Fachkongress

P. Jungmayr, T. Müller-BohnMehr als ein Zytostatika

Zum zehnten Mal fand in Hamburg-Harburg der onkologisch-pharmazeutische Fachkongress NZW (vormals Norddeutscher Zytostatika Workshop) statt. Vom 25. bis 27. Januar kamen über 500 Pharmazeuten, Mediziner und andere onkologisch Interessierte zusammen, um sich über neue Trends und Techniken zu informieren. Etwa 70 weitere Interessenten mussten aus räumlichen Gründen abgewiesen werden. Das Jubiläumsprogramm erstreckte sich erstmals über drei Tage und umfasste etwa zwanzig Vorträge, 25 Seminare, mehrere Industrie-Symposien, eine Podiumsdiskussion und die Industrie-Ausstellung. Die Themen reichten von Grundsatzfragen wie Chronobiologie, Pharmakogenomik und Patientenkompetenz bis zu technischen Details der Zytostatikazubereitung.

Zur Eröffnung des Jubiläums-NZW ging Kongresspräsident Klaus Meier, Hamburg-Harburg, gleichermaßen auf die Geschichte des NZW und auf Projekte für die Zukunft ein. Er erinnerte an den ersten NZW vor zehn Jahren mit 130 Teilnehmern. Dies sei der richtige Zeitpunkt gewesen, um mit der Spezialisierung onkologischer Pharmazeuten zu beginnen.

Als Ergebnis der Entwicklung verwies er auf Fort- und Weiterbildungsangebote, auf die Aktivitäten der Deutschen Gesellschaft für onkologische Pharmazie (DGOP) und auf Qualitätsstandards. Anhand der bundesweit gültigen QuapoS (Qualitätsstandards für den pharmazeutisch-onkologischen Service) wurden die beiden ersten Apotheken zertifiziert. Die Zertifikate wurden auf diesem NZW ausgehändigt.

Planungen für die Zukunft

Mit Blick auf künftige Aktivitäten wies Meier auf die European Society for Oncology Pharmacy (ESOP) hin, deren Delegierte im Vorfeld des NZW getagt hatten. Die ESOP organisiert gleichberechtigt mit den onkologischen Fachgesellschaften der Ärzte den europäischen Krebskongress ECCO 2003 in Kopenhagen.

Eine weitere Neuerung wird der "NZW-Süd", der erstmals am 20. und 21. September 2002 in Ravensburg stattfindet. Er ist zeitlich bewusst als "Post-ASCO-Meeting" geplant, um die Ergebnisse des großen amerikanischen Krebskongresses zeitnah in Europa präsentieren und diskutieren zu können. Kongresssprache wird voraussichtlich englisch sein, um mit der zentralen Lage in Europa auch Interessenten aus dem benachbarten Ausland anzusprechen. So wird sich der "NZW-Süd" auch deutlich vom bewährten NZW in Hamburg-Harburg unterscheiden, bei dem weiterhin die Pharmazeutische Betreuung als wichtiger Schwerpunkt bestehen bleibt.

Apotheker sind für den Wandel bereit

Auch Dr. Reinhard Hanpft, Geschäftsführer der Apothekerkammer Hamburg, würdigte die große Attraktivität des NZW, der eine feste Größe in der Fortbildungslandschaft sei. In der gesellschaftlichen Diskussion werde immer wieder unterstellt, Apotheker wollten keinen Wandel. Doch seien die Apotheker durchaus bereit, ihre Leistungen in neue Strukturen einzubringen, z. B. beim Disease Management. Dies sollte aber stets in enger Zusammenarbeit mit Kammern und Verbänden geschehen, damit nicht einzelne Beteiligte gegeneinander ausgespielt würden. Als positives Beispiel führte er das Harburger Projekt CareWerk (siehe Bericht in DAZ 36/2001) an, das sich zu einem Disease Management-Programm entwickeln könnte.

Mit kompetenten Patienten in die Zukunft

Dem Zukunftstrend Patientenkompetenz waren auf dem NZW ein eigener Plenarvortrag und eine Podiumsdiskussion gewidmet. Nach Auffassung von Prof. Dr. Gerd Nagel, Klinik für Tumorbiologie, Freiburg, wird die Medizin des 21. Jahrhunderts sich unter dem Einfluss der Patientenkompetenz nachhaltig verändern. Kompetente Patienten würden "dafür sorgen, dass der Graben zwischen Ärzten und Apothekern überbrückt wird".

Als kompetente Patienten bezeichnet Nagel Patienten,

  • die sich als Partner der Medizin verstehen,
  • über ihre Situation orientiert sind,
  • sich in Entscheidungsprozesse einbringen,
  • ein Konzept zur Selbsthilfe entwickeln und
  • an die Möglichkeit der Selbstheilung glauben.

