Die Blaue Hand – Teil 10

Fentanyl zum Lutschen?

Stuttgart - 26.02.2024, 10:45 Uhr

Die Fentanyl-Lutschtablette bietet Beratungspotenzial, handelt es sich doch gar nicht um eine Lutschtablette im klassischen Sinne, sondern eher einen „Lutscher“. (Symbolfoto: fotoduets / AdobeStock)

Die Fentanyl-Lutschtablette bietet Beratungspotenzial, handelt es sich doch gar nicht um eine Lutschtablette im klassischen Sinne, sondern eher einen „Lutscher“. (Symbolfoto: fotoduets / AdobeStock)


Wer „Lutschtabletten“ liest, der denkt vermutlich zunächst vor allem an Präparate gegen Halsschmerzen – und nicht an hochpotente Opioide in der Behandlung von Durchbruchschmerzen bei Tumorerkrankungen. Es ist also spezielles pharmazeutisches Fachwissen gefragt, wenn zwischen Darreichungsformen wie Sublingual-, Buccal- und Lutschtabletten unterschieden und zur Anwendung bei Durchbruchschmerzen beraten werden muss.

Hochpotente Wirkstoffe erfordern besondere Aufmerksamkeit. Neben behördlich genehmigtem Schulungsmaterial zu Fentanyl-Nasenspray für Apotheker gibt es auch Leitfäden zur Abgabe von Fentanyl-Lutschtabletten (Actiq®), Fentanyl-Buccaltabletten (Effentora®) sowie Sublingual-Tabletten (Abstral® und Fentanyl-Hexal® sublingual). 

Während den meisten Apothekern relativ klar sein dürfte, was sich hinter einer Sublingualtablette verbirgt und wie diese anzuwenden ist, erscheinen die Fentanyl-Lutschtabletten und Fentanyl-Buccaltabletten doch erklärungsbedürftiger zu sein. Jedenfalls werden für die Präparate Actiq® und Effentora® gezielt Leitfäden für Apotheker angeboten [1]. Was ist wichtig für die Beratung zur Anwendung in der Praxis?

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Die Blaue Hand

Die Sublingualtabletten sollen an die tiefste Stelle im Mund direkt unter die Zunge gelegt und nicht gekaut, gelutscht, zerbissen oder als ganze Tablette geschluckt werden. Die Tabletten sollen von selbst zergehen. Somit dürfen Patienten nichts essen oder trinken, ehe die Tablette sich vollständig aufgelöst hat. Lediglich bei Mundtrockenheit kann die Schleimhaut vor der Anwendung mit Wasser befeuchtet werden [2, 3].

Vorsicht Präparatewechsel!

Der Leitfaden zur Sublingualtablette Abstral® richtet sich zwar nur an Ärzte, dennoch finden sich dort auch für die Apotheke weitere wichtige Hinweise: So dürfen die Sublingualtabletten nicht einfach aus dem Blister herausgedrückt werden, stattdessen muss die Folie vorsichtig abgezogen werden [2]. Im Leitfaden zu den Sublingualtabletten von Hexal werden auch die Apotheker direkt angesprochen. So heißt es dort neben anderen Hinweisen beispielsweise wörtlich [3]:

Hinweis für Apotheker:

Achten Sie bei Abgabe von Fentanyl-Sublingualtabletten darauf, ob eine Umstellung zwischen verschiedenen Präparaten erfolgt ist, und hinterfragen Sie, ob eine erneute Dosiseinstellung mit dem neuen Präparat erfolgt ist. Halten Sie ggf. Rücksprache mit dem behandelnden Arzt.“

Die absolute Bioverfügbarkeit für Abstral® wird in der Fachinformation mit einem Wert von 54% angegeben, die „von Fentanyl-HEXAL sublingual wurde nicht bestimmt, wird aber auf etwa 70% geschätzt“ [4, 5]. Bei den Buccaltabletten Effentora® soll die absolute Bioverfügbarkeit 65% betragen, bei Actiq® wird ein Wert von 50% angegeben [6, 7]. In allen Fachinformationen wird entsprechend darauf hingewiesen, dass eine Umstellung zwischen verschiedenen Fentanylcitrat-Präparaten aufgrund der unterschiedlichen Resorptionsprofile nicht im Verhältnis 1:1 erfolgen darf [4 – 7].

Von der Buccaltablette …

Neben einer erneuten Dosistitration ist beim Wechsel von einer Sublingualtablette auf eine Buccaltablette zudem zu beachten, dass diese nicht unter die Zunge, sondern in der Nähe eines Backenzahns zwischen Wange und Zahnfleisch eingelegt werden sollte. Laut Schulungsmaterial ist „wahlweise“ aber auch eine sublinguale Anwendung möglich. Insofern gelten die meisten Anwendungshinweise für Sublingualtabletten auch für die Buccaltablette. Das heißt, dass auch sie nicht gelutscht oder gekaut werden darf. Lediglich wenn sie sich nach 30 Minuten noch nicht vollständig von allein aufgelöst hat, können die Reste mit einem Glas Wasser geschluckt werden [8].

… zur Lutschtablette

Die Fentanyl-Lutschtablette erfordert schließlich wohl den größten Beratungsbedarf, handelt es sich doch gar nicht um eine Lutschtablette im klassischen Sinne, sondern eher einen „Lutscher“. Die Beratung beginnt schon bei der Entnahme aus dem Blister, für die es einer Schere bedarf. Wurde die Lutschtablette erfolgreich entnommen, soll sie mithilfe des Applikators im Mund an die Wange gelegt und dort hin und her bewegt werden. Auch hier ist wie bei den Sublingualtabletten Kauen verboten [9].

