Probiotika keine Medizinprodukte mehr (UPDATE)

Was passiert mit Döderlein, Kijimea und Co.?

Stuttgart - 17.04.2024, 10:45 Uhr

Probiotika gibt es nicht nur für den Darm, sondern auch für die Vaginalflora. (Foto: Orawan / AdobeStock)

Probiotika gibt es nicht nur für den Darm, sondern auch für die Vaginalflora. (Foto: Orawan / AdobeStock)


Probiotika dürfen laut einer EU-Verordnung künftig keine Medizinprodukte mehr sein. Was mit den einzelnen noch am Markt befindlichen Produkten wann passiert, scheint jedoch teils noch offen zu sein. Wechseln sie zum Status Arzneimittel? Werden sie zu Nahrungsergänzungsmitteln oder verschwinden manche auch einfach vom Markt? Und vor allem wann?

Laut der EU-Verordnung 2017/745 vom 5. April 2017 über Medizinprodukte (Medical Device Regulation, MDR) dürfen Probiotika ab dem 27. Mai keine Medizinprodukte mehr sein. Darauf macht der Anbieter von „Vagisan ProbioFlora Milchsäure-Bakterien“, die Dr. August Wolff GmbH&Co.KG, derzeit aufmerksam und wirbt damit, das einzige Produkt auf dem Markt anzubieten, das bereits erfolgreich vom Medizinprodukt zum Arzneimittelstatus gewechselt ist.

Andere Probiotika-Anbieter sind im Kontrast dazu erstaunlich still. Die DAZ hat deshalb stellvertretend bei zwei Herstellern nachgefragt, wie es um ihre Produkte steht. Verschwinden sie am 27. Mai einfach aus dem Handel?

Döderlein-Produkte noch bis Haltbarkeitsende im Handel

GlaxoSmithKline (GSK) erklärt auf Anfrage der DAZ, ob auch die „Döderlein“ Vaginalkapseln künftig als Arzneimittel vertrieben werden sollen oder am 27. Mai außer Handel gehen:


Unsere Produkte erfüllen alle regulatorischen Anforderungen, wir sind uns der Vorgaben der MDR bewusst und berücksichtigen diese. Döderlein-Produkte in ihrer bisherigen Form können noch bis zum Ende ihrer Haltbarkeit vermarktet werden. Wir werden die Apotheken sowie Patientinnen und Patienten zu gegebener Zeit über Änderungen informieren.

Mail von GSK am 5. April 2024


Warum dürfen die Döderlein-Produkte länger im Handel bleiben, als es die Dr. August Wolff GmbH&Co.KG in ihrer Werbung suggeriert? GSK verweist dazu in einer Mail vom 12. April darauf, dass „mit der Abschaffung der Abverkaufsfrist gemäß Verordnung (EU) 2023/607“ vom 20. März 2023 Döderlein Vaginalkapseln bis ans Ende der Haltbarkeit abverkauft werden könnten. Hinsichtlich der Umstellung des Produkts könne man noch keine Details nennen. 

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Bereits im November 2020 hatte die Zeitschrift „Gute Pillen – Schlechte Pillen“ darauf aufmerksam gemacht, dass auch Medizinprodukte wie „Kijimea“ von der neuen Mediziprodukteverordnung betroffen sein werden. Die Zeitschrift fragte damals beim Anbieter des Medizinprodukts „Kijimea Reizdarm Pro“ gegen Reizdarm an, „was denn angesichts der neuen Verordnung aus seinem Präparat wird“. 

Der Anbieter machte daraufhin darauf aufmerksam, dass der enthaltene Bifdo-Bakterienstamm hitzeinaktiviert sei und somit im Sinne der MDR nicht mehr „lebensfähig“ und weiterhin als Medizinprodukt verkehrsfähig bleibe. Allerdings, anders als „Kijimea Reizdarm Pro“, ist in „Kijimea Reizdarm“ ein Bifdo-Bakterienstamm enthalten, der nicht hitzeinaktiviert ist. Zahlreiche andere Kijimea-Präparate werden als Nahrungsergänzungsmittel angeboten.