Solche Patienten bräuchten kompetente Berater. Wenn sie mit etablierten Methoden "austherapiert" seien, würden sie in der Industrie nach Produkten und Verfahren in der Forschungspipeline fragen.

Gemäß einer gemeinsamen Untersuchung der Klinik für Tumorbiologie und der Deutschen Apotheker Zeitung (veröffentlicht in DAZ 33/01) fragen Tumorpatienten in Apotheken besonders häufig nach unkonventionellen "alternativen" Verfahren. Nach Ansicht von Nagel sind die Patienten mit vielen Fragen beim Apotheker besser als beim Arzt aufgehoben. Denn der Denkstil des Arztes sei "näher an der Krankheit im Menschen", der des Apothekers dagegen "näher am Menschen in der Krankheit".

Nicht weitermachen wie bisher

Kompetente Patienten hätten das Bedürfnis, selbst etwas für sich zu tun, und würden nach entsprechenden Möglichkeiten fragen. Die Antwort vieler Ärzte, sie sollten so leben wie bisher, gehe vollkommen an der Sichtweise dieser Patienten vorbei und sei fast verachtend. Denn viele Menschen würden Krebserkrankungen als Folge einer ungesunden Lebensweise oder ungünstiger Umweltfaktoren sehen - oder aufgrund einer naturreligiösen Vorstellung sogar als Ausdruck einer Art von Schuld. Demnach wollten sie ihre Lebensumstände ändern.

Der oft geäußerte Wunsch von Patienten "die Abwehr zu stärken", sollte nicht zu medizinisch verstanden werden. Patienten meinten damit nicht unbedingt die Immunabwehr, sondern jede Art von Abwehrfähigkeit des Menschen von gesunden Organen, intaktem Stoffwechsel bis hin zur Aggression. Krebspatienten suchten nach irgendeinem, manchmal vielleicht auch nur symbolischen "Hilfsmittel", mit dem sie wieder das Gefühl der Handlungsfähigkeit erhalten - etwa nach dem Motto: "Mir ist egal, ob das Mittel wirkt, Hauptsache es hilft."

Kompetente leben besser

Die Heilberufler sollten den Patienten insbesondere Orientierung in der Informationsflut bieten, damit diese zu kompetenten Patienten werden können. Nicht noch mehr Broschüren oder neue Internetsurftipps seien gefragt, sondern Orientierung, was für den Betroffenen relevant ist. Neben dem fachlichen Wissen müssten die Berater die Sprache der Patienten beherrschen. So könne eine langfristige und erfolgreiche Allianz zwischen Berater und Patient entstehen. Inzwischen mehren sich auch die Befunde, dass kompetente Patienten, die sich in ihre Behandlung einmischen, länger überleben. Patientenselbstregulation erweist sich als wichtiger prognostischer Kofaktor. Darum müsse zu Diagnose und Therapie der Krankheit die Sozialkompetenz hinzu kommen.

Das Ergebnis sollte eine ganzheitliche Betrachtungsweise sein, wie sie noch im 19. Jahrhundert verbreitet war. Ganzheitlichkeit bedeutet die "Vereinigung komplementärer Wirklichkeiten in einem Handlungsmodell", wobei hier die krankheitsorientierte "Schulmedizin" und die salutogenetische Sicht des kranken Patienten zu vereinen sind. Nagel begrüßte ausdrücklich, dass Apotheker sich in diese Entwicklung einmischen und wies auch auf die großen unternehmerischen Chancen einer "Profilierung als Beratungsapotheke" hin. Denn eine gute Beratung sei eine ideale Kundenbindung.

Die Sicht der Patienten

In einer Podiumsdiskussion unter Moderation von Annette Bopp, Hamburg, wurde weiter vertieft, was diese neue Sichtweise für Patienten bedeuten kann. Kerstin Hagemann, Patienteninitiative Hamburg, konstatierte bereits einen beachtlichen Wandel. Als die Patienteninitiative der durch Behandlungsfehler Geschädigten vor 18 Jahren gegründet wurde, habe es noch kein adäquates Orientierungsangebot gegeben und der Begriff der Patientenkompetenz war unbekannt. Inzwischen bietet die Initiative in drei Hamburger Krankenhäusern unabhängige Anlaufstellen. Mittlerweile ist die Beratung selbst als Markt erkannt worden. So stelle sich jetzt das Problem, seriöse Berater zu identifizieren.

