Gesundheitspolitik

E. ChristmannDisease-Management-Programme – Te

Drei Gruppierungen spielen eine zentrale Rolle in Disease-Management-Programmen (DMPs): Patienten, Ärzte und Krankenkassen. Der Patient soll selbst Manager seiner Krankheit werden, der Arzt übernimmt das Therapiemanagement, und die Krankenkassen sehen ihre Aufgabe als Administrations- und Finanzmanager. Alle anderen möglichen Beteiligten wie IT-Anbieter, Callcenter oder auch Apotheker werden jeweils nur in Teilbereichen von DMPs etabliert sein.

Ärzte zwischen Therapiefreiheit und Therapieleitlinien

Ohne die Ärzteschaft können DMPs nicht realisiert werden. Ärzte besitzen nach aktueller Rechtsauffassung ein "Definitionsmonopol gegenüber der Gesellschaft über Gesundheit und Krankheit. Krankheit ist ein Zustand, der ärztliche Behandlung notwendig macht. Die Notwendigkeit der Behandlung wie die Behandlungsinhalte sind von ärztlicher Feststellung abhängig" [20].

Darauf gründet die Freiberuflichkeit und die Therapiefreiheit der Ärzte. Dadurch sind sie gleichzeitig auch mitverantwortlich für die festgestellten Mängel bei der Versorgung chronisch kranker Menschen (Unter-, Über-, Fehlversorgung) und den daraus resultierenden unverhältnismäßig hohen Kosten. Solche Mängel manifestieren sich bei Diabetikern und Brustkrebspatientinnen beispielsweise in vermeidbaren Brust- bzw. Fußamputationen. Die Mängel bei Diagnose und Therapie chronisch Kranker lassen nach Alternativen für die Beliebigkeit ärztlichen Handelns suchen. Eine mögliche Alternative stellen die DMPs dar.

Aus dem besonderen, auf Vertrauen basierenden Arzt-Patienten-Verhältnis und aus der Tatsache, dass es den Standard-Patienten nicht gibt, resultieren Probleme für die Umsetzung von DMPs. Leitlinien und Normen im Sinne verbindlicher Handlungsanweisungen könnten die Therapiefreiheit einschränken, etwa nach dem Motto: "Ärztliche Kunst versus Kochbuchmedizin".

Hier könnte "evidence based medicine" (EBM) die Brücke schlagen: Für David Sackett, der den Begriff geprägt hat, ist EBM "die bewusste, ausdrückliche und verständige Nutzung der jeweils besten Evidenz bei Entscheidungen über die Versorgung individueller Patienten. Ihre Praxis beinhaltet die Integration individueller klinischer Kenntnisse mit der jeweils besten externen Evidenz aus systematischer Forschung" [20].

Neben dem Erfahrungsschatz des behandelnden Arztes sollen also möglichst aktuelle Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Studien, die das im Medizinstudium erworbene Wissen häufig widerlegen, für die individuelle Behandlung der Patienten nutzbar gemacht werden.

Zwar sind Ärzte schon heute zur Fortbildung verpflichtet, aber es ist ihnen überlassen, die dabei erworbenen Kenntnisse in die Praxis einfließen zu lassen. Der Heidelberger Philosoph Hans-Georg Gadamer (1900 – 2003) hat das grundlegende Dilemma, in dem Ärzte sich befinden, folgendermaßen beschrieben: "Der Unterschied zwischen Wissenschaft und Praxis besteht darin, dass Wissenschaft unabgeschlossen, also vorläufig ist, Praxis aber Entscheidungen verlangt und dass Praxis stets auch Wahl und Entscheidung zwischen Möglichkeiten bedeutet."

Konkrete Aufgaben der Ärzte in DMPs

In DMPs trägt der Arzt nach wie vor die Verantwortung für Diagnose und Therapie. Die vereinbarten Leitlinien nach EBM-Kriterien sollen eine Basis für sein Handeln, für seine Kommunikation mit den an der Versorgung Beteiligten und für die Bewertung des Behandlungserfolgs schaffen. Die Bedenken der Ärzte, dass DMPs und EBM vor allem als gesundheitsökonomisches Steuerungsinstrument der Krankenkassen missbraucht werden könnten, sind jedoch nicht von der Hand zu weisen.