„Kijimea Reizdarm“ wird zum Nahrungsergänzungsmittel

Deshalb hat die DAZ sich auch an die Synformulas GmbH gewandt und gefragt, was denn nun aus „Kijimea Reizdarm“ wird? In seiner Antwort verweist die Firma vor allem auf „Kijimea Reizdarm Pro“, das eine „Weiterentwicklung“ von „Kijimea Reizdarm“ sei und im vergangenen Jahr nach der neuen Medizinprodukteverordnung rezertifiziert wurde. Zur Verkehrsfähigkeit von „Kiijimea Reizdarm“ erklärt Synformulas: „Vom Vorgänger Kijimea® Reizdarm sind noch Restbestände im Verkehr. Diese dürfen gem. Verordnung (EU) 745/2017 Art. 120(4) auch über den 27.05. hinaus verkauft werden.“ 

In Verordnung (EU) 745/2017 heißt es im Artikel 120 Absatz 4 in der überarbeiteten Version vom 20. März 2023 wörtlich:


„Produkte, die vor dem 26. Mai 2021 gemäß den Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG rechtmäßig in Verkehr gebracht wurden, und Produkte, die ab dem 26. Mai 2021 gemäß den Absätzen 3, 3a, 3b und 3f in Verkehr gebracht wurden, dürfen weiter auf dem Markt bereitgestellt oder in Betrieb genommen werden.“

Verordnung (EU) 745/2017 Art. 120(4), Stand 20. März 2023 


Auch längerfristig soll „Kijimea Reizdarm“ nicht  vom Markt verschwinden: „Für die Kunden, die weiterhin das Präparat mit lebenden Bakterien des Stammes B. bifidum MIMBb75 wünschen, werden wir Kijimea® als Nahrungsergänzungsmittel anbieten“, erklärt Synformulas.

Überwachungsbehörden der einzelnen Bundesländer sind gefragt

Hinsichtlich der Übergangsregelungen, wie lange Probiotika noch als Medizinprodukte im Handel bleiben dürfen, gibt es also offenbar einige Unsicherheiten. Denn der Vagisan-Anbieter, die Dr. August Wolff GmbH&Co.KG, erklärt in einer Pressemitteilung vom März, dass vaginale Probiotika ab Mai 2024 als Arzneimittel zugelassen sein müssen, um vertrieben werden zu dürfen.

Als sich die DAZ zur Klärung an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte wandte, ob ab dem 27. Mai 2024 für die Apotheken mit entsprechenden Produktrückrufen oder anderen regulatorischen Maßnahmen zu rechnen ist, verwies dieses an die Überwachungsbehörden der einzelnen Bundesländer. 

Gynophilus ab 30. April außer Vertrieb

*Die DAZ hat daraufhin bei der Bezirksregierung Köln, die für die Gynophilus-Medizinprodukte von Vitatris zuständig ist, angefragt, ob ab dem 27. Mai für die Apotheken mit entsprechenden Produktrückrufen (von Gynophilus-Medizinprodukten) oder mit anderen regulatorischen Maßnahmen zu rechnen ist. Könnte mit rechtlichen/regulatorischen Konsequenzen zu rechnen sein, wenn Apotheken weiterhin probiotische Medizinprodukte wie Gynophilus anbieten? 

Die Mylan Germany GmbH (gehört zur Viatris Group) trete rechtlich gesehen lediglich als Händler in Erscheinung, heißt es. Hersteller von Gynophilus sei die Firma Biose Industrie aus Frankreich. Diese hat nun gegenüber der Bezirksregierung Köln angegeben, dass „die Gynophilus Medizinprodukte nicht weiter vertrieben“ werden und, dass die letzten Chargen vollständig abverkauft wurden: „Die Produkte werden mit Verfall der letzten Charge (30.04.2024) außer Vertrieb gesetzt“, schreibt die Bezirksregierung Köln in einer Mail an die DAZ vom 17. April. Eine Vermarktung als Arzneimittel sei nicht geplant, womit auch ausgeschlossen werden könne, „dass Apotheken das in Rede stehende Produkt des im RB Köln ansässigen Händlers künftig an Kunden/Patienten abgeben“. 

Damit bleibt wohl bei jedem einzelnem Probiotikum mit lebensfähigen Mikroorganismen abzuwarten, was wann konkret aus ihnen wird. Eine allgemeingültige Aussage lässt sich derzeit nicht treffen:


„Die allgemeinen Anfragen probiotikahaltige Vaginalia betreffend bitte ich um Verständnis, dass eine schriftliche Einschätzung der Bezirksregierung Köln zum rechtlichen Status der Präparate und dem Umgang mit bereits in Verkehr gebrachten und somit im Markt befindlichen Produkten anderer Hersteller nicht stellvertretend für die ganze Bundesrepublik Deutschland getroffen werden kann.“

Bezirksregierung Köln, E-Mail vom 17. April 2024


* Dieser Artikel ist zuerst am 17. April 2024 erschienen und wurde am 18. April 2024 um 16:25 Uhr aktualisiert (dm)


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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