Bildquelle: Actiq Lutschtabletten Leitfaden für Patientinnen und Patienten; 12/2022, V5 

Dosistitration

Fentanyl ist ein stark lipophiler Wirkstoff. Seine Resorption aus der Mundschleimhaut erfolgt sehr rasch, wohingegen die Aufnahme über den Gastrointestinaltrakt etwas langsamer erfolgt. Da bei nasaler oder Applikation über die Mundschleimhaut ein sehr rasches Anfluten und damit ein schneller Wirkeintritt möglich ist, haben diese Darreichungsformen ihren Stellenwert in der Behandlung sogenannter Durchbruchschmerzen. [6, 10]

Patienten sollten als Anfangsdosis immer die niedrigste Dosis erhalten. Durch eine schrittweise Erhöhung gilt es dann eine wirksame Dosis zu finden, die eine ausreichende Analgesie bei tolerablen Nebenwirkungen ermöglicht. Diese Dosistitration erfolgt in Absprache mit dem behandelnden Arzt und nicht in Eigenregie des Patienten. Ehe eine weitere Schmerzepisode behandelt wird, müssen mindestens vier Stunden vor der erneuten Einnahme verstreichen. Treten regelmäßig mehr als vier Durchbruchschmerz-Episoden innerhalb von 24 Stunden auf, sollte die Basistherapie unter die Lupe genommen und gegebenenfalls angepasst werden.

Nur bei passender Indikation ...

Das behördlich genehmigte Schulungsmaterial soll neben der richtigen Anwendung vor allem sicherstellen, dass tatsächlich nur jene Patienten eine Verordnung erhalten, die

  • an Durchbruchschmerzen aufgrund einer chronischen Tumorerkrankung leiden,
  • seit mindestens einer Woche eine Dauertherapie mit einem Opioid-Analgetikum erhalten wie

          • Morphin oral ≥ 60 mg/Tag oder

          • Fentanyl transdermal ≥ 25 μg/Stunde oder

          • Oxycodon ≥ 30 mg/Tag oder

          • Hydromorphon oral ≥ 8 mg/Tag oder

          • eine äquianalgetische Dosis eines anderen Opioids,

  • mindestens 18 Jahre bzw. 16 Jahre (Actiq®) alt sind.

Die wiederholte Anwendung von Fentanyl kann zu einer Opioid-Gebrauchsstörung führen. Deuten Zeichen auf Sucht und Missbrauch hin, sollte das stutzig machen und der Arzt kontaktiert werden. Er wird den Patienten engmaschig betreuen und regelmäßig kontrollieren.

... ist die Einnahme sicher

Betreuungspersonen, Angehörige und Patienten sollten für Anzeichen einer Überdosierung sensibilisiert werden. Diese sind im Wesentlichen:

  • verlangsamte oder flache Atmung
  • starke Schläfrigkeit
  • Bewusstlosigkeit.

In diesen Fällen muss sofort der Notruf (112) verständigt werden. Das gilt auch, falls die Tablette versehentlich von einem Kind oder einer Person eingenommen wurde, der das Medikament nicht verschrieben wurde.

In der Regel bieten Apotheken an, nicht mehr benötigte Tabletten bei Rückgabe von Angehörigen sicher zu entsorgen. Auf der Webseite www.arzneimittelentsorgung.de erfahren Sie je nach Postleitzahl, wie Arzneimittel umweltbewusst entsorgt werden können [9]. 

Auch wenn die Darreichungsformen sich durch die Aufnahme über die Mundschleimhaut also sehr ähneln, zeigen diese Ausführungen, wie wichtig eine differenzierte Beratung in der Apotheke bei der praktischen Anwendung ist.

Literatur 

[1] Schulungsmaterial des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Risikoinformationen/Schulungsmaterial/_functions/Schulungsmaterial_Formular.html

[2] Leitfaden für Ärzte zur Verschreibung von Abstral® Sublingualtabletten, Schulungsmaterial des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Abruf 08.02.2024

[3] Schulungsmaterial zu Fentanyl-Hexal®. Leitfaden zur Verringerung von Arzneimittel- und Anwendungsrisiken Ärztinnen/Ärzte und Apothekerinnen/Apotheker*. Stand Mai 2023

[4] Fachinformation zu Abstral® 100 μg/200 μg/300 μg/400 μg/600 μg/800 μg Sublingualtabletten, Stand September 2022, www.fachinfo.de/

[5] Fachinformation von Fentanyl-HEXAL® sublingual, Stand März 2022, www.hexal.de/hcp/produkte/fentanyl-hexal-sublingual

[6] Fachinformation zu Effentora Buccaltabletten, Stand: September 2022, www.fachinfo.de/

[7] Fachinformation zu Actiq 200/400/600/800/1200/1600 Mikrogramm Lutschtablette, Stand März 2023, www.fachinfo.de/

[8] Leitfaden zur Verringerung von Arzneimittel- und Anwendungsrisiken – Apothekerinnen/Apotheker* zur Abgabe von Fentanyl Buccaltabletten

[9] Leitfaden zur Verringerung von Arzneimittel- und Anwendungsrisiken – Apothekerinnen/Apotheker* zur Abgabe von Fentanyl Lutschtabletten

[10] Fachinformation zu PecFent 100/400 Mikrogramm/Sprührstoß, Stand April 2021, www.fachinfo.de/


Anna Carolin Antropov, Apothekerin
redaktion@daz.online


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Sachen gibts

von Stephan G. am 27.02.2024 um 10:40 Uhr

Was um Himmels Willen ist ein e Patient
Nur zum Spaß)

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