Gesundheitspolitik

E. ChristmannDisease-Management-Programme – Te

Über drei Millionen Kundenkontakte täglich machen Offizinapotheken zu einer einflussreichen Kommunikationsdrehscheibe. Insbesondere bei der kontinuierlichen Pharmazeutischen Betreuung chronisch kranker Patienten spielen sie eine wesentliche Rolle. Die Institutionen der Apotheker arbeiten deshalb intensiv daran, alle Möglichkeiten für Apotheker in Disease-Management-Programmen (DMPs) auszuloten. Unter anderem hat die ABDA Professor Neubauer mit einem zweiteiligen Gutachten zu den Themen "Apotheker in DMPs" und "Honorierungsmodelle für Apotheker in DMPs" beauftragt (vgl. [4]).

Apotheker als unverzichtbare Partner in DMPs

Nur in Apotheken treffen die Verordnungen unterschiedlicher Ärzte und die Selbstmedikation, bezogen auf einzelne Patienten, zusammen, also können auch nur hier die daraus entstehenden Probleme rechtzeitig erkannt und behoben werden. Da chronisch kranke Menschen häufig multimorbid sind, profitieren sie von einer kontinuierlichen Pharmazeutischen Betreuung am meisten.

Grundsätzlich hängt eine optimale Arzneimitteltherapie von mehreren Faktoren ab:

  • Das Arzneimittel muss richtig verordnet sein (richtige Indikation, passend für den individuellen Patienten, korrekte Dosierung).
  • Das Arzneimittel muss in optimaler Qualität und zeitnah zur Verfügung stehen.
  • Das Arzneimittel muss richtig angewendet werden (Handhabung, Compliance).
  • Das gesamte Arzneimittelregime (Rx + OTC) muss in seinem Verlauf beurteilt werden können (Compliance; Arzneimittel-Risiken: Neben-, Wechselwirkung, Unter-, Über-, Falschdosierung, Abusus).

Mit Ausnahme der Arzneimittelverordnung ist vor allem die Offizinapotheke für diese Faktoren verantwortlich.

Arzneimittel-bezogene Probleme lösen

Trotz vieler Bemühungen gibt es noch immer deutliche Probleme bei der Arzneimittelanwendung, die sich weitgehend vermeiden ließen. So ist bekannt, dass Patienten etwa siebzig Prozent der Informationen zu ihren Arzneimitteln unmittelbar nach dem Arztbesuch vergessen haben; hier könnte die Pharmazeutische Betreuung in der Apotheke vieles verbessern.

Die Hauptaufgabe des Apothekers bei DMPs liegt aber im Erkennen, Lösen und Dokumentieren von Arzneimittel-bezogenen Problemen (AbP). Prinzipiell ist dabei nach dem SOAP-Schema (subjective - objective - assessment - plan) vorzugehen: Subjektive und objektive Parameter des Patienten werden zur Analyse des AbP erhoben. Darauf basierend wird gemeinsam mit Patient und/oder Arzt eine Problemlösung angestrebt. Dieser grundsätzliche Ablauf wird durch spezielle Schwerpunkte für die einzelnen Indikationen ergänzt.

Die Auswahl der Arzneimittel nach vorgegebenen DMP-Leitlinien betrifft zwar, wie gesagt, in erster Linie den behandelnden Arzt, aber die DMP-Leitlinien bilden beispielsweise auch die Basis für die abgestimmte "unisono" Patientenberatung durch Arzt und Apotheker. Gemeinsame DMP-Qualitätszirkel für Ärzte und Apotheker sind dafür sicher ein geeignetes Forum.

Verträge mit den Krankenkassen

Bevor sich Apotheker in DMPs engagieren, müssen sie Verträge mit den Kassen schließen. Darin müssen Voraussetzungen, Aufgaben und Honorierung geregelt sein. Bei den bisherigen Verhandlungen mit den Kassen wurden zwei Forderungen der Apotheker besonders intensiv diskutiert. Zum einen sollen Kassen sich verpflichten, keine Versandapotheken (mehr) zu empfehlen, zum anderen wollen Apotheker für den zusätzlichen Aufwand in DMPs honoriert werden. Denkbar ist z. B. die Nutzung von speziellen Pharmazentralnummern für die Abrechnung solcher zusätzlicher Leistungen.

