis auf einem Bonuskonto bei Abgaben unter dem Zielpreis. Damit würden Anreize für Apotheker geschaffen, möglichst nur noch Arzneimittel abzugeben, die höchstens den Zielpreis kosten. Dies würde sich als Nachteil auf die Hersteller teurerer Arzneimittel auswirken. Solche Zahlungen seien als Beihilfen im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG-Vertrag zu werten, wenn aus staatlichen Mitteln eine selektive Begünstigung an Unternehmen gewährt wird und dabei eine Wettbewerbsverfälschung oder eine Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels auch nur drohen würde. Alle diese Bedingungen seien hier erfüllt.

Es sei keine Gegenleistung des Apothekers für den 50 Cent-Bonus zu erkennen, zumal vergleichbare Auswahlentscheidungen bisher ohne Zusatzentgelt erbracht würden. Auch als Kompensation für Umsatzausfälle sei der Betrag zu hoch, weil 50 Cent bei Berücksichtigung des dreiprozentigen umsatzabhängigen Aufschlages der Arzneimittelpreisverordnung der zusätzlichen Marge aufgrund von 17 Euro Mehrumsatz entsprechen. Die Mittel seien als staatlich im Sinne des EU-Rechts zu werten, weil sie über eine vom Staat benannte Einrichtung gewährt werden und aus Zwangsbeiträgen stammen. Die Selektivität werde sehr weit ausgelegt und gelte auch für Begünstigungen ganzer Industriezweige. Auch die Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels sei hier gegeben, weil es bereits ausreiche, wenn die Maßnahme den Wettbewerb zu verfälschen drohe und die Möglichkeit des grenzüberschreitenden Handels bestehe. Als Fazit seien Zielpreisvereinbarungen unzulässig und die darauf beruhenden Verträge nichtig. Allerdings könnten die Vertragspartner zuvor eine Genehmigung bei der EU-Kommission beantragen, wenn auch mit fraglichen Erfolgsaussichten. Wie die vorgeschlagenen Zielpreise sei auch der bereits seit Anfang Juli praktizierte Vertrag über die hausarztzentrierte Versorgung in Baden-Württemberg wegen des Bonusmodells für Ärzte als unzulässige Beihilfe zu beanstanden.

Vergaberecht tangiert

Die Argumentation gegen das Zielpreiskonzept stützt sich immer wieder auf den Bonus, aber nicht auf die eigentliche Zielpreisvereinbarung, die ebenfalls einen Anreiz zur Abgabe der preisgünstigen Arzneimittel darstellen würde. So räumte Witting auf Nachfrage ein, dass der Zielpreismechanismus ohne den 50-Cent-Bonus für Apotheken beihilferechtlich neutral zu werten sei. Dagegen erklärte Byok, auch ohne das beihilferechtliche Problem seien die Zielpreise vergaberechtlich zu beanstanden. Denn im Gegensatz zur Auffassung der ABDA hält er bei Zielpreisvereinbarungen Ausschreibungen für notwendig. Damit entfalle zugleich ein wesentliches Argument der Apotheker für die Zielpreisvereinbarungen. Auf den Einwand, der wirtschaftliche Kern der Zielpreisvereinbarungen liege in der Auswahlentscheidung auf der Mikroebene beim einzelnen Apotheker und Patienten, entgegnete Byok, die entscheidende Regelung werde auf der Verbandsebene getroffen und unterliege daher dem Vergaberecht. Sie werde vom Apotheker jeweils nur exekutiert.

Zur quantitativen Bedeutung der vorgeschlagenen Zielpreisvereinbarungen erklärte der BAH-Vorsitzende Hans-Georg Hoffmann, es werde mit 400 Millionen Euro Einsparungen der gesetzlichen Krankenkassen bei 200 bis 220 Millionen Packungen gerechnet. Durch einen Bonus von 50 Cent pro Packung würde die Einsparung damit halbiert.

Diskussionsangebot

Hoffmann betonte, das Gutachten richte sich gegen niemanden. Der Verband und seine Mitglieder würden nicht mit Klagen drohen. Vielmehr sei es als Beitrag zur Diskussion gemeint. Zu den wirtschaftlichen Hintergründen erklärte Hoffmann, dass der BAH besonders den Kellertreppeneffekt der Zielpreise fürchtet, der durch die Wechselwirkung mit den Festbeträgen entstehe. Zielpreise würden Pharmaunternehmen zu Preissenkungen veranlassen, die bei der nächsten Festbetragsanpassung automatisch wieder zu niedrigeren Festbeträgen führen würden. So entstünde ein Teufelskreis, der auch zu Lasten der Patienten wirke. Denn es gäbe dann bald keinen Spielraum mehr für Preise, die deutlich unter dem Festbetrag liegen, und damit auch keine daraus abzuleitende Zuzahlungsbefreiung mehr.

Allerdings räumte Hoffmann ein, Zielpreise böten gegenüber den intransparenten Rabattverträgen den Vorteil, nicht zu einem "closed shop" zu führen. Es könnten alle Anbieter weiter am Markt bleiben, die ihren Preis auf den Zielbetrag senken können. Auf Nachfrage kündigte Hoffmann an, der BAH wolle nicht nur vorgeschlagene Modelle kritisieren, sondern werde bei seiner Mitgliederversammlung am 24. September einen eigenen konstruktiven Vorschlag für eine geeignete Regelung unterbreiten.




Einen Kommentar hierzu von Thomas Müller-Bohn finden Sie hier.

 

KOMMENTAR

Neuer Vorschlag gesucht 

 

Der BAH will mit einem Rechtsgutachten belegen, dass Zielpreisvereinbarungen als Unternehmensbeihilfen von der EU-Kommission genehmigt werden müssten. Doch die eigentliche Botschaft ist, wie sehr die Industrie die Zielpreise fürchtet. Denn diese würden ohne Industriebeteiligung durch Kassen und Apotheker beschlossen und könnten noch stärker als die bisherigen Instrumente eine Abwärtsspirale der Preise in Gang setzen. Wichtiger als die rechtliche scheint die politische Botschaft an die Apotheker, wie wenig die Industrie von dem Konzept hält. Denn ohne Verbündete hat es keine Zukunft. Die rechtliche Argumentation gegen das Konzept scheint allerdings auf dünnes Eis gebaut zu sein. So wäre der Bonus für Apotheker, auf den sich die Kritik hauptsächlich stützt, kein zwingender Teil des Konzepts – der ersparte Rabattvertragsärger könnte mehr wert sein. Außerdem wäre noch darzulegen, welche Kosten die laufende Datenpflege des Zielpreissaldos wirklich verursachen würde und ob dies nicht eine echte Gegenleistung wäre. Fraglich scheinen auch die EU-rechtlichen Folgen der zwangsläufig nationalen Zielpreise. Denn ausländische Versandapotheken könnten den Verträgen beitreten, wenn sie sich den hiesigen Regeln unterwerfen wollen. Spannender als die rechtliche Betrachtung dürfte dagegen sein, was die Industrie selbst als konstruktive Alternative zu den für die Apotheker perspektivlosen Rabattverträgen vorschlagen wird. Es wäre auf ein für alle akzeptables Konsensmodell zu hoffen. Denn der politische Konsens wäre der beste Schutz vor rechtlichen Angriffen, die irgendwie immer möglich scheinen. So ist ein langfristig arbeitsfähiges Konzept offenbar nur gemeinsam zu finden. 

Thomas Müller-Bohn

 

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.