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Strategien bei der peroralen Arzneistoffapplikation

Vom 11. bis 16. März fand in Garmisch-Partenkirchen der zwölfte Workshop über Strategien zur Entwicklung und Anwendung von peroralen Darreichungsformen ("Strategies for oral drug delivery") statt. Dabei ging es um die Besonderheiten der Pharmakokinetik und Pharmakodynamik von Arzneistoffen nach peroraler Applikation sowie um das Design optimierter Freigabesysteme unter Berücksichtigung von Arzneistoffeigenschaften und gastrointestinaler Physiologie. Bei der Eröffnung des Workshops konnten die Organisatoren G. L. Amidon, P. Langguth, H. Lennernäs und S. Yamashita mehr als 90 Teilnehmer aus 14 Ländern begrüßen.

Absorption von Arzneistoffen

Nahrungsmittel, die gastrointestinale Motilität sowie die Transitzeit durch den Gastrointestinaltrakt beeinflussen die Absorption von Arzneistoffen. Ferner ändern physiologische Veränderungen bei bestimmten Erkrankungen auch die Pharmakokinetik.

Prof. Dr. Lennernäs, Uppsala, ging auf die verschiedenen Absorptions- und Sekretionsmechanismen im Intestinum ein. Neben passiver Diffusion sind zunehmend aktive Transportprozesse sowohl bei Absorptions- als auch bei intestinalen Sekretionsprozessen relevant. Die Erforschung der dabei beteiligten Transporter, von denen das P-Glykoprotein eine zentrale Rolle spielt, ihre Expression in den verschiedenen Geweben und ihr Einfluss auf den Arzneistofftransport habe gerade erst begonnen.

Auf welche Weise eine Vorhersage der In-vivo-Absorption aus In-vitro-Modellen möglich ist, stellte Prof. Dr. Amidon, Universität von Michigan, am Beispiel der Arzneistoffe Propranolol und Ranitidin vor. So lassen sich aus In-vitro-Versuchen zur intestinalen Permeabilität die mittlere Absorptionszeit und – unter Berücksichtigung der mittleren Verweilzeiten in den absorbierenden Darmabschnitten – die Absorptionsrate errechnen. Sehr interessant war Amidons Vorschlag, die Absorptionsgeschwindigkeitskonstante ka neu zu definieren. Es handelt sich nach seinen Ausführungen hierbei nicht um eine konstante Größe, sondern um eine Variable, weshalb sie richtiger als Absorptionskoeffizient bezeichnet werden sollte.

Dr. Han van de Waterbeemd, Fa. Pfizer, gab einen Überblick über wesentliche physikochemische Arzneistoffeigenschaften wie Löslichkeit, Lipophilie, pKa- und log-D-Wert. Er ging auf deren Bestimmungsmethoden und insbesondere auf ihren Nutzen für das High-Throughput-Screening ein.

Bioverfügbarkeit und Bioäquivalenz

Während Frau Prof. Dr. Dressman, Frankfurt/Main, hauptsächlich den Einfluss verschiedener Freisetzungsmedien auf die In-vitro-Arzneistoffliberation vorstellte, erläuterte Prof. Dr. Langguth, Mainz, anhand von Plasmakonzentrations-Zeit-Profilen die Berechnung pharmakokinetischer Parameter und deren Relevanz für die Absorption. Zur Bestimmung von Absorptionsgeschwindigkeiten stellte er neben den "klassischen" kompartimentellen Analysen nach Wagner-Nelson oder Loo-Riegelman u.a. Momentanalysen sowie Konvolutions- und Dekonvolutionsmethoden vor.

Dr. V. Shah, Dr. L. Lesko und Dr. L. Yu von der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA nannten wesentliche Anforderungen ihrer Behörde an Freisetzungsuntersuchungen, an In-vitro-In-vivo-Korrelationen und an Bioverfügbarkeits- sowie Bioäquivalenzstudien (BV-BÄ-Studien). Besonders hervorzuheben ist hierbei die im August letzten Jahres von der FDA verabschiedete Richtlinie, die eine Möglichkeit zum Verzicht auf klinische BV-BÄ-Studien bei schnellfreisetzenden festen Arzneiformen (d.h. mindestens 80% Wirkstofffreisetzung innerhalb von 15 bis 30 min in 900 ml Freisetzungsmedium) mit gut wasserlöslichen und gut permeablen Wirkstoffen (Klasse I des biopharmazeutischen Klassifikationssystems BCS) zulässt. Unter bestimmten Bedingungen können auf der Basis einfacher In-vitro-Freisetzungssysteme BV-BÄ-Studien ersetzt werden. Dies kommt der pharmazeutischen Industrie wegen der Zeit- und Kostenersparnisse entgegen.

Dr. L. Yu zeigte auch Zukunftsvisionen auf: So könnte der Verzicht auf BV-BÄ-Studien künftig unter bestimmten Voraussetzungen auf schnellfreisetzende Formulierungen aus schwer löslichen Arzneistoffen (BCS-Klassen II und III) ausgeweitet werden.