Pharmazeutische Betreuung von Diabetikern

Abgesehen von ihren ureigensten Aufgaben wie der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung und der Pharmazeutischen Betreuung können Apotheken z. B. wesentlich zur Prävention von Krankheiten (Aufklärung über Risikofaktoren, Screening von Personen mit Risikofaktoren) beitragen. So könnten sie in Zukunft auch über DMPs informieren und die Patienten zur Teilnahme motivieren. Da die DMPs auch in Apotheken, besonders während der Startphase, mit einem erheblichen Aufwand verbunden sind, wird ein stufenweises, modulartig aufgebautes Vorgehen vorgeschlagen (s. Abb.).

Das Aufbaumodul zur Pharmazeutischen Betreuung von Diabetikern würde u. a. folgende Punkte umfassen:

  • Beratung zu Hilfsmitteln, z. B. Pens und Stechhilfen.
  • Beratung zu Blutglucose-Messung, z. B. Codierung, Überprüfung und Kalibrierung der Geräte.
  • Beratung zum Führen von Diabetes-Tagebüchern und Interpretation der Messwerte.
  • Beratung zu allgemeiner Lebensführung, Ernährung, Bewegung, Rauchen.
  • Evtl. Online-Angebote mit Reminder-Funktion.
  • Informationen zu Selbsthilfegruppen, Fachärzten, diabetologisch geschulten Fußpflegern und Orthopädieschuhmachern.
  • Versorgung bettlägeriger Diabetiker zu Hause.
  • Schnittstellenkonzept bei Krankenhausentlassung (seamless care).
  • Definition von Schnittstellen für die Kooperation mit dem Arzt: - Klärung von AbP, - Überweisungskriterien bei Auffälligkeit (z. B. Messwerte).

Datenmanagement

Alle Daten und Erkenntnisse innerhalb von DMPs sollen auswertbar sein. Damit das Datenmanagement nicht zu aufwändig wird, sollten die Fragestellungen der Evaluationen exakt vorliegen und nur die dafür wirklich relevanten Daten erhoben werden. Denkbar sind wachsende Prozesse, doch müssten dann im Vorfeld die Optionen definiert werden.

Wenn möglich sollte die Datenerhebung in der Apotheke in den normalen Arbeitsablauf integriert sein. Mit dem "Basisprogramm Pharmazeutische Betreuung", das von den meisten Apotheken-Softwarehäusern angeboten wird, befinden sich die Apotheken dabei in einer relativ guten Ausgangslage. In die Programme ist auch der Problem/Interventionscode (PI-Doc(c) Code) der Arbeitsgruppe von Prof. Marion Schaefer integriert. Dadurch können auch Arzneimittel-bezogene Probleme in einer einheitlichen Form dokumentiert, kommuniziert und evaluiert werden.

Die bisher für das DMP-Datenmanagement vorliegenden Vorgaben in Anlage 2a und 2b sowie 4a und 4b der "Rechtsverordnung DMP" sind außerordentlich aufwändige Papierdokumentationen, die später digitalisiert werden müssen [5]. Sie sehen nur eine Datenlieferung der Ärzte an Kassen bzw. an Studienzentren vor. Sinnvoller und für einen sich ständig verbessernden Prozess unerlässlich wäre aber ein Datenaustausch zwischen allen Beteiligten. Der Datenaustausch sollte dabei grundsätzlich auf zwei unterschiedlichen Ebenen erfolgen.

1. Ebene: GKV. Externe Evaluation von Daten, die Einsicht über den Ressourceneinsatz in DMPs erlauben (ökonomischen Konsequenzen; Kostenentwicklung; Effizienz; Effektivität etc.). Dazu gehören auch Daten für die Kontrolle durch das BVA. Problematisch ist hier, dass individualisierte und unbedingt zu anonymisierende bzw. zu pseudonymisierende Daten anfallen. Deshalb bestehen nach wie vor erhebliche datenschutzrechtliche Bedenken!