Gemäß "Rechtsverordnung DMP" sind die speziellen Aufgaben der Ärzte in DMPs durch die Vorgaben "Behandlung nach evidenzbasierten Leitlinien und Berücksichtigung des jeweiligen Versorgungssektors (§ 137 f Abs. 2 Nr. 1 SGB V)" beschrieben. Im Fall von Diabetes mellitus Typ 2 gehören dazu die Definition des Diabetes mellitus Typ 2, die Diagnostik (Eingangsdiagnose), die Therapie, die Therapieziele, die differenzierte Therapieplanung, z. B. Basistherapie (Ernährungsberatung, Raucherberatung, körperliche Betätigung), medikamentöse Therapie, Behandlung hyper- und hypoglykämischer Stoffwechselentgleisungen, Begleit- und Folgeerkrankungen des Diabetes mellitus und die Kooperation der Versorgungssektoren.

Für den DMP-Arzt bedeutet das konkret:

  • Diagnosestellung nach differenzierter Definition und diagnostischen Kriterien, leitlinienorientiert.
  • Prognose, ob der Patient aus DMP Nutzen ziehen wird.
  • Aufklärung des Patienten über DMP.
  • Motivation des Patienten zur Teilnahme am DMP.
  • Therapieplanung auf der Basis einer individuellen Risikoabschätzung gemeinsam mit dem Patienten.
  • Therapieentscheidung nach Therapiestufen (Basistherapie/Orale Antidiabetika/Insulintherapie) leitliniengestützt, aber auch nach individuellen, situativen Kriterien.
  • Untersuchungen auf Begleiterkrankungen/Komplikationen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetische Nephropathie, Augenkomplikationen (Retinopathie), Diabetisches Fußsyndrom, Diabetische Neuropathie (leitliniengestützt).
  • Anstreben der empfohlenen Therapieziele: Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Lebensqualität, Kompetenzsteigerung ("Empowerment") der Betroffenen im Umgang mit der Erkrankung, Reduktion des Risikos für kardiale, zerebrovaskuläre und sonstige makroangiopathische Morbidität und Letalität.
  • Kontinuierliche Dokumentation gemäß gesetzlich vorgegebener Kriterien (Anlage 2a und 2b zur "Rechtsverordnung DMP" [5]).

Damit werden Ärzte zu klassischen Case-Managern. Die Verpflichtung zu einer sehr aufwändigen Dokumentation stellt neben der Furcht um den Verlust der Therapiefreiheit die zweite Barriere für Ärzte dar, sich in DMPs zu engagieren. Die Erfahrungen mit dem Strukturvertrag Nordrhein, der als ein Vorläufer von DMPs gesehen werden kann und der auch vollinhaltlich in DMPs integriert werden soll, zeigen deutlich, dass nur mit speziellen finanziellen Anreizen eine Einbindung der Ärzte möglich ist.

Der Patient als "Mitproduzent" seiner Gesundheit

Chronisch Kranke sollen in DMPs eine deutlich aktivere Rolle bei der Behandlung ihrer Krankheit spielen. Je genauer Patienten informiert sind, desto motivierter verhalten sie sich bei der Therapie. Die Kompetenzsteigerung der Patienten ist deswegen ein wesentlicher Baustein der DMPs. Dazu dienen u. a.

  • umfassende Informationen über das Krankheitsbild und die Behandlungsstrategien,
  • die Mitsprache des Patienten bei der Therapiewahl und der Festlegung der Therapieziele,
  • Schulungen und Übungen zur Selbstkontrolle,
  • regelmäßige Teilnahme an Kontrolluntersuchungen.

Der Patient soll so zu Eigeninitiative und Eigenverantwortung motiviert und dadurch zum "Mitproduzenten" seiner Gesundheit werden.

Dafür, dass der Patient eine optimale Therapie nach dem neuesten Stand der Wissenschaft bekommt, muss er der mehr oder weniger lückenlos transparenten Dokumentation und Weitergabe aller Patientendaten zustimmen. Die Gesamtheit der Patientendaten soll zwar nur anonymisiert bzw. pseudonymisiert zu Evaluationszwecken in Studienzentren genutzt werden, doch erhält die Krankenkasse beispielsweise Einsicht darüber, ob ein Patient auch tatsächlich die erwartete aktive Mitwirkung zeigt und die vorgeschriebenen Kontrolluntersuchungstermine wahrnimmt. Denn laut "Rechtsverordnung DMP" darf Geld aus dem RSA-Fonds (Risikostrukturausgleich) nur für solche Patienten fließen, welche die Anforderungen erfüllen; Patienten, die die Kriterien nicht erfüllen, muss die Kasse aus DMPs ausschließen. Das Bundesversicherungsamt (BVA) überprüft stichprobenartig die Einhaltung der Verordnung. Als mündiger Patient entscheidet der Patient nicht nur darüber, ob er an einem DMP teilnehmen, sondern auch, ob er es beenden will. Laut Verordnung muss er jeder einzelnen Datenweitergabe durch den Arzt ausdrücklich und schriftlich zustimmen.

