Medizin

Klinische Pharmazie: Definition, Ziele, internationaler Vergleich

Probleme in der Arzneimitteltherapie, die vor 30 Jahren in den USA systematisch untersucht wurden, gaben Anstoß zu Überlegungen, wie ein sicherer und rationaler Einsatz von Arzneimitteln zu gewährleisten sei. In diesem Zusammenhang wurde auch der Begriff "Klinische Pharmazie" geprägt, der seither diskutiert und inhaltlich weiterentwickelt wird.

Im Zeitraum zwischen 1965 und 1970 wurden vor allem in den USA Risiken und Fehler im Zusammenhang mit der Arzneimitteltherapie systematisch untersucht. Die Verschreibung, Abgabe und Anwendung von Arzneimitteln wurde häufig ohne Koordination zwischen den verschiedenen Berufsgruppen des Gesundheitssystems ausgeführt, da es an Kommunikation etwa zwischen Ärzten und Apothekern mangelte. Dies war ein wesentlicher Grund für Arzneimittelmißbrauch, irrationale Verordnung und fehlerhafte Anwendung. Folge davon waren nicht selten unerwünschte Arzneimittelwirkungen sowie Wechselwirkungen zwischen komedizierten Arzneimitteln. Diese ungelösten Probleme der Arzneimitteltherapie wurden gleichzeitig von Apothekern in Praxis und Ausbildung registriert. Sie erkannten, daß es notwendig war, sich verstärkt für eine bessere Arzneimitteltherapie einzusetzen. Es galt, ihre besonderen Kenntnisse und Erfahrungen zu nutzen, um einen sicheren und rationalen Einsatz von Arzneimitteln für Patienten und Gesellschaft zu gewährleisten. Dazu wurden im Laufe der Zeit entsprechende Konzepte und Strategien entwickelt und umgesetzt. Durch diese neuen Tätigkeiten erweiterte sich das Aufgabengebiet des Apothekers von der ausschließlichen Orientierung auf das Arzneimittel, wie etwa der Herstellung und der reinen Logistik, hin zu Information und Beratung von Patienten und Ärzten sowie zu patientenspezifischen Serviceleistungen. In diesem Zusammenhang wurde der Begriff "Klinische Pharmazie" oder auch "patientenorientierte Pharmazie" geprägt.

Definitionen Die erste Definition des "Committee of Curriculum" der "American Association of Colleges of Pharmacy" von 1968 lautet: "Clinical Pharmacy is that area within the pharmacy curriculum which deals with patient care with emphasis on drug therapy. Clinical Pharmacy seeks to develop a patient oriented attitude. Acquisition of new knowledge is secondary to attainment of skills in interprofessional and patient communication." Die Europäische Gesellschaft für Klinische Pharmazie (E.S.C.P.) beschreibt 1983 den klinisch-pharmazeutisch tätigen Apotheker folgendermaßen: "A Clinical Pharmacist is a health care provider promoting the effective, safe, and rational use of drugs by the individual and by society." Vor dem Hintergrund wiederholter Forderungen nach einem tragfähigen Konzept zur Weiterentwicklung des Apothekerberufes mit einer stärkeren Hinwendung zum Patienten definieren ABDA und Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft 1997: "Klinische Pharmazie ist die Disziplin der Pharmazie, die aufbauend auf pharmazeutisch-naturwissenschaftlichen Kenntnissen die Optimierung der Arzneimittelanwendung am und durch den Patienten zum Inhalt hat." Die Klinische Pharmazie bezieht somit den Patienten außerhalb des Krankenhauses ein, sollte also nicht mit Krankenhauspharmazie gleichgesetzt werden. Wenn sich auch die Definitionen für Klinische Pharmazie in der Wortwahl unterscheiden, so ist ihnen eines gemeinsam, sie haben den Einsatz des naturwissenschaftlichen Wissens des Apothekers über das Arzneimittel zur Verbesserung der Arzneimitteltherapie des Patienten zum Inhalt. Jede Definition der Klinischen Pharmazie sollte die Feststellung enthalten, daß die Klinische Pharmazie ein übergreifendes Ziel des Apothekers ist, patientenorientierte pharmazeutische Dienstleistungen zu erbringen, die für eine sichere und wirksame Therapie mit Arzneimitteln notwendig sind. In der Praxis muß neben dem notwendigen Fachwissen eine gute Kommunikation aufgebaut werden, die die Grundlage für eine enge Zusammenarbeit zwischen Apotheker, Patient, Arzt und anderen an der Therapie des Patienten beteiligten Berufsgruppen ist.

