Herzog-Kommission: "Starke Dominanz" der Pharma-Industrie

Bonn (im). Alt-Bundespräsident Roman Herzog (CDU) will dem Gesundheitswesen mehr Wettbewerb verordnen. Als "dringend reformbedürftig" bezeichnet er die Marktmechanismen auf dem Arzneisektor, bei dem er die "starke Anbieterdominanz" und den zu schwachen Wettbewerb zwischen Herstellern und Händlern kritisiert, also die Tätigkeiten von Industrie, Apothekern und pharmazeutischem Großhandel. Herzog stellte am 30. September in Berlin den Bericht seiner Kommission zur Zukunft der Sozialsysteme in Berlin vor. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) nannte die Vorschläge "unausgegoren und finanziell unsolide".

Mehrwertsteuer runter!

Roman Herzog hatte die CDU-Sozialkommission geleitet, die am 3. Februar dieses Jahres eingesetzt worden war und den jetzt veröffentlichten 76 Seiten starken Bericht vorlegte. Darin wird mehr Wettbewerb für das Gesundheitswesen insgesamt und konkret auch in der Arzneimitteldistribution gefordert. Hier sei die Konkurrenz zu schwach ausgeprägt. Durch die "konsequente" Verschreibung von Generika und Analogpräparate könnten 4,5 Milliarden Euro gespart werden, glaubt der Alt-Bundespräsident.

Weiter wird im Bericht der abgesenkte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent für Arzneimittel analog zu Lebensmitteln oder Büchern empfohlen. So könnten die Krankenkassen im Jahr 2010 rund 1,3 Milliarden Euro sparen. Vorgeschlagen wurde über die elektronische Gesundheitskarte hinaus die Einführung einer elektronischen Patientenakte, was die Kassen im selben Jahr um 2,1 Milliarden Euro entlaste.

Systemwechsel angeregt

Für die Krankenversicherung schlägt dieses Gremium, das sich auch zur Zukunft der Rente, der Pflege- und der Arbeitslosenversicherung äußerte, den Systemwechsel vom Umlageverfahren in ein kapitalgedecktes, einkommensunabhängiges Modell vor. Ohne Reform sieht Herzog die Sozialversicherung "in die Luft fliegen". Zur Entlastung der Arbeitgeber wird die Entkoppelung der Krankenkassenbeiträge vom Lohn gefordert. Der Arbeitgeberanteil solle bei 6,5 Prozent festgeschrieben werden. Alle Erwerbseinkünfte der Versicherten sollen für die Beiträge herangezogen werden. Es soll - frühestens 2013 - ein Modell mit unterschiedlich hohen Prämien je nach Eintrittsalter der Kranken kommen. Monatlich zahlen dann alle 264 Euro für ihre Krankenversicherung. Dieser Beitrag gelte auch für Ältere, da zuvor zehn Jahre lang ein Kapitalstock für Rücklagen gebildet werde, der 2013 aufgelöst werde und dessen Summen als individualisierte Altersrückstellung in die Krankenversicherung einflössen. Für Geringverdiener sollen Steuermittel eingesetzt werden, deren Höhe Herzog auf rund 27 Milliarden Euro jährlich bezifferte. Seine Kommissionsmitglieder hoffen auf einen stabilen Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung von 13,4 Prozent bis über das Jahr 2030 hinaus.

Auch der privaten Krankenversicherung will Herzog mehr Wettbewerb verordnen. Privatversicherte sollten leichter als bisher wechseln können, um in eine günstigere Assekuranz zu kommen. Da die bei einer privaten Versicherung angesparten Beträge bisher beim Wechsel bei dem alten Unternehmen verbleiben, ist für viele PKV-Versicherte ab einem bestimmten Alter der Wechsel derzeit erschwert. Einer Bürgerversicherung - in die auch Selbstständige wie beispielsweise Apothekenleiter einbezogen würden - erteilte Herzog eine klare Absage. Die Bundesgesundheitsministerin lehnte die Vorschläge als unsolide ab.

Nach Worten von Ulla Schmidt hätten sowohl Regierung als auch die Rürup-Kommission ihre Reformarbeiten besser erledigt. Lesen Sie hierzu einen längeren Bericht in der nächsten DAZ.

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