Solche Beratungsinitiativen erwachsen zum Teil unmittelbar aus Patientenkreisen. Dies zeigt das Beispiel von Katrin Beck, INKA, Informationsnetz für Krebspatienten und Angehörige www.inkanet.de, Hamburg. Durch die anonyme Diskussion sei die Einstiegshürde denkbar gering. Doch komme ein reger Austausch mit nettem Umgangston zustande. Da das Internet überall zugänglich ist, könne so auf ein sehr großes Maß an "erlebter Kompetenz" zurückgegriffen werden. Oft reiche bereits eine geringe Hilfe aus, bis sich die Betroffenen wieder selbst weiterhelfen könnten.

Rita Rosa Martin, Ärztin und Sprecherin der BH, Initiative Breast Health - bewusst Handeln gegen Brustkrebs e. V., Hamburg, berichtete dagegen von eigenen positiven Erfahrungen mit der Beratung in der Apotheke. Als besonderes Problem beschrieb sie die Entscheidung über eine mögliche adjuvante Chemotherapie, bei der unsichere positive Effekte relativ sicheren unerwünschten Effekten gegenüberstehen. Sie bemängelte, dass Tumorpatienten bei der Anwendung der Zytostatika üblicherweise keine Beipackzettel erhalten. Beim Vergleich mit anderen Arzneimitteln stimme dies nachdenklich.

Beraten - aber wie?

Matthias Wriedt, angestellter Offizinapotheker aus Hamburg, sieht als wichtiges Ziel, Patienten frühzeitig zu informieren, damit diese gar nicht erst zu tief in die Desorientierung geraten. Fehlende psychologische Fachkenntnisse könnten Apotheker nur durch Ehrlichkeit ersetzen. Doch reichten oft schon einfache Fragen nach der Verträglichkeit, um ins Gespräch zu kommen.

Noch wichtiger kann nach Einschätzung von Prof. Nagel das Zuhören sein. Doch sei Beratungskompetenz am besten an den Gegenfragen des Beraters zu erkennen. Als Beispiel nannte Nagel die Frage: "Soll ich ein Mistelpräparat anwenden?" - Die Gegenfrage sollte lauten: "Was wollen Sie damit erreichen?" - So wäre zu klären, ob dies als Heilmittel gegen den Tumor, als Mittel gegen ein Symptom oder als Instrument zur Selbsthilfe verstanden wird.

Ein kompetenter Berater sollte helfen, konkrete und erreichbare Ziele zu setzen. Wenn ein solches Ziel dann erreicht werde, stärke dies auch das Vertrauensverhältnis zwischen Berater und Patient. Schlimm sei dagegen, Patienten in einer diffusen Beratungssituation zu belassen. Schlecht beratene Patienten würden sehr schnell den Arzt oder die Apotheke wechseln.

Tue Gutes – und rede davon!

Ein weiterer Themenschwerpunkt der Podiumsdiskussion war die Frage, wie die (Beratungs)-Kompetenz auf bestimmten Gebieten oder auch medizinische Erfolge öffentlichkeitswirksam dargestellt werden können. Denn die kompetenten Patienten benötigen solche Informationen zur Orientierung, dies erspart zudem frustrierende Erlebnisse mit Beratern, die auf dem jeweiligen Gebiet nicht kompetent sind. Aussagekräftige Informationen über Beratungsangebote sollten daher nach Einschätzung der Diskutanten selbstverständlich sein.

Doch stehen die Werberichtlinien der Heilberufler dem weitgehend entgegen. Wriedt appellierte, die Apotheker sollten die Idee aufgeben, alle Apotheken seien gleich und für alles gleichermaßen kompetent. Hagemann bezeichnete die Qualität im Gesundheitswesen als gut gehütetes Geheimnis. Dies werde sich aber in den Krankenhäusern durch die Einführung der DRGs ändern. Ansonsten müssten die Patienten direkt fragen, wie oft und mit welchen Erfolgen beispielsweise eine bestimmte Operation durchgeführt worden sei.

Martin hielt dem entgegen, dass Patienteninitiativen bei ihren Veröffentlichungen an keine Werberichtlinien gebunden sind. So werde ihre Organisation eine Untersuchung durchführen, mit der Beratungsangebote getestet werden, und die Ergebnisse auch publizieren. Als Orientierungsgröße sollen dabei europäische Behandlungsleitlinien dienen.

Arzneimittelinformation im Krankenhaus

Die Patientenperspektive war auch zwei Tage später Inhalt des letzten NZW-Vortrages. Dr. Thomas Ruprecht, Picker-Institut, Hamburg, berichtete über die Arzneimittelaufklärung im Krankenhaus. Diese sollte als Teil einer optimalen Kommunikation und Information des Patienten und als Aspekt der Behandlungskontinuität, z. B. nach Krankenhausentlassung, angesehen werden. Bei der Bewertung von Krankenhausleistungen sollten ganz bewusst auch "weiche" Faktoren wie Kommunikation wichtig genommen werden, weil auch solche Qualitätsmerkmale positiv mit "harten" medizinischen Ergebnisgrößen korrelieren.

