Berichte

Nahrungsergänzung: Vitamin, Flavonoide, Mineral- und Spurenelemente

Die Wochenendveranstaltung der DPhG Landesgruppe Sachsen fand in diesem Jahr vom 23. bis 25. Juni im idyllisch gelegenen Bad Düben statt. Nicht weit davon entfernt liegt die Lutherstadt Wittenberg, die der Ausgangspunkt der lutherischen Reformbewegung und eines der historischen, geistigen und kulturellen Zentren Europas war. Nach einführenden Worten des Landesgruppenvorsitzenden Prof. Dr. Wolfgang Süß begann das wissenschaftliche Programm.

Vitaminpräparate: Bedeutung und technologische Aspekte

Prof. Dr. P. C. Schmidt, Ordinarius für Pharmazeutische Technologie der Universität Tübingen, sprach über "Bedeutung und technologische Aspekte von Vitaminpräparaten". Die Vitaminversorgung der Bevölkerung kann prinzipiell durch die Aufnahme mit der Nahrung, durch die Einnahme von so genannten Nahrungsergänzungsmitteln sowie durch Arzneimittel gesichert werden. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat Empfehlungen für die tägliche Vitaminzufuhr zur Sicherung des Vitaminstatus des Menschen herausgegeben, die zuletzt im Jahre 1991 angepasst wurden. Sie entsprechen weitgehend den amerikanischen "Recommended Dietary Allowances (RDA)", die erstmals im Jahre 1941 publiziert und danach fortlaufend aktualisiert wurden.

Höhere Dosis ist nicht gleich höherer Nutzen

Im Bereich der Vitamine wird die Abgrenzung zwischen Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln einerseits und Arzneimitteln andererseits durch zahlreiche Gerichtsurteile in Deutschland dahingehend vorgenommen, dass alle Präparate, die mehr als die dreifache Dosis der DGE-Empfehlungen enthalten, als Arzneimittel gelten. Dies kommt beispielsweise in den unterschiedlichsten Dosierungen, die viele Vitaminpräparate im Supermarkt bzw. in der Apotheke enthalten, zum Ausdruck. Es erhebt sich nun die Frage, welchen Nutzen hochdosierte Vitaminpräparate haben und ob sie in hoher Dosierung eine arzneiliche Wirkung entfalten können. Die Frage ist pauschal nicht zu beantworten. Am Beispiel von Vitamin B2 wurde anhand einer Studie gezeigt, dass eine Dosierung von 400 mg pro Tag eine Reduzierung der Anfallshäufigkeit und der Intensität bei Migräne bewirkt. Für Vitamin C liegen seit kurzem ausführliche Untersuchungen des National Institute of Health (NIH) vor, wonach Gaben von mehr als 1000 mg Vitamin C täglich zu keiner signifikanten Erhöhung der Blutspiegelwerte führen. Auch die Steigerung der Dosis von 500 auf 1000 mg bringt keine entscheidenden Zuwächse mehr.