Für die Anonymisierung bzw. Pseudonymisierung der Daten ist eine eindeutige Datensatzbeschreibung erforderlich. Dies muss nach Vorgaben der Arbeitsgemeinschaft für die Evaluation geschehen. Der eigentliche Anonymisierungsvorgang sollte bei den KVen und in den Apotheken-Rechenzentren vorgenommen werden (Datenhoheit!). Es muss auch noch geklärt werden, ob und wie die Daten in den Arztpraxen bzw. Apotheken reanonymisierbar gemacht werden können.

2. Ebene: Gesundheitsdienstleister. Interne Evaluation von Daten, die der Behandlung und Versorgung des einzelnen Patienten dienen. Die Erhebung persönlicher Daten ist hier datenschutzrechtlich relativ unproblematisch. Beispiele dafür sind Diagnose- und Behandlungsdaten, die in Arztpraxen anfallen, oder die in Apotheken erhobenen patientenbezogene Daten wie Patientenstammdaten, Medikationsdatei, Medikationsprofil.

Diese Daten können mit Zustimmung des Patienten auch für die reibungslose Kommunikation zwischen Facharzt und Hausarzt genutzt werden. Im Sinne des Datenschutzes und des Vertrauensverhältnisses zwischen Patienten und Gesundheitsdienstleister darf dabei die Erhebung sensibler Daten nur unter besonders sorgfältiger Absicherung erfolgen.

Qualitätskriterien

Wenn Apotheken in akkreditierte DMPs integriert werden wollen, müssen sie bestimmte Qualitätskriterien erfüllen.

  • Für die strukturierte Dokumentation der Pharmazeutischen Betreuung und das Datenmanagement ist der Einsatz des Basisprogramms Pharmazeutische Betreuung unverzichtbar.
  • Die Apotheker müssen durch zertifizierte Fortbildungen ihre Qualifikation nachweisen. Neben einer Fortbildungseinheit zu den Grundlagen des DMP ist im Fall des DMP Diabetes Typ 2 die Fortbildung nach dem Diabetes-Curriculum BAK/DDG Stufe I erforderlich.
  • Zusätzlich werden in noch näher zu definierenden, wahrscheinlich jährlichen Zeitabständen Auffrischungs-Fortbildungen verlangt.

Ausblick

Die Einführung der ersten DMPs steht unter großem Zeitdruck. Obwohl bei allen Beteiligten noch viele Fragen offen geblieben sind und eher ein verhaltener Optimismus herrscht, sollen die ersten DMPs schätzungsweise ab Oktober 2002 gestartet werden.

Die Einführung von DMPs soll die erheblichen Defizite, die bei der Versorgung chronisch kranker Patienten bestehen und die aufgrund der demographischen Entwicklung noch zunehmen könnten, beheben. Der Erfolg von DMPs hängt entscheidend davon ab, wie viel Nutzen die einzelnen Protagonisten daraus ziehen können. Ganz klar ist auch, dass ohne finanzielle Anreize keine Motivation zu erwarten ist.

Neben der Steigerung der Effektivität muss für die Akzeptanz beispielweise eine Steigerung der Zufriedenheit bei Patienten (Therapieerfolge, Lebensqualität), Ärzten (Arbeitsentlastung, Budgetrelevanz) und Apothekern (Existenzsicherung, Berufszufriedenheit) erzielt werden. Für Krankenkassen könnte neben dem RSA die Transparenz zur Planungsoptimierung motivierend wirken. Dabei werden unterschiedliche Sichtweisen von Leistungserbringern und Finanziers, aber auch Aspekte der Gesundheitsökonomie miteinander verknüpft. Vom Nutzen der DMPs sollten alle Beteiligten, insbesondere aber die Patienten profitieren [4]. Das zu schaffen kommt aber der Quadratur des Kreises nahe.