Internationaler Vergleich In vielen Ländern Europas hat die Pharmazie in den letzten 20 Jahren den Aufbau von klinisch-pharmazeutischen Dienstleistungen sowohl in Krankenhausapotheken als auch in öffentlichen Apotheken erlebt. Ähnlich wie in den USA haben sich diese patientenorientierten Dienstleistungen als Antwort auf das Bedürfnis entwickelt, die Arzneimitteltherapie sicherer und wirksamer zu machen. Zwischen dem amerikanischen Gesundheitssystem und dem in verschiedenen europäischen Ländern bestehen allerdings große Unterschiede. Das hat dazu geführt, daß die amerikanische Entwicklung als grundlegende Anregung gedient hat, jedoch in vielen Bereichen nicht übertragen werden konnte. Unterschiede ergeben sich allein aus der Verfügbarkeit der technischen Ressourcen und der Anzahl der Apotheker bzw. des pharmazeutischen Personals in den jeweiligen Apotheken. Im internationalen Vergleich fällt auf, daß die Entwicklung der Klinischen Pharmazie in Deutschland und Österreich ungefähr 10 bis 15 Jahre nach dem Beginn der Bewegung in den USA einsetzte. Es waren vor allem Krankenhausapotheker, die Auslandsaufenthalte z.B. in den USA, Großbritannien, den Niederlanden und Spanien nutzten und die Idee der Klinischen Pharmazie mit allen Einschränkungen, die durch limitierte personelle und materielle Ressourcen bestanden, in die Praxis umsetzten. An einigen Universitäten nehmen Krankenhausapotheker Lehraufträge wahr. Inhalte der Klinischen Pharmazie wurden in die Weiterbildungsordnungen der Apothekerkammern integriert. Trotzdem blieb die Klinische Pharmazie in Deutschland und Österreich bis Mitte der 90er Jahre noch sehr auf krankenhausspezifische und damit nur indirekt patientenorientierte Dienstleistungen beschränkt und unterschied sich somit von der internationalen Definition von Clinical Pharmacy. Der Klinischen Pharmazie in Deutschland fehlt im Krankenhaus häufig noch immer die Patientennähe, um im wahren Sinn des Wortes patientenorientiert zu sein. Die meisten Dienstleistungen werden zentral wohl für den Patienten erbracht, doch für den direkten Kontakt zum Kranken, z.B. bei der Einweisung oder Entlassung sowie während des stationären Aufenthaltes, gibt es nur wenige Beispiele. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Ärzten und Pflegepersonal hat sich demgegenüber besser entwickelt, nicht zuletzt durch den äußeren Zwang zur pharmakoökonomischen Betrachtung der Arzneimitteltherapie. Die Aufnahme der Klinischen Pharmazie in die zu ändernde Approbationsordnung für Apotheker wird den Abschluß einer fast 15jährigen Entwicklung in Deutschland bringen. Die Verankerung des Faches an den Hochschulen wird wesentlich dazu beitragen, den deutlichen Abstand zu verringern, der zur Klinischen Pharmazie in den USA und anderen europäischen Ländern in Praxis und Lehre besteht.

Praxis: Pharmaceutical Care 1990 stellten C. D. Hepler und L. M. Strand in den USA "Pharmaceutical Care" als Weiterentwicklung für den Apothekerberuf vor. Die Erfahrungen und Kenntnisse in Klinischer Pharmazie hatten sich in den USA bis zu dem Punkt entwickelt, daß der Apotheker eine Mitverantwortung für das Ergebnis der Arzneimitteltherapie des Patienten übernehmen mußte. "Pharmazeutische Betreuung ist die konsequente Wahrnehmung der Mitverantwortung des Apothekers bei der Arzneimitteltherapie mit dem Ziel, bestimmte therapeutische Ergebnisse zu erreichen, die geeignet sind, die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Patienten zu verbessern." Die enge Verbindung zur Klinischen Pharmazie zeigt sich darin, daß nicht, wie früher üblich, das Arzneimittel im Zentrum des Interesses des Apothekers steht. Die Bedürfnisse des Patienten zur Verbesserung seiner Lebensqualität treten in den Vordergrund. Der Apotheker bringt sich stärker als bisher in die vom Arzt angestrebten therapeutischen Ziele ein. Pharmaceutical Care kann somit als praktizierte Klinische Pharmazie im Sinne von "Clinical Pharmacy" angesehen werden. Im Rahmen des Konzepts von Pharmaceutical Care bemühen sich Arzt und Apotheker gemeinsam um eine optimale Arzneimittelanwendung am Patienten. Der am schnellsten sichtbare Nutzen liegt in der Reduktion arzneimittelbedingter Probleme. Es ist eine große Chance, wenn Offizinpharmazie, Krankenhauspharmazie und Hochschulen mit identischer Zielsetzung in eine gemeinsame Richtung wirken.

Verfasser: Prof. Dr. Hans Meyer (ļ), ehemals Karlsruhe. Das Manuskript von Herrn Professor Meyer wurde nach seinem Ableben von den Herausgebern der DAZ-Serie aktualisiert.

Herausgeber der DAZ-Serie Klinische Pharmazie sind Ulrich Jaehde, Berlin Roland Radziwill, Fulda Stefan Mühlebach, Aarau Walter Schunack, Berlin

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