Vitamine in festen Zubereitungen haltbarer

Ein besonderes Problem stellt die Haltbarkeit von Vitaminen dar. Die oxidative Zersetzung von Vitamin C ist sowohl unter aeroben als auch anaeroben Bedingungen gut untersucht. Auch für andere Vitamine existieren zahlreiche Haltbarkeitsuntersuchungen sowohl in Arznei- als auch in Lebensmitteln. Dabei fällt vor allem auf, dass die Vitamine untereinander zahlreiche Interaktionen eingehen können. Trotzdem gelingt es, feste Multivitamin-Zubereitungen in Tabletten-, Brausetabletten- und Kapselform dauerhaft lagerfähig herzustellen. Wesentlich schwieriger wird die Situation, wenn flüssige Zubereitungen betrachtet werden. Die Interaktionen in flüssiger Phase nehmen zu; das pH-Optimum der Stabilität ist für viele Vitamine unterschiedlich, und für Vitamin A werden beispielsweise Isomerisierungen unterhalb von pH 6 beobachtet. Dies hat dazu geführt, dass flüssige Multivitamin-Zubereitungen aus dem Bereich der Arzneimittel weitgehend eliminiert wurden. Anders stellt sich die Situation im Bereich der Lebensmittel dar. So kann man in Supermärkten vitaminisierte Säfte erwerben, die ein Verfalldatum von einem Jahr tragen, was für ein Lebensmittel relativ lang ist. Dabei ist nicht davon auszugehen, dass Vitamine in Lebensmitteln haltbarer als in Arzneimitteln sind, vielmehr ist der gesetzliche Rahmen ein anderer. Während für Arzneimittel im Allgemeinen ein Herstellungszuschlag von 10% nicht überschritten werden darf, können Vitamine in Lebensmitteln aufgrund einer Vereinbarung zwischen Kontrollbehörden, Instituten und Industrie mit 50% gegenüber der Deklaration überdosiert werden. Da die Kontrollbehörden andererseits Werte von 80% der Deklaration am Ende der Laufzeit noch akzeptieren, ergibt sich ein Abnahmeintervall von ca.70%. Demnach sind die Qualitätsanforderungen an die Haltbarkeit von Vitaminen in flüssigen Zubereitungen bei Arzneimitteln und Lebensmitteln nicht vergleichbar. Dies wird umso deutlicher, wenn man Vitaminpräparate, die in flüssiger Form für die parenterale Ernährung als Arzneimittel angeboten werden, näher betrachtet. Bei diesen Präparaten werden die fettlöslichen Vitamine in gefriergetrockneter Form getrennt angeboten. Die Zubereitung des Multivitamin-Gemisches erfolgt erst unmittelbar vor dem Zusatz zur Infusion für die parenterale Ernährung. Solche Präparate haben Laufzeiten von drei Jahren und einen Vitamingehalt von 90 bis 110% der Deklaration. Sie erfüllen alle Anforderungen für Arzneimittel, was gleichzeitig den im Vergleich zu Lebensmitteln hohen Preis rechtfertigt. Die Probleme der Formulierung von fettlöslichen Vitaminen als wässrige injizierbare Form wurden am Beispiel von Vitamin K1 erläutert. Dieses Vitamin ist seit dem Jahre 1952 unter dem Präparatenamen Konakion als Ampulle im Handel. Die Ampulle enthält neben erheblichen Mengen Propylenglykol ethoxyliertes Rizinusöl als Zellbildner zur Solubilisierung des fettlöslichen Vitamin K1. Diese Formulierung hat in den zurückliegenden knapp 50 Jahren zu zahlreichen Nebenwirkungen Anlass gegeben, die bis zum anaphylaktischen Schock reichen. Vor einiger Zeit hat die Firma Hoffmann-La Roche eine Zubereitung unter dem Namen Konakion MM auf den Markt gebracht, die so genannte Mischmizellen enthält. Die Mischmizellen bestehen aus Lecithin und Natriumglykocholat. Natriumglykocholat an sich wirkt hämolytisch, die hämolytische Aktivität kann jedoch durch Zugabe von Lecithin bei einer sehr guten Solubilisierungskraft für Vitamin K1 entscheidend zurückgedrängt werden. Mit dieser neuen Zubereitung, sind bisher praktisch keine Nebenwirkungen aufgetreten. Das Beispiel belegt, dass die Verträglichkeit eines Arzneimittels durch galenische Veränderungen entscheidend verbessert werden kann.

Bedeutung der Flavonoide

Prof. Dr. G. Jacobasch, Abtei-lungsleiterin im Deutschen Institut für Ernährungsforschung, Potsdam-Rehbrücke, berichtete über die "Antiinflammatorische und antikanzerogene Wirkung von Flavonoiden". Auf die ernährungsphysiologische Bedeutung von Flavonoiden, Pflanzeninhaltsstoffen mit Hydroxyphenolstruktur, wies in den 30er-Jahren des 20.Jahrhunderts bereits der ungarische Biochemiker Szent György hin, der sie in die Klasse der Vitamine einreihte. Es gelang ihm jedoch nicht, ihre essenzielle Funktion zu beweisen. Von der Vielzahl der Flavonoid-Spezies stehen heute nur wenige, und zwar solche mit antiinflammatorischer, antiviraler und immunstabilisierender Wirkung, im Mittelpunkt des Interesses. Experimentelle Daten belegen, dass protektive Flavonoid-Effekte über zwei getrennte Wege zustandekommen: - erstens systemisch über den Blutweg und - zweitens indirekt unter Mitwirkung der intestinalen Mikroflora. Voraussetzung für die systemische Wirkung ist die Resorption des Flavonoids in einem definierten Konzentrationsbereich. Die Effektivität des zweiten Weges ist an eine spezifische Zusammensetzung der intestinalen Mikroflora geknüpft.

