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Arzneimittel für die Vaginalflora
Probiotika dürfen keine Medizinprodukte mehr sein
Der Anbieter von „Vagisan ProbioFlora Milchsäure-Bakterien“, die Dr. August Wolff GmbH&Co.KG, macht derzeit auf eine gesetzliche Änderung aufmerksam: Demnach dürfen ab Mai 2024 Milchsäurebakterien-Präparate keine Medizinprodukte mehr sein. „Vagisan ProbioFlora Milchsäure-Bakterien“ sei „aktuell das einzige Produkt, welches bereits die Umstellung auf den Arzneimittelstatus erfolgreich durchlaufen hat“. Was steckt dahinter und welche Produkte sind noch betroffen?
Nicht immer ist es leicht zu erkennen, ob es sich bei einem Präparat um ein (stoffliches) Medizinprodukt oder ein Arzneimittel handelt. Die neue EU-Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation, MDR), die zum 26. Mai 2021 vollumfänglich in Kraft getreten ist, macht das zunächst nicht unbedingt einfacher – zumal für die Umstellung des Marktes noch Übergangsfristen gelten.
Beispielsweise zählten und zählen Vaginalcremes oder -gele zur Wiederherstellung des physiologischen Milieus zu den Medizinprodukten, da von einer physikochemischen und keiner pharmakologischen Hauptwirkung auszugehen ist [1]. Doch gilt das auch für Vaginal-Kapseln mit Milchsäurebakterien?
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Apothekenrelevante Folgen der geänderten Verordnung
Medizinprodukte neu geordnet
In der EU-Verordnung 2017/745 vom 5. April 2017 über Medizinprodukte heißt es in Artikel 1 Abs. 6 h), dass die Verordnung unter anderen nicht für Produkte gilt, „die aus lebensfähigen biologischen Substanzen oder lebensfähigen Organismen — einschließlich lebender Mikroorganismen, Bakterien, Pilzen oder Viren — bestehen oder solche enthalten, um die Zweckbestimmung des Produkts zu erreichen oder zu unterstützen“. Produkte wie „Vagisan ProbioFlora Milchsäure-Bakterien“ zur Aufrechterhaltung der normalen Vaginalflora dürfen laut der Verordnung also keine Medizinprodukte mehr sein [2].
Probiotika dürfen weiterhin Nahrungsergänzungsmittel sein
Bereits 2017 machte das Unternehmen Diapharm darauf aufmerksam, dass einige Medizinprodukte in der Folge künftig als Arzneimittel auf den Markt kommen könnten [3]. Denn zwar dürfen auch Nahrungsergänzungsmittel Probiotika enthalten. Für solche Produkte zu werben, soll aber kaum möglich sein [3, 4].
Hinsichtlich der Übergangsregelungen, wie lange Probiotika noch als Medizinprodukte im Handel bleiben dürfen, gab es dann offenbar einige Unsicherheiten. In Artikel 120 Abs. 2 der MDR heißt es jedoch, dass Bescheinigungen, die von Benannten Stellen nach dem 25. Mai 2017 gemäß den Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG ausgestellt wurden, spätestens am 27. Mai 2024 ihre Gültigkeit verlieren [2, 5].
Darauf scheint sich nun die Dr. August Wolff GmbH&Co.KG zu berufen, wenn sie am 25. März in einer Pressemitteilung erklärt, dass „Vagisan ProbioFlora Milchsäure-Bakterien“ aktuell das einzige Produkt sei, welches bereits die Umstellung auf den Arzneimittelstatus erfolgreich durchlaufen hat [6].
Kijimea weiterhin als Medizinprodukt erhältlich?
Nun gibt es Probiotika nicht nur für die Vaginalflora, bekannt sind vor allem Präparate für den Darm. Dass auch solche Produkte künftig keine Medizinprodukte mehr sein dürfen, darauf machte im November 2020 die Zeitschrift „Gute Pillen – Schlechte Pillen“ aufmerksam, die sich an Patient:innen richtet. Die Zeitschrift fragte damals beim Anbieter des Medizinprodukts „Kijimea Reizdarm Pro“ gegen Reizdarm an, „was denn angesichts der neuen Verordnung aus seinem Präparat wird“. Der Anbieter machte daraufhin darauf aufmerksam, dass der enthaltene Bifdo-Bakterienstamm hitzeinaktiviert sei und somit im Sinne der MDR nicht mehr „lebensfähig“ und weiterhin als Medizinprodukt verkehrsfähig bleibe [4].
Erhöhtes Risiko für Präeklampsie
Besser keine Probiotika in der Schwangerschaft
In der Lauer-Taxe® ist (Stand 1. April 2024) auch „Kijimea Reizdarm“ weiterhin als Medizinprodukt gelistet. Anders als „Kijimea Reizdarm Pro“ ist in „Kijimea Reizdarm“ ein Bifdo-Bakterienstamm enthalten, der nicht hitzeinaktiviert ist. Zahlreiche andere Kijimea-Präparate sind Nahrungsergänzungsmittel [7].
Vagisan ohne Konkurrenz?
