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Malaria: Die Königin der Krankheiten unter einem anderen Blickwinkel

"Königin der Krankheiten" ist ein widersprüchlicher Begriff für die wichtigste parasitäre Erkrankung des Menschen. Mehr als 2 Milliarden Menschen leben in Gebieten mit endemischer Malaria, mehr als die Hälfte der Menschheit ist infektionsgefährdet. 300 Millionen Krankheitsfälle werden jedes Jahr registriert. Jährlich sollen mehr als zwei Millionen Menschen Ų meistens Kinder unter fünf Jahren Ų daran sterben. Nach wie vor ist diese Krankheit eine der größten Herausforderungen der Pharmazie. Denn es gibt auch für Menschen in endemischen Gebieten keinen dauerhaften Immunschutz. Trotz intensiver Forschung wird auch in den nächsten Jahren kein Durchbruch Ų weder bei der Bekämpfung der Anopheles-Mücke noch in der Impfstoffentwicklung Ų erwartet.

Einzigartig

Der Malariaerreger Plasmodium, der zu den Einzellern (Protozoen) zählt, ist ausschließlich beim Menschen pathogen. Dennoch konnte der menschliche Organismus bisher keine dauerhafte und ortsunabhängige Immunität dagegen entwickeln. Man kann also mehrmals an Malaria erkranken. In die Erforschung der Malaria müssen neben den üblichen medizinischen, biochemischen und epidemiologischen Aspekten auch die genetische Evolution und die kulturelle Anpassung des Menschen mit einbezogen werden. Insofern stellt das Verständnis dieser Krankheit besonders umfassende Anforderungen.

Die Weibchen der Anopheles-Steckmücke übertragen die Protozoen auf den Mensch, der ihnen als Zwischenwirt dient: In ihm findet ihre ungeschlechtliche Vermehrung, die Schizogonie, statt. Wieder in die Mücke zurückgekehrt, kann das Plasmodium seinen geschlechtlichen Vermehrungszyklus, die Sporogonie, abschließen.

Man unterscheidet drei klassische Formen der Malaria, die von spezifischen Erregern verursacht werden:

  • Malaria tropica (Plasmodium falciparum),
  • Malaria tertiana (P. vivax oder P. ovale) und
  • Malaria quartana (P. malariae).

Von ihnen ist die Malaria tropica mit Abstand die gefährlichste. Seit mindestens 2500 Jahren kann Malaria eindeutig diagnostiziert werden. Seither besteht sie in nahezu unveränderter Form und Häufigkeit fort.

Katja Becker-Brandenburg, Andreas Bengt Schirmer und Heiner Schirmer von der Universität Heidelberg haben die Frage gestellt, in wieweit psychophysische Wechselwirkungen unter dem Selektionsdruck lebensbedrohender Situationen eine Rolle spielen. Schließlich kann die Malaria als somatische und auch als psychische Krankheit aufgefasst werden. Denn das vernichtende Krankheitsgefühl bei der akuten Malaria und die Melancholie bei chronischer Malaria sind von besonderer Bedeutung für die Erfahrung dieser Krankheit.

Erbkrankheiten schützen

An der Malaria kann man exemplarisch zeigen, wie die Natur auf eine solche verheerende Seuche reagiert. Malaria gibt eine Antwort auf die Frage, weshalb der Mensch so viele vererbbare Krankheiten mit sich herumschleppt. Die Antwort ist im Grunde sehr einfach. Die genetischen Defekte schützen gegen schwere Infektionskrankheiten. So schützen gegen Malaria vor allem die Sichelzellenanämie, der Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase-Mangel (G6PDH-Mangel) und der Favismus. Deshalb wird in diesem Zusammenhang nicht von Gendefekten, sondern neutral von Genpolymorphismen gesprochen.

Die genannten Malariaresistenzen vererben sich heterozygot rezessiv. Es wird darüber diskutiert, ob sie als Heterosis-Effekt anzusehen sind. Die Heterosis führt in der Hybridzüchtung, z.B. beim Mais und beim Schwein, zu einer agronomischen Leistungssteigerung. Allen erblichen Erythrozytenerkrankungen ist offenbar gemein, dass sie die Plasmodien, die einen hohen Sauerstoffbedarf haben, einem verstärkten oxidativen Stress aussetzen.