Dr. Ekkehard Bahlo, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten (DGVP), befürchtet, dass der einzelne Patient dem Argumentationsdruck der Kassen nicht gewachsen sein könnte und die geforderten Daten trotz seiner Bedenken liefern würde. Nach Meinung Bahlos sollten Kassen lediglich Kostendaten erhalten.

Vermutlich werden auch Patienten nur durch finanzielle Anreize zur Teilnahme an DMPs motiviert werden können. Solche Anreize könnten beispielsweise die Befreiung von der Zuzahlung oder ein Abschlag auf die Beitragszahlung sein.

Disease-Manager Krankenkassen

Krankenkassen werden durch die "Rechtsverordnung DMP" in ihrem Handlungsspielraum gestärkt. Sie werden dadurch "vom Payer zum Player". Das Leistungserbringer-bestimmte Gesundheitssystem ist im Begriff, zu einem Kostenträger-bestimmten System zu werden [20].

Krankenkassen übernehmen insofern die Regie, als sie für die Erstellung des akkreditierungsfähigen DMP-Konzeptes mit verbindlichen Diagnose- und Therapierichtlinien verantwortlich sind. Da DMPs und RSA so eng verquickt sind, muss befürchtet werden, dass die Qualität der Gesundheitsversorgung zugunsten der Finanzen vernachlässigt wird. Da sich Krankenkassen mehr und mehr als Dienstleister für ihre Versicherten etablieren, treten sie in einen Wettbewerb mit den übrigen Leistungserbringern. Das geht so weit, dass Kassen sich nicht nur als Disease-Manager, sondern sogar als Case-Manager, also in der Rolle des um den individuellen Patienten bemühten Betreuers sehen.

Eingeschränkt wird dies natürlich dadurch, dass Kassen keine oder nur wenige direkte Versichertenkontakte haben und zurzeit noch überwiegend über Printmedien, Callcenter oder Internet kommunizieren. Deshalb suchen Kassen heute Kooperationspartner, die beispielsweise die Versicherten motivieren, an DMPs teilzunehmen.

Zu den Aufgaben der Kassen in DMPs zählen:

  • Analysen der Versorgung ihrer chronisch kranken Versicherten (z. B. durch WIdO).
  • DMP-Verträge mit Leistungserbringern. Dazu gehören ausdrücklich Ärzte aus ambulantem und klinischem Bereich. Mögliche andere Partner können z.B. externe Callcenter oder auch Apotheker sein.
  • Erstellen eines umfassenden DMP-Konzeptes unter Beteiligung der Leistungserbringer.
  • Antrag auf Akkreditierung des DMP beim BVA.
  • Akquise geeigneter Versicherter für das DMP.
  • Dokumentation und Datenmanagement des gesamten DMP-Verlaufs.
  • Monitoring aller Maßnahmen im DMP.
  • Kontrolle über Effektivität und Effizienz des DMP.

Nützlich für die Etablierung von DMPs sind Erfahrungen, die in Modellprojekten einiger Krankenkassen in Kooperation mit Leistungserbringern gemacht wurden. Dazu zählen der schon zitierte Strukturvertrag Diabetes Nordrhein oder Projekte zu Brustkrebs bzw. zu Hypertonie.

Schließlich darf nicht übersehen werden, dass die einzelnen Krankenkassen je nach Versichertenklientel die Verbindung von RSA und DMP sehr differenziert sehen. Dies veranschaulicht recht drastisch das Schlagwort "DMP als AOK-Rettungsprogramm". Insgesamt bleibt festzuhalten, dass auch hier der Motor für ein Engagement in DMPs die in Aussicht gestellten "Finanzspritzen" sind. Übrigens rechnen die Krankenkassen mit einer Beitragssteigerung durch DMP um rund 0,5%!

Ausblick

Die "Rechtsverordnung DMP" hat die Rollen der zentralen Protagonisten – Ärzte, Patienten und Krankenkassen – skizziert. Andere Beteiligte wie Selbsthilfegruppen und beispielsweise auch Apotheker müssen ihre Rolle noch finden bzw. ihre Kompetenzen in das Gesamtkonzept DMP einbringen.

Literatur im 3. Teil.

Am 1. Juli 2002 trat die Vierte Verordnung zur Änderung der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung in Kraft. Sie regelt unter anderem die Einführung und Durchführung von strukturierten Behandlungsprogrammen, die besser unter dem englischen Begriff Disease-Management-Programme und dem Kürzel DMP bekannt sind. In der zweiten Folge einer dreiteiligen Serie skizzieren wir, welche zentralen Rollen die Patienten, Ärzte und Krankenkassen bei den DMPs spielen. 

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