Doch zurück zu den „Vagisan ProbioFlora Milchsäure-Bakterien“:
Diese enthalten zwei Milchsäure-produzierende Bakterienstämme [6]:
- Lactobacillus rhamnosus hemmt laut Hersteller in vitro das Wachstum von Hefepilzen (wie Candida albicans) und Bakterien (wie Gardnerella vaginalis).
- Lactobacillus gasseri soll neben Milchsäure auch Wasserstoffperoxid produzieren und so in vitro die Wachstumsmöglichkeiten von pathogenen Bakterien begrenzen.
In der Fachinformation (Stand März 2022) heißt es allerdings auch: „Die von Lactobacillus gasseri sowie Lactobacillus rhamnosus in der Scheide entfaltete Wirkung ist vorläufig unbekannt.“ Durch die Produktion der Milchsäure soll aber der pH-Wert in der Scheide gesenkt werden, auch Wasserstoffperoxid soll die Vaginalflora positiv beeinflussen und die Laktobazillen selbst sollen durch Adhäsion an der Schleimhaut die Adhäsion pathogener Bakterien verhindern [8].
In der Lauer-Taxe® kann man für „Vagisan ProbioFlora Milchsäure-Bakterien“ nur nach Artikeln derselben Warengruppe suchen, wirkstoffgleiche Präparate werden zum Beispiel nicht gelistet. Bei einer solchen Abfrage erscheinen keine weiteren Arzneimittel, sondern nur Medizinprodukte. Darunter befinden sich beispielsweise die bekannten „Döderlein“ Vaginalkapseln. Sie enthalten ein Lactobacillus gasseri-Kulturlyophilisat [9].
Aus dem Gleichgewicht
Bakterielle Vaginose – Probiotische Anschlusstherapie nicht vergessen
In der Leitlinie (Stand Juni 2023) zur bakteriellen Vaginose (BV) heißt es: „Der Einsatz von vaginal oder oral applizierten Laktobazillen oder Probiotika zur Prophylaxe oder gar Therapie einer BV wird kontrovers beurteilt, obwohl einzelne Studien signifikante Vorteile für die Anwendung von Probiotika bei oder nach BV zeigten.“ Beispielsweise für die Kombination aus L. rhamnosus, L. acidophilus und Streptococcus thermophilus liegen für die vaginale Applikation positive Daten vor.
Nach einem Expertenkonsens in der Leitlinie soll auf die Therapie einer chronisch-rezidivierenden BV ein Probiotikum folgen, um die Rezidiv-Wahrscheinlichkeit zu reduzieren. Auf den Status – Nahrungsergänzungsmittel, Medizinprodukt oder Arzneimittel – geht die Leitlinie bei dieser Empfehlung jedoch nicht näher ein. Sie betrachtet das Thema Selbstmedikation einer BV jedoch grundsätzlich kritisch und erklärt dazu in Bezug auf Medizinprodukte: „Die EU-weite Medizinprodukte-Verordnung (Medical Device Regulation) von 2017 verlangt eine Zertifizierung mit Nachweis der Wirksamkeit z. B. durch klinische Studien, die jedoch bei manchen (schon lange etablierten) Präparaten fehlen. Dazu zählen praktisch alle Vaginalia, die per definitionem kein Medikament sind“ [10].
Literatur
[1] Schweim J. Medizinprodukte neu geordnet. DAZ 2023, Nr.3, S.48, 19.01.2023, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2023/daz-3-2023/medizinprodukte-neu-geordnet
[2] EU-Verordnung 2017/745 vom 5. April 2017 über Medizinprodukte, eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX%3A32017R0745
[3] Turowski A. Quo vadis Probiotikum: Zur Zukunft lebender Mikroorganismen in Consumer Healthcare Produkten. Internetauftritt von Diapharm, Stand 04.12.2017, www.diapharm.com/news/quo-vadis-probiotikum-zur-zukunft-lebender-mikroorganismen-in-consumer-healthcare-produkten/
[4] Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2020. Pflaster für den Darm? Was hinter der Kijimea-Werbung steckt. Stand: 2. November 2020, gutepillen-schlechtepillen.de/pflaster-fuer-den-darm/
[5] Internetauftritt von Diapharm. Diapharm schafft den Switch zum Arzneimittel. Stand: 08.06.2022, www.diapharm.com/news/probiotische-medizinprodukte-verlieren-markt-zugang-diapharm-schafft-den-switch-zum-arzneimittel/
[6] Pressemitteilung der Dr. August Wolff GmbH&Co.KG. Neue Regelungen für vaginale Probiotika zur Förderung der Intimgesundheit. Stand: 25.03.2024, www.drwolffgroup.com/neue-regelung-probiotika/
[7] Suche nach Kijimea-Präparaten in der Lauer-Taxe®, Stand 1. April 2024
[8] Fachinformation zu Vagisan ProbioFlora Milchsäure-Bakterien, Stand März 2022, www.fachinfo.de/
[9] Suche nach Alternativpräparaten zu Vagisan ProbioFlora Milchsäure-Bakterien in der Lauer-Taxe®, Stand 1. April 2024
[10] S2k-Leitlinie Bakterielle Vaginose, Stand: 01.06.2023, gültig bis: 31.05.2027, register.awmf.org/de/leitlinien/detail/015-028
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