Eine Ausweitung des BCS-Systems, eine internationale Harmonisierung von Bioäquivalenzstandards und ein routinemäßiges Pharmakokinetik-Pharmakodynamik-Modelling bei wichtigen Erkrankungen durch den Einsatz bereits etablierter Biomarker sind nach den Ausführungen von Dr. L. Lesko in Kürze zu erwarten.

Absorption und Transport

Frau Prof. Dr. Spahn-Langguth, Halle/Saale, ging auf den hepatischen und den nicht zu unterschätzenden intestinalen First-pass-Effekt ein. Sie stellte Verteilungsschemata der Cytochrom-P450-Enzyme in Leber und Intestinum sowie Methoden zur quantitativen Erfassung und Unterscheidung der intestinalen und hepatischen Biotransformation vor. Am Beispiel des Beta-Blockers Carvedilol wurde die Enantiomerenspezifität von First-pass-Effekten verdeutlicht.

Prof. Dr. Langguth ging auf die Bedeutung von aktiven Prozessen bei der Arzneistoffabsorption ein und zeigte am Beispiel des Beta-Blockers Talinolol den maßgeblichen Einfluss von Transportern bei der intestinalen Absorption und beim Auftreten pharmakokinetischer Interaktionen. Er stellte die Multidrug-resistance-Proteine mit ihrem wichtigsten Vertreter, dem P-Glykoprotein, und die Familie der organischen Kationentransporter vor. Neben ihrem Beitrag zu Absorptionsvorgängen zeigt sich zunehmend ihre Bedeutung für die Arzneistoffdistribution und -elimination.

Zur Permeabilitätsbestimmung von Arzneistoffen wurden einzelne Methoden wie die humane Darmperfusion, In-situ-Techniken am Tier und In-vitro-Untersuchungen an Zellkulturen vorgestellt. Es wurde erläutert, wie mithilfe von Computersimulationen eine Voraussage der Absorptionsrate und der Absorptionsgeschwindigkeit möglich ist. Nach den kurzen Überblicken konnten die Zuhörer ausführlich mit den Referenten über Vor- und Nachteile der verschiedenen Techniken diskutieren.

Modifizierte Wirkstofffreisetzung

Die Problematik, perorale Darreichungsformen von schwer löslichen Arzneistoffen herzustellen, wurde am Beispiel von Griseofulvin, Digoxin, Ciclosporin und Nifedipin erörtert.

Prof. Dr. Gröning, Münster, ging auf gastroretentive Applikationsformen ein. Ihr Zweck ist es, durch die verzögerte gastrointestinale Transitzeit sowohl die Bioverfügbarkeit des Arzneistoffs zu verbessern als auch den therapeutischen Plasmaspiegel über einen längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten. Gröning erwähnte auf dem Mageninhalt schwimmende Systeme, bioadhäsive, quellende bzw. expandierende (z.B. Kollagenmatrices) und magnetische Systeme.

Bei den magnetischen Systemen, die mit Aciclovir und Riboflavin bereits in vivo getestet wurden, handelt es sich um ummantelte Tabletten, die einen kleinen Magneten enthalten, sodass ihr Transit durch den Gastrointestinaltrakt mittels eines externen Magneten gesteuert werden kann.

Prof. Dr. Yamashita von der Universität Osaka, Japan, referierte über Permeationsexperimente mithilfe der Caco-2-Zelllinie, um das Arzneistoffscreening zu optimieren. Die Möglichkeit, In-vivo-Absorptionsraten anhand von In-vitro-Arzneistoffpermeabilitäten im High-Throughput-Screening vorauszusagen, stand im Mittelpunkt eines weiteren Vortrags. Beeindruckend war die ehemals kaum denkbare Tatsache, mithilfe einer Zellkulturtechnik innerhalb kürzester Zeit und mit hohen Durchsatzraten aussagekräftige Ergebnisse zum Absorptionsverhalten eines Stoffes zu erhalten.

Prof. Dr. Derendorf von der Universität Gainesville, USA, referierte über Pharmakokinetik-Pharmakodynamik-Korrelationen, u.a. am Beispiel des Cefaclors. Dr. L. Yu betonte nochmals, wie wichtig die Kenntnis von Struktur-Wirkungs-, Struktur-Bioverfügbarkeits- und Struktur-Permeabilitäts-Beziehungen für die Entwicklung von Arzneistoffen mit biopharmazeutisch optimalen Eigenschaften ist. Zum Abschluss des Workshops gab Prof. Dr. Amidon einen Ausblick auf mögliche zukünftige biopharmazeutische Entwicklungen.

Im kommenden Jahr findet der 13. Workshop über "Strategies for oral drug delivery" am Lake Tahoe an der Grenze zwischen Kalifornien und Nevada statt.

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