Arzneimittel und Therapie

Lapatinib zur Behandlung von fortgeschrittenem Brustkrebs

Der neue Tyrosinkinasehemmer Lapatinib (Tyverb®) ist jetzt in Europa zur Behandlung des fortgeschrittenen Mammakarzinoms vorläufig unter Auflagen zugelassen worden und seit dem 16. Juni in Deutschland erhältlich. Wie Trastuzumab richtet sich auch Lapatinib gegen den Wachstumsfaktor-Rezeptor HER2 und hemmt das Wachstum der Krebszellen.
Lapatinib

Lapatinib wird in Kombination mit Capecitabin zur Therapie von Patientinnen mit fortgeschrittenem oder metastasiertem ErbB2 (HER2)-positivem Brustkrebs eingesetzt, deren Erkrankung nach vorangegangener Therapie mit Anthracyclinen, Taxanen und in der metastasierten Situation Trastuzumab (Herceptin®) progredient ist.

Zulassung unter Auflagen

Der Wirkstoff wurde im März 2007 von der US-Zulassungsbehörde FDA (Federal Drug Administration) unter dem Namen Tykerb® in den USA erstmalig zugelassen, weitere Zulassungen folgten am 30. März 2007 in Japan und am 23. Mai 2007 in der Schweiz. Aufgrund der guten Wirksamkeit wurde Lapatinib in Kombination mit Capecitabin auch in die Leitlinien zur Therapie des Mammakarzinoms aufgenommen.

Die European Medicines Agency (EMEA) hat Lapatinib jetzt in allen 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie Island und Norwegen unter Auflagen zugelassen.

Eine Zulassung unter Auflagen wird einem Arzneimittel erteilt, das einen bisher nicht gedeckten medizinischen Bedarf erfüllt. Dabei muss der Vorteil für die Gesundheit die potenziellen Risiken übersteigen, die darin liegen können, dass endgültige Studiendaten noch ausstehen. Bei Lapatinib muss der Hersteller GlaxoSmithKline weitere Ergebnisse liefern und eine ergänzende Studie initiieren.

Behandlung des aggressiven Mammakarzinoms

Lapatinib wird zur Behandlung einer besonders aggressiven Form des Mammakarzinoms eingesetzt, des ErbB2 (HER2)-positiven Brustkrebses, der bei 20 bis 30% aller Mammakarzinome vorkommt.

Die Zellen dieser Karzinome zeichnen sich durch eine starke Vermehrung, eine Überexpression, des HER2-Rezeptors aus.

Dieser Rezeptor lässt sich mit dem monoklonalen Antikörper Trastuzumab blockieren. Trastuzumab blockiert ihn auf der Zelloberfläche.

Voraussetzung für seine Wirkung ist, dass die Krebszellen den HER2-Rezeptor verstärkt bilden.

Steckbrief: Lapatinib

Handelsname: Tyverb

Hersteller: GlaxoSmithKline GmbH, Bad Oldesloe

Einführungsdatum: 16. Juni 2008

Zusammensetzung: 1 Filmtablette enthält 250 mg Lapatinib, als Lapatinibditosilat-Monohydrat. Sonstige Bestandteile: Tablettenkern: mikrokristalline Cellulose, Povidon (K30), Carboxymethylstärke-Natrium (Typ A), Magnesiumstearat. Filmüberzug: Hypromellose, Titandioxid (E 171), Macrogol 400, Polysorbat 80, Eisen(III)-hydroxid-oxid x H2 O (E 172), Eisen(III)-oxid (E 172).

Packungsgrößen, Preise und PZN: 70 Filmtabletten, 1611,63 Euro, PZN 0886073.

Stoffklasse: Zytostatika, andere antineoplastische Mittel und Protektiva; Proteinkinasehemmer. ATC-Code: L01XE07.

Indikation: In Kombination mit Capecitabin zur Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem oder metastasiertem Brustkrebs, deren Tumore ErB2 (HER2) überexprimieren. Die Patienten sollen eine progrediente Erkrankung nach vorangegangener Therapie, die Anthracycline und Taxane sowie in der metastasierten Situation Trastuzumab einschloss, aufweisen.

Dosierung: 1250 mg (fünf Tabletten) Lapatinib einmal täglich, fortlaufend eingenommen, im Abstand von einer Stunde zu den Mahlzeiten; in Kombination mit 2000 mg/m2 und Tag Capecitabin, aufgeteilt in zwei Einzelgaben im Abstand von zwölf Stunden an den Tagen 1 bis 14 eines 21-tägigen Behandlungszyklus. Capecitabin sollte zu den Mahlzeiten oder innerhalb von 30 Minuten nach einer Mahlzeit eingenommen werden.

Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile.

Nebenwirkungen: Sehr häufig: Durchfall, der zu Dehydratation führen kann, Übelkeit, Erbrechen; Hautausschlag (einschließlich akneformer Dermatitis); Anorexie; Müdigkeit. Häufig: verringerte linksventrikuläre Auswurffraktion; Hyperbilirubinämie, Hepatotoxizität.