Resorption über den Magen

Flavonoide liegen in den Pflanzen meistens als Glykoside vor. Sie unterscheiden sich in ihrer Resorbierbarkeit und Pharmakokinetik. Die Mechanismen wurden im Tierexperiment und Humanversuchen überprüft. Flavonoide können im gesamten Gastrointestinaltrakt resorbiert und dabei teilweise deglykosyliert und modifiziert werden. Eine exakt kontrollierbare Resorption ist am sichersten über die Aufnahme im Magen erreichbar. Im Vortrag wurde der Resorptionsprozess anhand von Quercetinglykosiden und dem Aglykon erläutert und daraus Bedingungen zur Optimierung des antikanzerogenen Effektes abgeleitet. Am Beispiel des apc-Gen-defekten Min-Mausmodells wurde gezeigt, dass durch Quercetin die intestinale adenomatöse Polyposis und Karzinogenese bis zu 90% gehemmt werden kann.

Rutin bei Colitis ulcerosa

Ein bevorzugt mikrobieller Flavonoidabbau ist in der Therapie der Colitis ulcerosa anzustreben. Dies kann durch ein kombinierte Aufnahme von resistenter Stärke (RS) und z.B. dem Flavonoid Rutin erreicht werden. Unter diesen Bedingungen wird das Wachstum von Butyratbildnern unter den Eubakterien sowie das des lactatbildenden Bifidobakteriums verstärkt. Dieser präbiotische Effekt unterdrückt gleichzeitig das Wachstum pathogener Darmbakterien. Die Erhöhung des luminalen Butyratspiegels durch Fermentation von RS wirkt sich protektiv auf die chronische Dickdarmentzündung aus durch

  • Erhöhung des Substratangebotes zum aeroben Energiegewinn der Kolonozyten,
  • eine Synthesehemmung spezifischer Zytokine und des Transkriptionsfaktors für das NFkB-System sowie

die Aktivierung der Kryptenproliferation.

Mengen- und Spurenelemente

Dr. E. Walzel, vom Institut für Ernährungswissenschaften der Universität Potsdam, hielt einen Vortrag zur "Ernährungsphysiologischen Bedeutung und aktuelle Aspekte zur Bedarfsdeckung ausgewählter Mengen- und Spurenelemente". Die Ernährung in den Industrieländern ist trotz des hohen Lebensstandards nicht ausgewogen (einerseits zuviel Fett und Zucker, andererseits zu geringe Aufnahme von Ballast- und Mineralstoffen). Mangelerscheinungen als Folge einer Unterversorgung mit lebensnotwendigen Mengen- und Spurenelementen treten auch in unseren Breiten auf. Zu den kritischen Mineralstoffen zählen Iod, Selen, Eisen, Magnesium und Calcium. Es liegen aber kaum deutliche, anhand klarer klinischer Symptome erkennbare Mineralstoffmangelsituationen vor (mit Ausnahme beim Iod), vielmehr handelt es sich partiell um eine latente, durch vieldeutige Symptome charakterisierte suboptimale Versorgung (durchschnittliche Zufuhr beim Erwachsenen laut DGE-, ÖGE- und SGE-Empfehlungen [mg/Tag/Person]: Iod 0,120/0,200; Selen 0,034/0,00-0,070; Eisen 14/10-15; Magnesium 342/310-400; Calcium 818/1000).

Mangel durch falsche Ernährung

Gründe für diese unzureichende Versorgung können einseitige Ernährungsformen und die Verwendung von Lebensmitteln mit einem hohen Verarbeitungsgrad (z.B. niedrigausgemahlenes Mehl) sein. Weiterhin sind es antinutritive Bestandteile, wie Phytinsäure (Getreide und Ölsaaten), Tannine (Tee) und Glucosinolate (Kohl), die die Bioverfügbarkeit der Mengen- und Spurenelemente beeinträchtigen. Aber auch durch Interaktionen mit anderen Elementen im Verdauungstrakt wird die Verwertung der einzelnen Mineralstoffe verändert. Es ist deshalb vor unkontrollierter Einnahme von Mineralstoffmischungen, die Imbalancen auslösen können, zu warnen. Als weitere Ursachen für das Auftreten eines Mangels sind Alkoholabusus (Fe-, Zn-, Se-Resorptionserniedrigung), funktionelle Magen-Darm-Störungen (Resorption), Blutverluste (Fe-Verluste: Menstruation, Hämorrhoiden) sowie genetisch bedingte Stoffwechselerkrankungen zu nennen. In der klinischen Ernährung können vor allem Spurenelement-Fehlversorgungen bei der parenteralen Ernährung sowie bei Dialyse-Patienten auftreten. Eine ausgewogene Ernährung im Sinne der Empfehlungen garantiert indes für den Gesunden eine ausreichende Versorgung mit allen Mineralstoffen.

