Arzneimittel und Therapie

Von Mythen und Märchen rund um die Verstopfung

Zur Entstehung und Behandlung einer Verstopfung existieren bei Laien und oft auch in Fachkreisen viele beharrlich vertretene Vorstellungen. Solche Empfehlungen, beispielsweise zur allgemeinen Lebensweise, entbehren jedoch in einigen Fällen jeglicher wissenschaftlicher Grundlage. Wir sprachen mit dem Gastroenterologen Prof. Dr. Stefan A. Müller-Lissner, Chefarzt der Abteilung Innere Medizin der Parkklinik Weißensee, Berlin.

DAZ

Herr Professor Müller-Lissner, Sie beschäftigen sich in Ihrer Arbeit mit dem Thema Darmträgheit und Ballaststoffe. Welche Funktion haben Ballaststoffe im Körper?

Müller-Lissner:

Ballaststoffe sind unverdauliche Nahrungsbestandteile, meist Kohlenhydrate, die Wasser binden können, solange sie ungespalten sind. Durch körpereigene Enzyme des Dünndarms können sie nicht aufgespalten und verdaut werden. Erst im Dickdarm werden sie teilweise von dort ansässigen Bakterien gespalten. Bei den meisten Menschen erhöht eine ballaststoffreiche Kost die Stuhlmenge und die Stuhlfrequenz. Daran besteht kein Zweifel.

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Wir Apotheker messen das Quellvermögen im Reagenzglas als einen Parameter für die Wasserbindungskapazität. Hat das tatsächlich einen Einfluss auf das Darmvolumen?

Müller-Lissner:

In diesem Fall ist es wichtig zwischen bakteriell spaltbaren und bakteriell nicht-spaltbaren Ballaststoffen zu unterscheiden. Bakteriell spaltbare Ballaststoffe sind z. B. Pektin oder Guar. Diese Stoffe verlieren nach der bakteriellen Spaltung im Dickdarm weitgehend ihre Wasserbindungskapazität. Der Effekt auf den Stuhlgang ist daher minimal. Weizenkleie als Beispiel eines bakteriell schlecht spaltbaren Ballaststoffes behält die Fähigkeit, Wasser zu binden. Daher hat Weizenkleie einen höheren Einfluss auf das Stuhlgangsvolumen. Zusammenfassend sagt das Quellvermögen im Reagenzglas den Effekt auf den Stuhlgang also nicht voraus.

DAZ

Bei Gesunden haben Ballaststoffe einen positiven Einfluss auf die Darmtätigkeit. Ist die Steigerung der Ballaststoffzufuhr auch ein guter Tipp für Verstopfte?

Müller-Lissner:

Nun, ballaststoffarme Kost kann nicht als die Ursache der chronischen Verstopfung angesehen werden. In Untersuchungen konnte festgestellt werden, dass es keinen Unterschied im Ballaststoffgehalt der Nahrung von verstopften Patienten und gesunden Kontrollpersonen gibt. Möglicherweise ist die Ballaststoffzufuhr jedoch in einer Untergruppe ein Faktor, der das Auftreten der Obstipation begünstigt. Diesen Patienten kann durch eine faserreichere Kost geholfen werden, bei vielen Patienten mit schwerer Obstipation verschlimmern sich jedoch die Symptome der Verstopfung (z. B. Meteorismus), wenn sie vermehrt Ballaststoffe zu sich nehmen.

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Herr Professor Müller-Lissner, vielen Dank für das Gespräch! Ulrika Hinkel, Bad Vilbel

Mythen und falsche Vorstellungen zur Verstopfung

Zur Entstehung und Behandlung einer Verstopfung halten sich beharrlich Vorstellungen und Empfehlungen, beispielsweise zur allgemeinen Lebensweise, die jedoch in einigen Fällen jeglicher wissenschaftlicher Grundlage entbehren. Um hier für Klarheit zu sorgen, haben internationale Gastro-Experten gemeinsam eine Übersichtsarbeit erarbeitet. Hierzu wurden die Arbeiten der letzten 30 Jahre gesichtet, 105 von ihnen enthielten Daten zum Thema Opstipation.

Diese Übersichtsarbeit wurde im Januar im American Journal of Gastroenterology publiziert (Müller-Lissner, S. A.; Kamm, M.; Scarpignato, C.; Wald, A.: Myths and misconceptions about chronic constipation. Am. J. Gastroenterol. 100, 232-242 (2005).

Teil 1 des Interviews mit einem der Autoren, erschienen in der DAZ 12, räumt auf mit der Vorstellung, dass viel Trinken gegen Verstopfung hilft. Teil 3 des Interviews lesen Sie in der nächsten Ausgabe der DAZ.

 

Ulrika Hinkel, Bad Vilbel

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