Sichelzellenanämie

Die Sichelzellenanämie entsteht durch Mutation des beta-Globin-Gens. In der Beta-Kette des Hämoglobins wird eine einzige Aminosäure ausgetauscht. Anstatt Valin erscheint Glutamin. Das entstehende Sichelzellen-Hämoglobin (Hb-S) lagert sich in Erythrozyten zu Bündeln zusammen. Diese verändern sich zu Sichelzellen, verstopfen feine Gefäße und können zu schweren Organschäden führen. Die Sichelzellenanämie prägt sich jedoch nur im homozygot rezessiven Zustand aus. Heterozygot mit dem gesunden Allel ist der Mensch weitgehend gesund, jedoch gegen Malaria tropica geschützt.

Der Nachteil der schweren Erkrankung der homozygoten Hb-S-Träger wird populationsgenetisch mehr als ausgeglichen durch den guten Schutz gegen die verheerende Krankheit. Aus diesem Grund häufen sich die Hb-S-Allele in den endemischen Malariagebieten. In Zentralafrika soll es Gebiete geben, in denen 30 Prozent der Bevölkerung das mutierte Allel tragen. Möglicherweise stellt dies das natürliche Gleichgewicht dar, das sich evolutiv eingestellt hat.

G6PDH-Mangel und giftige Nahrungsmittel

Der Mangel an Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase (G6PDH), dem Schlüsselenzym des Pentosephosphatweges, ist der weltweit häufigste angeborene Enzymdefekt. 400 Millionen Menschen tragen ihn in mehr als 300 genetischen Varianten. Die an sich harmlose Stoffwechselstörung verhindert das schnelle Abfangen von Sauerstoffradikalen. Eine Form dieser Mutation scheint sich in Afrika irgendwann zwischen 10 000 und 2000 v. Chr. gebildet zu haben; das heißt, sie entstand zeitgleich mit dem Sesshaftwerden und dem Beginn des Ackerbaus sowie auch mit dem Auftauchen der Malaria. Denn in den Siedlungen auf den gerodeten Waldflächen entstanden sonnenbeschienene Tümpel und Teiche, die den Anopheles-Mücken als ideale Brutstätten dienten.

Die volle Wirksamkeit gegen Malaria erhält der G6PDH-Mangel nur in Verbindung mit einem geeigneten Radikalbildner. Den liefert die Saubohne (Vicia faba). Sie enthält die beiden Pyrimidine Isouramil und Divicin, die reaktiven Sauerstoff bereitstellen. Diese Kombination von Enzymdefekt und Bohne ist voll wirksam gegen den Erreger. Im Gegenzug führt der erhöhte oxidative Stress in den Erythrozyten zum Favismus, einer klassischen Lebensmittelvergiftung. Frische Bohnen sind besonders wirksam.

Möglicherweise spielt auch der Maniok (Manihot esculenta) eine wichtige Rolle in der Malariaprophylaxe. Das giftige Wolfsmilchgewächs wird vor allem in mit Malaria verseuchten Gebieten angebaut. Es enthält das blausäurehaltige Glykosid Linamarin, das den Cassavismus, eine akute Vergiftung, bewirkt. Es ist aufgefallen, dass die Gebiete des Maniokverzehrs deckungsgleich sind mit der Proteinmangelkrankheit Kwashiorkor. Die betroffenen Kinder mit den geblähten Bäuchen erkranken auffallend selten an Malaria. Deshalb ist der folgende Schutzmechanismus denkbar: Ein Teil des aufgenommenen Linamarins wird enzymatisch gespalten und setzt Blausäure frei, die bei ausreichendem Schwefelangebot zu Thiocyanat entgiftet wird. Das verbleibende Cyanid verursacht den zur Tötung der Parasiten notwendigen oxidativen Stress. Auch der Lathyrismus, verursacht durch die Platterbse Lathyrus sativus, wird in diesem Zusammenhang diskutiert. Die Nitrile, die starke Lähmungen und Nervenschäden erzeugen, könnten ähnlich wirken.

Malaria als "Vorbild"

Die Strategie der Natur, Infektionen und andere Nachteile mit genetischen Defekten zu bekämpfen, ist weiter verbreitet, als man zunächst meinen möchte. Gegen Malaria wirken z.B. auch die a- und b-Thalassämien. Über die möglichen Selektionsvorteile weiterer genetisch verursachter Krankheiten wird diskutiert und spekuliert (Tab. 1).

