Arzneimittel und Therapie

Meinung: Masernepidemie in Deutschland

Im Schatten der lautstark geführten Diskussion um die Vogelgrippe hat sich fast unbemerkt eine andere Virusinfektion ausgebreitet, die dank eines effektiven Impfstoffs eigentlich schon längst zu den besiegten Infektionskrankheiten zählen sollte: die Masern.

Im Herbst 2005 wurde Südbayern von einer Masernwelle heimgesucht. Mehr als 150 Menschen erkrankten. Im Februar dieses Jahres wurden ungewöhnlich viele Fälle von Masern im Raum Esslingen registriert. Betroffen waren Kinder und Jugendliche im Alter von drei bis 20 Jahren. Die meisten von ihnen waren ungeimpft. Epidemieartige Ausmaße mit über 500 Masernerkrankungen werden jetzt aus Nordrhein-Westfalen gemeldet. Aber auch in anderen Ländern wie England und Wales häufen sich die Masernfälle. Was ist der Grund?

Seit Jahren gilt die Empfehlung, dass Kinder im Alter von 11 bis 14 Monaten und ein zweites Mal zwischen 15 und 23 Monaten mit dem MMR-Impfstoff geimpft werden sollen. Die zweite Impfung wird dringend empfohlen, weil bei bis zu 20% der Kinder mit der 1. Impfung kein ausreichender Infektionsschutz zu erzielen ist. Aktuelle Daten zu Durchimpfungsraten aus dem Jahr 2005 zeigen, dass zwar etwa 93% aller Schulkinder in Deutschland einmal gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) geimpft worden sind, aber nur etwa 65% eine zweite Impfdosis erhalten haben. Das ist zu wenig! Epidemieartige Ausbrüche der Masern lassen sich nur verhindern, wenn mindestens 95% der Gesamtbevölkerung geschützt sind. Erst dann lässt sich die Viruszirkulation unterbrechen.

Eine Maserninfektion ist keine harmlose Viruserkrankung. Zwar hinterlässt sie eine lebenslange Immunität, doch induziert sie eine über sechs Wochen anhaltende transitorische Immunschwäche, die den Boden für bakterielle Superinfektionen bereitet. Besonders häufig sind schwere Mittelohrentzündungen, Lungenentzündungen, Bronchitis und Diarrhö. Gefürchtet ist eine akute postinfektiöse Enzephalitis, die vier bis sieben Tage nach Erscheinen des Exanthems in 0,1% der Fälle auftritt, in 20 bis 30% der Fälle mit bleibenden ZNS-Schäden einhergeht und in 10 bis 20% der Fälle tödlich endet.

Doch auch eine zunächst komplikationslos abgeklungene Maserninfektion kann Jahre später für böse Überraschungen sorgen. Literaturangaben zufolge tritt bei sieben bis elf von 100.000 Erkrankten eine subakute sklerosierende Panenzephalitis auf. Es handelt sich hierbei um eine progredient verlaufende knötchenförmige Entzündung des gesamten Gehirns, die mit psychischen und intellektuellen Veränderungen beginnt und zu neurologischen Ausfällen und Störungen bis hin zum vollständigen Verlust zerebraler Funktionen führt. Die Prognose ist stets infaust.

Berichte über die zurzeit zum Glück noch wenigen H5N1-Infektionen beim Menschen haben zu Hamsterkäufen bei Medikamenten und Atemschutzmasken geführt. Da bleibt nur zu hoffen, dass Berichte über Hunderte von Masernerkrankungen in Deutschland einen Ansturm auf MMR-Impfungen auslösen werden. Denn im Gegensatz zu den gefürchteten Infektionen mit unbekannten Influenzaviren haben wir hier schon einen Impfstoff, der epidemieartige Ausbrüche hätte verhindern können und die weitere Ausbreitung stoppen kann.

Zum Weiterlesen

Falsche Kontraindikationen. Impfen ausdrücklich erlaubt. DAZ 2005, Nr. 46, S. 33–35. www.deutsche-apotheker-zeitung.de

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