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Novel food und Nahrungsergänzungsmittel

"In unserer heutigen Zeit ist Essen mehr als sich sättigen Ų Essen ist Kulturgut und soziale Handlung, es verbindet Zeiten und Völker." Mit diesen Worten leitete Prof. Dr. Hans-Günther Gassen vom Institut für Biochemie der TU Darmstadt seinen Vortrag mit dem Thema "Novel food und Nahrungs-Ergänzungsstoffe: Prinzipien, Biomedizin, Marktchancen und rechtliche Regelung" am 29. November 2001 in Berlin ein.

In unseren Essgewohnheiten haben sich viele Veränderungen vollzogen, dabei lassen sich unterschiedliche Tendenzen beobachten. Im Berufsleben, aber auch zuhause, am Computer, sind der Schokoriegel oder der kleine Snack zwischendurch sehr beliebt. Um das schlechte Gewissen zu beruhigen, greift man zusätzlich zum Nahrungsergänzungsmittel, beispielsweise zum Vitaminpräparat aus der Apotheke, der Drogerie oder dem Supermarkt. Auf der anderen Seite sind sich zunehmend mehr Verbraucher dessen bewusst, dass eine gesunde Ernährung bestimmte Krankheiten verhindern oder deren Entstehung verzögern kann. Functional food, also Produkte mit dem Anspruch "besonders gesund" zu sein, finden zunehmend Absatz.

Nahrungsergänzungsmittel

Wie Gassen erläuterte, ist es nicht immer leicht zu entscheiden, ob es sich bei einem auf dem Markt befindlichen Produkt um ein Nahrungsergänzungsmittel handelt oder nicht. Mit Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) soll die Ernährung durch gezielte Zuführung von Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen, aber auch essentiellen Fettsäuren, Eiweißen oder Kohlenhydraten vervollkommnet werden. In Deutschland unterliegen NEM dem Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz (LMBG). Sie werden jedoch in lebensmitteluntypischer Form, z. B. als Tabletten, Kapseln, Dragees, Saft oder Pulver angeboten.

Problematische Werbung

Die Problematik liegt in der Werbung für diese Produkte. Der Gesetzgeber erlaubt Aussagen wie beispielsweise "fördert die Gesundheit", "steigert das Wohlbefinden" oder "spendet Energie". Dem NEM darf jedoch in der Werbung nicht der Anschein eines Arzneimittels gegeben werden (siehe Kasten). Krankheitsbezogene Aussagen wie "stärkt das Immunsystem" oder "beugt Herzinfarkt vor" sind daher verboten.

Die Überwachung der angebotenen Nahrungsergänzungsmittel und der Herstellerbetriebe obliegt den Lebensmittelüberwachungsbehörden der Länder. Sie haben sich beispielsweise darauf geeinigt, dass die Vitamin-Tagesdosis eines NEM nicht mehr als das Dreifache der von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlenen Tagesdosis betragen sollte, ansonsten ist es als Arzneimittel einzustufen. Bei den Vitaminen A und D sollte die einfache Tagesmenge nicht überschritten werden, Obergrenzen gibt es auch für Mineralstoffe und Spurenelemente.

Nach Ansicht Gassens ist unter normalen Lebensbedingungen eine normale Ernährung, d.h. eine gemischte, vitaminreiche Kost völlig ausreichend. In bestimmten Situationen kann eine Nahrungsergänzung sinnvoll sein, zum Beispiel während der Schwangerschaft oder im Leistungssport.

Functional food

Im Gegensatz zu NEM ist Functional food dem äußeren Anschein nach ein konventionelles Lebensmittel. Durch seine Anreicherung mit bestimmten Zusätzen erhebt es jedoch den Anspruch, physiologische Vorteile aufzuweisen oder bestimmte Krankheitsrisiken zu reduzieren. Dazu zählen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Magen-Darm-Beschwerden oder psychische Störungen. Japan gilt als die Wiege von Functional food. In Deutschland haben sich mittlerweile ACE-Säfte, Ballaststoff-Drinks, prä- und probiotischer Joghurt, Eier mit Omega-3-Fettsäuren und andere etabliert.