Friedfertig

Es wird diskutiert, "ob nicht in Tropen und Subtropen die Malaria das Überleben von Populationen mit friedfertigem Temperament begünstigt hat – also von Menschen, die im Lande bleiben, die sich redlich nähren und den geographischen Raum der spezifischen Malariaparasiten-Stämme – interpretiert als den Raum der 'Geister der Ahnen' – nicht verlassen. Als mnemotechnischer Kontrast bietet sich an, dass viele Großreichidealisten – Alexander der Große, Alarich und Mohammed, aber auch die deutschen Könige auf den Italienzügen zwischen 964 und 1313 – an der Malaria gescheitert sind.

Noch im Zweiten Weltkrieg beschwor der US-Oberkommandierende in Fernost, Douglas McArthur, die Gefahr einer Niederlage durch die Malaria; sie fügte den USA mehr Verluste zu als alle Streitkräfte der totalitären Gegner zusammen." (Becker-Brandenburg und Schirmer)

Kastentext: Böse Luft

Malaria ist ein aus dem Italienischen abgeleitetes Kunstwort. Mala aria bedeutet schlechte oder böse Luft, die vor allem in sumpfigen Gegenden als Ursache des Sumpffiebers, Mückenfiebers oder Hippokratischen Fiebers angesehen wurde.

Kastentext: Sepsis

Malaria ist die Sepsis par excellence. Das Platzen der befallenen Erythrozyten und die Freisetzung von Fremdprotein lösen die Fieberschübe aus.

Kastentext: Energiefresser

Ein Fieberschub mit stundenlangem Schüttelfrost und erschöpfenden Schweißausbrüchen kostet bis zu 5000 kcal. Da parasitierte Erythrozyten das Hundertfache an Glucose verbrauchen, sterben Kinder häufig an Hypoglykämie und Entkräftung.

Kastentext: DDT als Wunderwaffe

DDT gilt als wichtigste Waffe gegen die Verbreitung der Anopheles-Mücke. Für die Entwicklung dieses Pestizids wurde der Schweizer Paul Müller mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Als der Forscher Mitte der Dreißigerjahre das von ihm entwickelte Dichlordiphenyltrichlorethan vorstellte, kannte die Begeisterung kaum Grenzen. Das Mittel hat wahrscheinlich Europa vor Seuchen wie Fleckfieber, Typhus und Malaria bewahrt, weil im zweiten Weltkrieg Gefangene und Flüchtlinge in den Lagern flächendeckend mit DDT eingenebelt worden waren.

Kastentext: Sekundärfolgen

Tropische Malaria kann zu progredienter Anämie, zu Nierenversagen und zu zerebraler Malaria, von der es in Deutschland zwei bis drei Fälle im Jahr gibt, führen. Es kommt zu Halluzinationen und Bewusstseinstrübungen, bis hin zum Koma und zu Lähmungen und Krämpfen.

Kastentext: Kontinuierliche Resistenzentwicklung

Der vielversprechendste Wirkstoff gegen Malaria ist zur Zeit das Artemisinin. Jedoch lehrt die Erfahrung, dass Plasmodium falciparum innerhalb von fünf Jahren nach Einführung eines neuen wirksamen Malariamittels dagegen resistent wird. Ferntourismus, Söldnertruppen, Kriege mit Beteiligung der Industrienationen und Flucht und Vertreibung ganzer Völker in tropischen Ländern sind wesentlich für die schnelle Verbreitung medikamentenresistenter Erreger verantwortlich.

Der Polymorphismus der Oberflächenantigene der Plasmodien führt zu immunologisch ineffektiven Antikörpern. Malariaspezifisch ist, dass die Erreger dem Immunsystem primär von der Leber präsentiert werden. Auch dies führt nur zu einer kurz anhaltenden Immunantwort.

Surftipps

  • www.uni-heidelberg.de/zentral/bzh/malaria.html "MALARIA – Wegweiser zur Chemotherapie" Katja Becker-Brandenburg und R. Heiner Schirmer von der Universität Heidelberg
  • www.uni-heidelberg.de/zentral/bzh/ Biochemiezentrum Heidelberg
  • www.kaunzner.de Reisemedizinische Informationen von Andreas Kaunzner
  • www.gesundes-reisen.de/header.htm Reisemedizinisches Zentrum des Tropeninstituts Hamburg

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