Wechselwirkungen: Lapatinib wird vorwiegend durch CYP 3A verstoffwechselt, daher sind zahlreiche Wechselwirkungen zu beachten. Eine gleichzeitige Behandlung mit CYP-3A4-Induktoren oder -Inhibitoren sollte vermieden werden, ebenso mit Arzneimitteln, die eine geringe therapeutische Breite aufweisen und Substrate für CYP 3A4 und CYP 2C8 darstellen. Grapefruitsaft sollte während der Behandlung mit Lapatinib gemieden werden. Eine gleichzeitige Behandlung mit Stoffen, die den pH-Wert des Magens erhöhen, sollte vermieden werden.

Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: Vorsicht ist bei Patienten mit Zuständen geboten, die die Funktion des linken Ventrikels beeinträchtigen könnten. Die Patienten sollten auf Symptome einer pulmonalen Toxizität hin überwacht werden. Die Leberfunktion sollte vor Beginn der Behandlung und danach monatlich, oder wie klinisch indiziert, kontrolliert werden; bei schweren Leberfunktionsstörungen sollte Lapatinib abgesetzt werden, und die Patienten sollten nicht erneut behandelt werden. Vorsicht ist bei der Anwendung bei Patienten mit schwerer Nierenfunktionsstörung geboten. Die Behandlung mit Lapatinib kann zu Durchfällen einschließlich schwerer Diarrhö führen.

Angriff im Zellinneren

Auch das neue Lapatinib richtet sich gegen den HER2-Rezeptor. Das kleine Molekül gelangt im Gegensatz zu Trastuzumab in das Zellinnere und blockiert auf der Innenseite der Zellmembran reversibel an der ATP-Bindungsstelle die Signalweiterleitung des Rezeptors durch Tyrosinkinasen. Lapatinib wirkt auch dann noch, wenn die Tumorzellen bereits gegen Trastuzumab resistent geworden sind.

Einmal täglich fünf Tabletten

Lapatinib ist kleiner und stabiler als ein Antikörper und eignet sich zur oralen Anwendung. Eine Tablette Tyverb® enthält 250 mg Lapatinib. Die empfohlene Dosierung beträgt einmal täglich fünf Tabletten (1250 mg) über 21 Tage in Kombination mit Capecitabin 2000 mg/m2 /Tag oral in zwei Dosen an den Tagen 1 bis 14.

Lapatinib wird überwiegend durch CYP 3A verstoffwechselt. Die gleichzeitige Verabreichung mit starken CYP-3A4-Inhibi-

toren und -Induktoren sollte deshalb vermieden werden.

Längeres Überleben in Zulassungsstudie

Insgesamt wurden und werden derzeit rund 250 klinische Studien mit Lapatinib in Krankenhäusern und Kliniken in Nordamerika, Europa und Japan durchgeführt. In Deutschland sind es insbesondere Studien zu Brust-, Blasen- und Nierenkrebs sowie Kopf- und Halstumoren. Bisher wurde der Wirkstoff im Rahmen klinischer Studien an über 4500 Patienten eingesetzt. Diese erhielten entweder nur Lapatinib oder Lapatinib kombiniert mit einem Chemotherapeutikum oder einer zielgerichteten Therapie.

Grundlage für die Zulassung von Lapatinib durch die EMEA war eine Phase-III-Studie bei Frauen mit ErbB2 (HER2)-überexprimierendem, lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Brustkrebs, deren Erkrankung nach einer vorangegangenen Behandlung mit Anthracyclinen, Taxanen und Trastuzumab progredient war.

In dieser Studie wurden die Patientinnen in zwei Studienarme randomisiert und mit einer Kombination aus Lapatinib und Capecitabin (n = 198) oder mit Capecitabin allein (n = 201) behandelt.

Da die Frauen unter der Therapie mit Lapatinib deutlich länger lebten, wurde die Studie nach der geplanten Zwischenanalyse vorzeitig abgebrochen. Unter der Kombinationstherapie waren 49 Ereignisse durch ein Fortschreiten des Tumors aufgetreten, unter der Monotherapie 72. Die Beurteilung durch ein unabhängiges Review-Komitee zeigte für Patientinnen im Kombinationsarm mit Lapatinib eine signifikant verlängerte Zeit bis zur Tumorprogression: 6,2 Monate (27,1 Wochen) verglichen mit Capecitabin allein (4,3 Monate, 18,6 Wochen, Hazard Ratio 0,57, p = 0,0001). Die Beurteilung durch die Prüfärzte bestätigte die signifikante Verlängerung der medianen Zeit bis zur Progression: 23,9 Wochen im Kombinationsarm versus 18,3 Wochen im Capecitabin-Monotherapie-Arm (Hazard Ratio: 0,72, p = 0,008).