Nahrungsergänzungsmittel

Die rechtliche Einordnung von Vitaminzubereitungen sowie Präparaten mit Mengen- und Spurenelementen als Arzneimittel, Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel wurde durch Dr. F. Bendas, Sächsisches Staatsministerium für Soziales, Gesundheit, Familie und Jugend, Dresden, in seinem Vortrag "Nahrungsergänzungsmittel - Versuch einer rechtlichen Bewertung" vorgenommen. Obwohl der Begriff des "Nahrungsergänzungsmittels" in entsprechenden Veröffentlichungen häufig verwandt wird, fehlt eine eindeutige rechtliche Definition ("Legaldefinition") für diese Produktgruppe. Die verschiedenen fachlichen Definitionen gehen übereinstimmend davon aus, dass "Nahrungsergänzungsmittel" die Nahrung durch gezielte Zufuhr von z.B. Vitaminen, Mineralstoffen und essenziellen Fettsäuren ergänzen. Aus diesem Ergänzungsaspekt ergibt sich logisch die Zuordnung der Nahrungsergänzungsmittel zu den Lebensmitteln. Nahrungsergänzungsmittel müssen also selbst einen "Beitrag zur Ernährung" leisten, die "gemeinsame Aufnahme mit der Nahrung" reicht zur Charakterisierung dieser Produktgruppe nicht aus. Diese "Lebensmitteleigenschaft" bedingt auch, dass Nahrungsergänzungsmittel nicht gleichzeitig Arzneimittel sein können (nur eine "überwiegende Zweckbestimmung"). Diese Position ist in den wesentlichen Veröffentlichungen zu diesem Thema übereinstimmend enthalten.

Keine krankheitsbezogenen Werbeaussagen

Ein Problem in der gegenwärtigen pharmazeutischen Praxis besteht darin, dass einzelne Hersteller versuchen, Nahrungsergänzungsmittel mit arzneilicher Zweckbestimmung und krankheitsbezogenen Werbeaussagen auf den Markt zu bringen, ohne über eine Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz zu verfügen. Gibt die Apothekerin/der Apotheker solche Produkte ab, kann sie/er durchaus auch rechtlich zur Verantwortung gezogen werden, da sie/er in solchen Fällen ein Arzneimittel ohne Zulassung in den Verkehr bringt (Straftatbestand!). Die Grundsätze zur Abgrenzung von Arznei- und Lebensmitteln des Arbeitskreises lebensmittelchemischer Sachverständiger (Leitlinien, veröffentlicht in DAZ 1999 Nr. 20, S. 2023-2025) erleichtern die Entscheidung zur Einordnung eines konkreten Produkts und geben aufgrund der enthaltenen Prüfmerkmale und -fragen eine wesentliche Hilfestellung. Kommt die Apothekerin/der Apotheker zu dem Ergebnis, dass ein spezielles Produkt als Arzneimittel ohne Zulassung zu charakterisieren ist, sollte sie/er auf eine Abgabe verzichten. Es bleibt darüber hinaus die Frage, ob die in Deutschland bei Nahrungsergänzungsmitteln nur mögliche Zu-ordnung/Abgrenzung zwischen den Gruppen "Arzneimittel" und "Lebensmittel" in jedem Fall sachgerecht ist. In anderen EU-Staaten wurden mit solchen Kategorien wie "Gesundheitsprodukte" oder "Verzehrprodukte" die Voraussetzungen dafür geschaffen, um den durchaus vorhandenen gesundheitsbezogenen Aspekten bei bestimmten Nahrungsergänzungsmitteln besser entsprechen zu können. Obwohl es bei der EU-Kommission Bestrebungen gibt, Nahrungsergänzungen europaweit einheitlich zu regeln (erster Entwurf einer Richtlinie), wird dieses Problem in Deutschland wohl noch eine ganze Weile Apotheker und Behörden beschäftigen.

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