Der wissenschaftliche Nachweis für die Wirksamkeit der Zusätze steht jedoch vielfach noch aus. Bei einigen Produktgruppen ist ein starker Preisverfall zu beobachten. Als die führenden Marktsegmente der Zukunft nannte Gassen die Gelenkgesundheit, die Verdauung und die Senkung der Blutlipide.

Sowohl NEM als auch Functional food können unter die Novel-food-Verordnung fallen. Diese Verordnung wurde im Januar 1997 vom Europäischen Parlament und dem Rat verabschiedet und ist seit dem 15. Mai 1997 in allen Ländern der Europäischen Union in Kraft. Mit ihr wurden erstmals Lebensmittel mit einer Zulassungspflicht versehen. Das betrifft solche, die neuartig sind, weil sie bisher in Europa noch nicht auf dem Markt waren oder weil sie gentechnologisch oder nach einem anderen neuartigen Verfahren erzeugt wurden.

Kennzeichnungspflicht

Der Schutz des Verbrauchers steht im Vordergrund (siehe Kasten), bezüglich der Kennzeichnungspflicht gibt es jedoch zahlreiche Schlupflöcher für die Hersteller. Denn nach den EU-Zusatzverordnungen vom 10. April 2000 müssen Zusatzstoffe und Aromen, die mit Hilfe gentechnisch manipulierter Mikroorganismen produziert wurden, z. B. Xanthan, Ascorbinsäure, Beta-Carotin, Glutamat und Lysozym, nicht gekennzeichnet werden, ebenso Enzyme, die auf diese Art gewonnen und die in der Brot- und Käseherstellung eingesetzt werden.

Falsche Ernährung ist teuer

Gassen erläuterte, dass die Schaffung gesetzlicher Regelungen deshalb so schwierig sei, weil ein Ausgleich geschaffen werden muss zwischen verschiedenen Interessengruppen: den Herstellern, die ihre Produkte verkaufen wollen, den Konsumenten, deren Gesundheit und Wohlbefinden geschützt werden soll, und dem Interesse des Staates, die Kosten im Gesundheitswesen zu senken. Schließlich sind viele Krankheiten durch falsche Ernährung verursacht – die Krankenkassen geben in Deutschland jährlich etwa ein Drittel ihres Budgets zur Therapie ernährungsbedingter Krankheiten aus.

Kastentext: Verbraucherschutz

Paragraphen des LMBG (1993 und 1994) zum Schutz des Verbrauchers vor irreführender bzw. gesundheitsbezogener Werbung:

§ 17: Verbot zum Schutze vor Täuschung

Es ist verboten (...): 5. für Lebensmittel (...) mit irreführenden Darstellungen oder sonstigen Aussagen zu werben. Eine Irreführung liegt insbesondere dann vor, a) wenn Lebensmitteln Wirkungen beigelegt werden, die ihnen nach Erkenntnissen der Wissenschaft nicht zukommen oder die wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert sind. (...) c) wenn Lebensmitteln der Anschein eines Arzneimittels gegeben wird.

§ 18: Verbot der gesundheitsbezogenen Werbung

Es ist verboten, in der Werbung für Lebensmittel zu verwenden: 1. Aussagen, die sich auf die Beseitigung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten beziehen, 2. Hinweise auf ärztliche Empfehlungen oder ärztliche Gutachten, 3. Krankengeschichten oder Hinweise auf solche, 4. Äußerungen Dritter, insbesondere Dank-, Anerkennungs- oder Empfehlungsschreiben, soweit sie sich auf die Beseitigung oder Linderung von Krankheiten beziehen, 5. bildliche Darstellungen von Personen in der Berufskleidung oder bei der Ausübung der Tätigkeit von Angehörigen der Heilberufe, des Heilgewerbes oder des Arzneimittelhandels (...)

Kastentext: Novel Food

Aus der Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. 1. 1997 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten: Artikel 3: (1) Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten, die unter diese Verordnung fallen, dürfen

  • keine Gefahr für den Verbraucher darstellen
  • keine Irreführung des Verbrauchers bewirken
  • sich von Lebensmitteln oder Lebensmittelzutaten, die sie ersetzen sollen, nicht so unterscheiden, dass ihr normaler Verzehr Ernährungsmängel für den Verbraucher mit sich brächte.

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