Literatur

[1] M. Schaefer, in Zusammenarbeit mit J. M. v. d. Schulenburg: Ausgestaltung von Disease-Management-Programmen im Rahmen des Risikostrukturausgleichs. Gutachten im Auftrag des Landesverbandes der Betriebskrankenkassen Nordrhein-Westfalen, 2002. [2] J. Bölscher, J. M. v. d. Schulenburg: Ansatzpunkte für Disease-Management-Konzepte am Beispiel des Krankheitsbildes Diabetes mellitus. Arzneimitteltherapie 18, 374 - 377 (2000). [3] Zeno Workshop, Köln, Beiträge Aubke, Ballast. [4] G. Neubauer, R. Ujlaky: Disease Management - Ansätze und Möglichkeiten der Mitwirkung von Apothekern (Phase I), Gutachten im Auftrag der ABDA, 11. 2001. [5] Vierte Verordnung zur Änderung der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung v. 27. 06. 2002. www.bmgesundheit.de/bmg-frames/index.htm. [6] K. W. Lauterbach, S. Stock: Reform des Risikostrukturausgleichs. Dtsch. Ärztebl. 98, C-1548-1550 (2001). [7] Brenner, Koch: Behandlungs- und Arzneimittelkosten für ausgewählte Patientengruppen in Nordrhein im Quartal I/2001. Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, 03. 2002. [8] Analyse der ambulanten Behandlungs- und Versorgungsstruktur bei Diabetikern in Belgien, Deutschland und den Niederlanden, Projektteil Deutschland. Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland. [9] W. A. Scherbaum, R. Landgraf (Hrsg.): Praxis-Leitlinien der Deutschen Diabetesgesellschaft (DDG). Diabetes und Stoffwechsel 11, Suppl. 2 (2002). [10] ABDA: Zukünftige Gestaltung der Arzneimittelversorgung. www.abda.de/ABDA/artikel.html?ID=773 (2002). [11] B. Frokjaer: Payment for Pharmaceutical Services. Zoom Community Pharmacy Section of FIP, 03. 2002. [12] K. D. Henke, W. Johannßen, G. Neubauer, U. Rumm, J. Wasem: Zukunftsmodell für ein effizientes Gesundheitswesen in Deutschland. Vereinte Krankenversicherung AG, Broschüre anlässlich des Hauptstadtkongresses, Berlin, 05. 2002. [13] Gesellschaft für Statistik im Gesundheitswesen: Datenvalidität und Wirtschaftlichkeitsprüfung, 07. 2001. [14] F.-J. Fischer, R. Janknegt, H. Robays: Pharmakoökonomie, in: U. Jaehde et al. (Hrsg.): Lehrbuch der Klinischen Pharmazie, S. 343 - 360. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1998. [15] G. Glaeske, K. W. Lauterbach, B. Rürup, J. Wasem: Weichenstellung für die Zukunft - Elemente einer neuen Gesundheitspolitik, vorgelegt zur Tagung der Friedrich Ebert Stiftung, Gesprächskreis Arbeit und Soziales, "Mittel- und langfristige Gestaltung des deutschen Gesundheitswesens", 05. 12. 2001. [16] Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (G. C. Fischer, A. Kuhlmeyer, K. W. Lauterbach, R. Rosenbrock, F. W. Schwartz, P. C. Scriba, E. Wille): Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit zur Steigerung von Effizienz und Effektivität der Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung, Addendum zum Gutachten 2000/2001, 12. 2001. [17] Medical Informatics, Biostatistics and Epidemiology for Efficient Health Care and Medical Research, Register-based Studies. Beiträge von der 44. Jahrestagung der GMDS, 09. 1999. [18] C. Paton: Wissenschaftliche Beurteilung der Auswirkungen von Marktkräften auf Gesundheitssysteme - Eine Übersicht der Evidenz in den 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Schlussbericht, European Health Management Association, Dublin, 03. 2000. [19] Diagnose- und Behandlungsleitlinien in der Praxis, Wissenschaftliches Symposium der GRPG, Berlin, 10. 06. 2002. [20] F.-W. Kolkmann: Vortrag auf dem 105. Deutschen Ärztetag, Rostock, 2002. [21] Enquetekommission "Demographischer Wandel" des Deutschen Bundestages, April 2002.

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