

Roman Herzog hatte am 30. September in Berlin den Bericht seiner Kommission zur Zukunft der Sozialsysteme in Berlin vorgestellt, der einen radikalen Systemwechsel in der gesetzlichen Krankenversicherung bedeutet. Während Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) die Vorschläge als "unausgegoren und finanziell unsolide" ablehnte, unterstützte CDU-Chefin Angela Merkel diese ausdrücklich.
Im Bericht von Herzog wird für mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen insgesamt und in der Arzneimitteldistribution plädiert. Hier sei die Konkurrenz zu schwach ausgeprägt. Durch die "konsequente" Verschreibung von Generika und Analogpräparate könnten 4,5 Milliarden Euro gespart werden.
Weiter wird im Bericht der abgesenkte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent für Arzneimittel analog zu Lebensmitteln oder Büchern empfohlen. So könnten die Krankenkassen im Jahr 2010 rund 1,3 Milliarden Euro sparen. Vorgeschlagen wurde über die elektronische Gesundheitskarte hinaus die Einführung einer elektronischen Patientenakte, was die Kassen im selben Jahr um 2,1 Milliarden Euro entlaste.
Als "dringend reformbedürftig" bezeichnete der Alt-Bundespräsident die Marktmechanismen auf dem Arzneisektor, bei dem er die "starke Anbieterdominanz" und den zu schwachen Wettbewerb zwischen Herstellern und Händlern kritisierte, also die Tätigkeiten von Industrie, Apothekern und pharmazeutischem Großhandel. Große Sympathie äußerte Herzog für die integrierte Versorgung, die mit Hilfe von Einzelverträgen zwischen Krankenkassen und Ärzten oder Apothekern ausgebaut werden solle.
Für die Krankenversicherung schlägt dieses Gremium, das sich auch zur Zukunft der Rente, der Pflege- und der Arbeitslosenversicherung äußerte, den Systemwechsel vom Umlageverfahren in ein kapitalgedecktes, einkommensunabhängiges Modell vor. Ohne Reform sieht Herzog die Sozialversicherung "in die Luft fliegen".
Zur Entlastung der Arbeitgeber wird die Entkoppelung der Krankenkassenbeiträge vom Lohn gefordert. Der Arbeitgeberanteil solle bei 6,5 Prozent festgeschrieben werden. Alle Erwerbseinkünfte der Versicherten sollen für die Beiträge herangezogen werden. Es soll – frühestens 2013 – ein Modell mit unterschiedlich hohen Prämien je nach Eintrittsalter der Kranken kommen. Monatlich zahlen dann alle 264 Euro für ihre Krankenversicherung.
Dieser Beitrag gelte auch für Ältere, da zuvor zehn Jahre lang ein Kapitalstock für Rücklagen gebildet werde, der 2013 aufgelöst werde und dessen Summen als individualisierte Altersrückstellung in die Krankenversicherung einflössen.
Für Geringverdiener sollen Steuermittel eingesetzt werden, deren Höhe Herzog auf rund 27 Milliarden Euro jährlich bezifferte. Seine Kommissionsmitglieder hoffen auf einen stabilen Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung von 13,4 Prozent bis über das Jahr 2030 hinaus. Zahnbehandlungen sollten Arbeitnehmer allein absichern, die Zuständigkeit für Krankengeld soll auf die Arbeitgeber überwechseln.
Auch der privaten Krankenversicherung will Herzog mehr Wettbewerb verordnen. Privatversicherte sollten leichter als bisher wechseln können, um in eine günstigere Assekuranz zu kommen. Da die bei einer privaten Versicherung angesparten Beträge bisher beim Wechsel bei dem alten Unternehmen verbleiben, ist für viele PKV-Versicherte ab einem bestimmten Alter der Wechsel derzeit erschwert.
Einer Bürgerversicherung – in die auch Selbstständige wie beispielsweise Apothekenleiter einbezogen würden – erteilte Herzog eine klare Absage.
Cornelia Yzer vom Verband der Arzneimittelhersteller in Berlin begrüßte die Vorschläge. In einer Mitteilung vom 2. Oktober führte die Hauptgeschäftsführerin aus, ein grundlegendes Umsteuern in der Gesundheitspolitik sei notwendig. Erstmals erhielten die Versicherten mit den Herzog Plänen die Chance, ihren Versicherungsschutz nach ihren individuellen Bedürfnissen maßzuschneidern.
Für die CSU kündigte deren stellvertretender Vorsitzende Seehofer ein eigenes Konzept an. Der ehemalige Bundesgesundheitsminister kritisierte die Herzog-Vorschläge als "neoliberal" und warnte vor Wählerstimmen-Verluste bei Umsetzung des Konzepts. Der "Berliner Zeitung" sagte Seehofer, die Hauptbetroffenen wären Geringverdiener und Kranke. Er vermisse die soziale Balance der Vorschläge. Das eigene Konzept werde sozialer aussehen, so der CSU-Gesundheitsexperte.
Die Vorschläge von Alt-Bundespräsident Roman Herzog (CDU) zu mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen und speziell im Arzneisektor teilt die Schwesterpartei CSU nicht. Deren stellvertretender Vorsitzender Horst Seehofer äußerte sich am 4. Oktober in mehreren Interviews "schockiert" darüber. Cornelia Yzer vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) bezeichnete dagegen die Pläne der Herzog-Kommission als richtig.
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