Prisma

Weniger Therapie ist mehr

Die Lebensqualität von Krebspatienten muß bei der Abwägung der möglichen Therapieschritte stärker beachtet werden als bisher üblich. Dafür plädiert Professor Joachim Müller, Direktor der "Klinik für Allgemein-, Visceral-, Gefäß und Thoraxchirurgie" der Charité.


In einer Studie an seiner Klinik, über die er auf einem Symposium in Berlin am 20./21. November 1998 berichtete, ist die Lebensqualität von Patienten mit Oesophagus-Karzinomen in Beziehung zu verschiedenen Therapieformen gesetzt worden.
Im Vordergrund der Behandlung dieser Krebsart steht die chirurgische Entfernung der Speiseröhre, die durch den nach oben gezogenen Magen ersetzt wird. Ergänzt werden kann die Behandlung durch eine der Operation vorgeschaltete Chemo- und Strahlenbehandlung oder eine der Operation angefügte Radiotherapie. An der Charité wurden diese drei Therapiemodalitäten gegen die dadurch bewirkte Minderung der Lebensqualität abgewogen:

  • ūBeschränkte sich die Behandlung allein auf die Tumorentfernung, so hatten die Kranken etwas mehr als 2 Monate von der ihnen insgesamt verbliebenen mittleren Überlebenszeit (von 16 Monaten) unter eingeschränkter Lebensqualität gelebt. Dies ergab sich aus der Beobachtung von 30 Patienten.
  • ū34 weitere unterzogen sich im Anschluß an die Operation noch einer Strahlentherapie. Die Nebenwirkungen dieser Nachbehandlung (Schluckbeschwerden, zunehmendes Schwächegefühl und unerwünschte Hautreaktionen) waren so erheblich, daß eine Lebensqualität, die in etwa jener vor der Operation entsprach, erst nach Ablauf von mehr als 6 Monaten (der 16 monatigen Überlebensfrist) erreicht wurde. Da auch drei weitere Studien zeigten, daß die Nachbestrahlung keine Lebensverlängerung bewirkt, wird sie an der Charité nicht mehr angewendet.
  • ū12 Patienten, die vor der Operation sowohl eine Chemo- als auch eine Strahlentherapie erhalten hatten, erreichten einen erträglichen Grad der Lebensqualität sogar erst nach Ablauf von etwa 10 Monaten, so daß rechnerisch nur noch etwa 6 Monate beschwerdearmen Daseins übrig blieben. Nachdem dies klar wurde, brach man die Studie ab und sieht seither von solcher Kombinationsbehandlung bei Patienten mit Ösophaguskarzinom ab.


Zwar liegt der intensiven Vor- oder Nachbehandlung die Vorstellung zugrunde, möglichst alle Tumorzellen, auch die in den örtlichen Lymphknoten, abzutöten. Tatsächlich aber fehlen bisher aussagefähige, große Studien zur Richtigkeit dieser Annahme beim Ösophaguskarzinom. Gestützt wird die Entscheidung für Verzicht auf zusätzliche Therapiemaßnahmen an der Charité auch durch eine auswärtige Untersuchung aus dem Jahre 1997, an der 400 Patienten mit Ösophaguskarzinom teilgenommen hatten. Eine Lebensverlängerung durch einer Behandlung mit Chemotherapeutika vor der Operation konnte nicht erreicht werden. ss
Quelle: Pressemitteilung von der medizinischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin

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