Eine Analyse der Gesamtüberlebensdaten vom September 2007 zeigte bereits einen Trend in Richtung einer verlängerten Gesamtüberlebenszeit: Im Median 74 Wochen versus 65,9 Wochen (p = 0,3).

Wirkung gegen Hirnmetastasen

Lapatinib kann die Blut-Hirn-Schranke überwinden und wirkt gut gegen Hirnmetastasen des Mammakarzinoms. Unter der Kombinationstherapie entwickelten in der Zulassungsstudie nur vier Frauen Hirnmetastasen, in der Vergleichsgruppe waren es 13.

Zur Untersuchung der Wirkung einer Lapatinib-Mono- oder Kombinationstherapie auf Hirnmetastasen wurden große, internationale, randomisierte Phase-II-Studien gestartet. Erste Ergebnisse einer Studie mit 241 Patientinnen weisen darauf hin, dass Lapatinib bei mehrfach vorbehandelten ErbB2-positiven-Patientinnen mit ZNS-Metastasen klinisch wirksam ist. Bei 19 Patientinnen (7%) unter Lapatinib-Monotherapie kam es zu einem partiellen Ansprechen. Bei 46 Patientinnen (19%) verminderte sich das Volumen der Gehirnläsionen um mindestens 20%. Bei 102 Patientinnen (42%) stabilisierte sich der Krankheitszustand für mindestens acht Wochen. Insgesamt zeigte sich bei 22% der Patientinnen innerhalb der ersten sechs Monate unter Monotherapie mit Lapatinib keine Progression.

Nebenwirkung Diarrhö

Lapatinib ist in der Regel gut verträglich. Die Mehrzahl aller Nebenwirkungen entsprach Grad 1 und 2. Die Toxizität war in den beiden Gruppen fast gleich, wenn auch unter der Therapie mit Lapatinib etwas häufiger eine milde bis moderate Diarrhö und ein Hautausschlag auftraten. Häufige unerwünschte Wirkungen waren außerdem Übelkeit, Erbrechen und ein Hand-Fuß-Syndrom mit Parästhesien, Schwellungen und Rötungen.

Die meisten der unerwünschten Wirkungen waren leicht bis mäßig ausgeprägt und nicht signifikant häufiger als unter einer Capecitabin-Monotherapie.

Studien zur First-line-Therapie

Auch zur First-line-Behandlung des metastasierten, ErbB2 (HER2-)-positiven Brustkrebs mit Lapatinib in Kombination mit Paclitaxel gibt es bereits Studiendaten. Bei der Kombination von Lapatinib mit Paclitaxel (n = 52) versus Paclitaxel alleine (n = 39) bei Patientinnen mit ErbB2-positiver Erkrankung verlängerte sich das progressionsfreie Intervall von 5,8 auf 8,1 Monate, die mediane Ansprechdauer von 5,5 auf 7,4 Monate. Komplette oder partielle Remissionen traten bei 60% versus 36% der Patientinnen auf. Vorläufige Daten weisen nach 39 Todesfällen auf einen Trend in Richtung verlängerter Gesamtüberlebenszeit hin: 24 Monate vs. 19 Monate.

Einsatz zur adjuvanten und neoadjuvanten Therapie

Lapatinib wird außerdem zur adjuvanten Therapie untersucht, also zur Behandlung im Anschluss an eine Operation, bei der zwar der Tumor vollständig entfernt werden konnte, es im Körper dennoch weitere, bisher nicht nachweisbare Krebszellen geben könnte, die sogenannten Mikrometastasen.

An den Studien Altto (Adjuvant Lapatinib and/or Trastuzumab Treatment Optimisation) und Teach (Study of Tyverb® Evaluation After Chemotherapy) werden voraussichtlich mehr als 11.000 Patientinnen teilnehmen.

In der dreiarmigen Studie Neo-Altto wird die neoadjuvante Gabe von Lapatinib, Trastuzumab und deren Kombination mit Paclitaxel bei Frauen mit ErbB2-positivem primärem Brustkrebs untersucht, also der Einsatz vor der operativen Entfernung des bösartigen Tumors mit dem Ziel, diesen zu verkleinern und potenzielle Mikrometastasen frühzeitig abzutöten. Geplant sind hier 450 Patientinnen.

Der neue Wirkstoff wird im frühen klinischen Stadium auch für die Behandlung anderer solider Tumoren geprüft, die eine ErbB1- und ErbB2-Überexpression aufweisen. Dazu gehören Nierenkrebs, Kopf- und Halstumoren. Darüber hinaus wird die Substanz bei entzündlichen Formen des fortgeschrittenen oder rezidivierten ErbB2-positiven Brustkrebs getestet.

 

Quelle

Geyer, C., et al.: Lapatinib plus capecitabine for HER2-positive advanced breast cancer. N. Engl. J. Med. 355, 2733-2743 (2006).

Muss, H.: Targeted therapy for metastatic breast cancer. N. Engl. J. Med. 355, 2783-2785 (2006).

Fachinformation zu Tyverb®, Stand Juni 2008.

 


hel

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.