Kommentar

Disease-Management-Programme: Regierung verteidigt neue Aufgaben der Kassen

Bonn (im). Dass die Krankenkassen bei den neuen Disease-Management-Programmen (DMP) große Steuerungsaufgaben in die Hand bekommen - und dazu sensible Diagnosedaten der Patienten - geht für die rotgrüne Bundesregierung in Ordnung. Sie teilt auch nicht die Sorgen der Ärzte, dass es zu unangemessenen Eingriffen der Kassen in die Patientenbehandlung kommt, geht aus einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion im Bundestag in Berlin hervor. Dass Versicherte, die sich in die neuen Programme einschreiben, womöglich auf den bisherigen Datenschutz verzichten, bereitet den Liberalen Bauchschmerzen.

Bisher ist der Start mit Programmen zur strukturierten Behandlung von Diabetes mellitus Typ 2 und Brustkrebs vorgesehen (siehe Kasten). Zwar würden alle Daten des Patienten im Zusammenhang mit diesen Krankheiten erhoben, erläuterte das zuständige Bundesgesundheitsministerium (BMG) in der Antwort, die Versicherten müssten aber keinesfalls sämtliche Informationen wie etwa zu psychiatrischen Erkrankungen offen legen. Außerdem müsse der Patient in jede Übermittlung von Daten schriftlich einwilligen.

Machtzuwachs bei Kassen

Die Krankenkassen seien dafür verantwortlich, so das Ministerium weiter, dass die zugelassenen Programme so abliefen, dass die "hohen Qualitätsstandards" auch erfüllt würden. Die Gefahr des Missbrauchs der gesammelten Daten bei den Krankenkassen wird im Haus von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) im übrigen nicht gesehen. Da die Kassen die Daten eines DMP nur für die Durchführung des Programms verwenden dürften, sei eine anderweitige Verwendung der Informationen "nicht rechtmäßig".

Gute Anreize

Die Bundesregierung sieht sich nach Darstellung des BMG insgesamt auf einem guten Weg, um zu verhindern, dass Kassen weiterhin Jagd auf eher jüngere, gesunde, gutverdienende Versicherte (im Jargon: "gute Risiken")machen. Durch die Förderung der neuen Behandlungsprogramme entstehe ein Anreiz, bei chronisch Kranken für die Teilnahme an einem DMP zu werben. Für die genannten Programme gegen Diabetes mellitus oder Brustkrebs erhielten die Kassen einen höheren Beitragsbedarf im kassenartenübergreifenden Finanzausgleich ("Risikostrukturausgleich", RSA) zugerechnet, letztlich also mehr Mittel.

Diejenigen Kassen mit vielen Versicherten in DMP würden gemessen am Status Quo per Verordnung (also durch die Neuregelung der RSA-Ausgleichsverordnung) finanziell deutlich besser gestellt, heißt es in der Antwort weiter. Die FDP-Abgeordneten hatten in ihrer Anfrage darauf hingewiesen, dass die Krankenkassen durch die versichertenbezogenen Abrechnungs- und Diagnosedaten sehr gut zwischen "guten" und "schlechten Risiken" unterscheiden könnten, und entsprechende Selektionsstrategien befürchtet.

Kein Eingriff in Arzt-Patienten-Verhältnis

Die Kritik der Ärzte an zu erwartenden unangemessenen Eingriffen der Kassen in die konkreten Behandlungen teilt das BMG offenkundig nicht. Dafür gebe es keinen Spielraum. Zwar solle es Eckpunkte der Behandlung etwa durch evidenzbasierte Leitlinien geben, hieß es, die individuelle Therapieentscheidung trüge jedoch nach wie vor der Mediziner. Es sei explizit in der Verordnung festgelegt worden, dass im Einzelfall der nötige Behandlungsspielraum eines Arztes nicht eingeschränkt werden dürfe. Gefragt nach den Mindeststandards in der Qualitätssicherung wurde auf die festgelegten Anforderungen verwiesen, deren Einhaltung im übrigen das Bundesversicherungsamt überprüfe.

Untreue Kranke und dann?

Die FDP fragte darüber hinaus nach dem Schicksal therapieuntreuer Patienten. Nach Ansicht des Gesundheitsministeriums liegt mangelnde Compliance dann vor, wenn ein Patient innerhalb von zwölf Monaten zwei Termine oder Schulungen ohne Angabe von Gründen schwänzt. In dem Fall dürfe dieser Kranke nicht mehr den speziellen Versichertengruppen für eingeschriebene Kranke zugeordnet werden, die Krankenkassen erhalten dann letztlich weniger Geld aus dem Finanzausgleich RSA.

Was tun mit Verwaltungskosten?

Die Liberalen weisen zudem darauf hin, dass die Kassen erstmals Verwaltungskosten mit den DMP in den RSA einbeziehen dürfen und thematisieren möglichen Missbrauch. Die Bundesregierung bezeichnet das allerdings anders. Ihren Ausführungen zufolge dürfen Verwaltungskosten der Kassen grundsätzlich nicht im Finanzausgleich der Kassen untereinander berücksichtigt werden. Die Kassen dürften aber alle "Programmkosten", die bei der Organisation der DMP entstehen, ansetzen. Dabei vereinbarten die Spitzenverbände der Kassen mögliche pauschale Begrenzungen, hieß es.

Kosten unklar

Welche Kosten durch DMP insgesamt auf Krankenkassen, aber auch auf die Ärzteschaft, die Krankenhäuser oder Arztpraxen zukommt, weiß die Regierung nicht. Insgesamt könnte es aber wegen des erhöhten Verwaltungsaufwands zu Mehrausgaben kommen, so die Schätzung. Dem könnten allerdings Einsparungen gegenüberstehen, wenn kostenintensive Krankheitsstadien wie etwa Dialysepflichtigkeit bei Diabetikern vermieden würden.

"Besonders sicher"

Unterschiede in der Behandlung von eingeschriebenen Patienten zu den übrigen Patienten werde es nicht geben, führt das Gesundheitsministerium weiter aus. Denn die Leistungen der gesetzlichen Kassen müssten immer dem anerkannten Stand der Wissenschaft entsprechen. Allerdings könne ein Kranker in einem DMP "besonders sicher sein, dass die Behandlung einer rationalen Therapiestrategie folgt", heißt es dazu wörtlich.

Kastentext: DMPs: Hier steht's

Voraussetzung für die neuen strukturierten Behandlungsprogramme (Disease-Management-Programme, DMP) ist die vierte Änderungsverordnung zur Risikostruktur-Ausgleichsverordnung. Darin werden zunächst die Programme gegen die Krankheiten Diabetes mellitus Typ 2 und gegen Brustkrebs geregelt. In der Verordnung, die am 1. Juli 2002 in Kraft trat, stehen beispielsweise Anforderungen an die DMP, damit das Bundesversicherungsamt diese zulassen kann. Die Teilnahme an DMP ist freiwillig, die Patienten bekommen aktive Mitwirkungspflichten auferlegt. Im Laufe dieses Jahres sollen, so die Vorstellung von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, Behandlungsempfehlungen für Diabetes mellitus Typ 1, koronare Herzkrankheiten und chronisch obstruktive Atemwegserkrankungen folgen.

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