Gute Aufklärung sichere zudem eine gute Compliance, verhindere so die Vergeudung von Arzneimitteln und habe für das Krankenhaus außerdem einen wichtigen Marketingnutzen. Denn Patienten, die sich gut informiert fühlen, empfehlen das Krankenhaus eher weiter.

Bei Befragungen des gemeinnützigen Picker-Institutes an über 5000 Krankenhauspatienten in Deutschland gab etwa ein Viertel der Patienten an, dass sie nicht oder nur "einigermaßen" über Arzneimittel informiert wurden, die sie mit nach Hause bekommen hatten. Über mögliche Nebenwirkungen von Arzneimitteln fühlte sich nur ein Drittel aller Patienten gut aufgeklärt.

Im internationalen Vergleich liegt Deutschland dabei noch recht gut, die Schweiz schneidet teilweise besser ab. Großbritannien erzielt extrem schlechte Ergebnisse, insbesondere bei der Information über Nebenwirkungen. Vergleichbare Befragungen fanden außerdem in Schweden und den USA statt.

Im Rahmen der Diskussion entgegnete Prof. Dr. Günter Wiedemann, Ravensburg, die ausführliche Information der Patienten löse immer wieder neue Fragen aus und hinterlasse damit erst recht uninformierte Patienten. Ruprecht sieht die Information dagegen eher als qualitatives und weniger als quantitatives Problem. Letztlich könne das Vertrauen, das die Voraussetzung für die Heilung bilde, nur durch Kommunikation erzeugt werden.

Kastentext: Das Wichtigste in Kürze

  • Eine gute Patientenselbstregulation ist ein günstiger prognostischer Kofaktor.
  • Beratungskompetenz zeigt sich in Gegenfragen, die Orientierung vermitteln sollen.
  • Da eine Tumorkachexie die Prognose entscheidend verschlechtert, muss frühzeitig einer Mangelernährung vorgebeugt werden. Dafür sollten kohlenhydrat- und fettreiche Speisen nach den individuellen Vorlieben des Patienten eingesetzt werden.
  • Analgetika sollen nach festem Zeitplan unter Berücksichtigung der pharmakokinetischen Daten, aber nicht nach Bedarf dosiert werden. Eine geeignete Komedikation sollte frühzeitig in den Therapieplan aufgenommen werden.
  • Der britische "Cancer Plan" soll durch landesweite Standards und vernetzte Krebszentren die Behandlungsqualität verbessern.
  • In einer chronopharmakologisch optimierten Therapie sollte für jede Arzneimittelanwendung der geeignete Zeitpunkt ermittelt werden, im Idealfall anhand individueller Markerrhythmen des Patienten.
  • Der Tyrosinkinase-Inhibitor Imatinib bietet eine neue Perspektive für die chronisch myeloische Leukämie und zeigt gute Responseraten.
  • Die Immuntherapie mit dendritischen Zellen ist effektiv durchführbar, aber bisher fehlen methodische Standards.
  • Antikörper versprechen noch zahlreiche Therapieansätze.
  • Selen als Zytoprotektivum sollte vorsichtig positiv gesehen werden.
  • Membranpflaster müssen vor mechanischer Beschädigung geschützt werden, Matrixpflaster dürfen nicht stark erwärmt werden (z. B. durch Sonnenbestrahlung).
  • Die Kombination von Rituximab und CHOP (Cyclophosphamid, Adriamycin, Vincristin, Prednisolon) ist beim Lymphom des älteren Patienten dem alleinigen CHOP-Regime deutlich überlegen.
  • Mit Voriconazol steht gegen invasive Mykosen bald eine besser wirksame, nebenwirkungsärmere Alternative zu Amphotericin B zur Verfügung.
  • Am 20./21. September 2002 findet erstmals der neue "NZW-Süd" in Ravensburg statt.

Den vollständigen Bericht des NZW finden Sie in unserem Kongressbereich eingestellt.

In Hamburg trafen sich über 500 Personen zum onkologisch-pharmazeutischen Fachkongress NZW, um sich über neue Trends und Techniken zu informieren. Das Programm erstreckte sich über drei Tage und umfasste etwa 20 Vorträge, 25 Seminare, mehrere Industriesymposien, eine Podiumsdiskussion und eine Ausstellung. Auf dem Kongress wurden die beiden ersten deutschen Apotheken zertifiziert, die die Qualitätsstandards für den pharmazeutisch-onkologischen Service erfüllen.

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