Ohne Rezept und Arztbesuch

Apotheken in England behandeln leichte Erkrankungen direkt

Berlin - 01.02.2024, 16:45 Uhr

Halsschmerzen und andere leichte Erkrankungen können ab jetzt in Großbritannien direkt in Apotheken behandelt werden. (Foto: imago-images / HalfPoint Images) 

Halsschmerzen und andere leichte Erkrankungen können ab jetzt in Großbritannien direkt in Apotheken behandelt werden. (Foto: imago-images / HalfPoint Images) 


Aufgrund stark überlasteter Arztpraxen beraten und behandeln Apotheken in England ab sofort Patient:innen mit leichten Krankheitssymptomatiken direkt, ohne Rezept und vorherige Konsultation in der Arztpraxis. Die Apotheker:innen begrüßen das, Vertreter:innen der Ärzteschaft geben zu bedenken, dass Apotheken ihre Kompetenzen nicht überschreiten dürften.

In England können Patient:innen ab sofort bei sieben verschiedenen Krankheitsbildern direkt in der Apotheke beraten und behandelt werden. Das gab der englische Nationale Gesundheitsdienst (NHS) am Mittwoch auf seiner Internetseite bekannt. Unter dem Schlagwort „Pharmacy First“ soll Patient:innen die Möglichkeit gegeben werden, statt in eine überfüllte Arztpraxis zu gehen, den Weg in die Apotheke vor Ort zu suchen. 

Bei folgenden Erkrankungen ist das möglich:

  •  Sinusitis
  •  Halsschmerzen
  •  Ohrenschmerzen
  •  infizierte Insektenstiche
  •  Gürtelrose
  •  Hautausschlag
  •  Harnwegsinfektionen bei Frauen unter 65 Jahren

10.265 Apotheken in England beteiligen sich daran, das sind mehr als 90 Prozent. Der NHS rechnet damit, auf diese Weise etwa zehn Millionen Arztkonsultationen einzusparen – so will man der Überlastung von Praxen entgegenwirken.

Finanzierung

Die teilnehmenden Apotheken erhalten pauschal 2.000 britische Pfund (etwa 2.340 Euro) für die Vorbereitung und Einrichtung der neuen Leistungsangebote. Pro Beratungsgespräch können 15 Pfund (17 Euro) abgerechnet werden. Die einzelnen Apotheken erhalten zudem weitere 1.000 Pfund (1.170 Euro) monatlich, sofern sie eine bestimmte Mindestanzahl an Patient:innen versorgen.

Für das erweiterte Serviceangebot im Rahmen der „Pharmacy First“-Strategie stellt die britische Regierung insgesamt 645 Millionen Pfund (756 Millionen Euro) zur Verfügung.

Zuspruch der Apotheker:innen

Die englischen Apotheker:innen zeigten sich erfreut über die Erweiterung ihrer Angebotspalette: David Webb, Chief Pharmaceutical Officer for England sieht hierin einen wichtigen Schritt zur Verbesserung der Patient:innenversorgung: „Apothekenteams spielen als Teil des integrierten NHS-Primärversorgungsteams eine sehr wichtige Rolle in der Gemeinde, und diese Ausweitung der klinischen Dienste bedeutet, dass die Patienten mehr Wahlmöglichkeiten beim Zugang zu der von ihnen benötigten Versorgung haben werden. Dies wird den Menschen mehr bequeme Optionen im Herzen der lokalen Gemeinschaften bieten, ohne dass sie einen Termin vereinbaren müssen.“

Paul Rees, der Hauptgeschäftsführer der National Pharmacy Association, sieht zukünftig noch weiteres Potenzial für die Apotheken: „Der Apothekensektor steht unter großem Druck, aber die Apothekenteams werden sich trotzdem engagieren und diesen äußerst nützlichen Dienst erfolgreich anbieten. Dies könnte ein Sprungbrett für die Entwicklung anderer klinischer NHS-Dienste in der Zukunft sein, da die Patienten sich daran gewöhnen, ihre lokale Apotheke für die Primärversorgung aufzusuchen.“

Hausärzte: Kein Ersatz ärztlicher Behandlung

Die Vorsitzende des britischen Hausärzteverbandes (Royal College of General Practitioners, RCGP), Kamila Hawthorne, gab in einem Interview vom November 2023 gegenüber dem Fachportal www.chemistanddruggist.co.uk zu bedenken, dass die Dienstleistungen in Apotheken eher als Ergänzung und nicht als Ersatz ärztlicher Betreuung zu verstehen seien. Die Apotheken „bieten vielen Teams von Hausarztpraxen vor dem Hintergrund der enormen Arbeitsbelastung und des Personalmangels unschätzbare Unterstützung. Apotheker und Allgemeinmediziner sind jedoch unterschiedliche Gesundheitsberufe, und keiner von ihnen sollte als Ersatz für den anderen angesehen werde“.

Ähnlich sieht das auch die Ärzteorganisation British Medical Association (BMA): Katie Bramall-Stainer, Vorsitzende des Komitees der Hausärzte im BMA erklärte gegenüber www.chemistanddruggist.co.uk, dass sie „die klinischen Fähigkeiten der Apotheker bei der Versorgung anerkennt“, fügte aber hinzu, dass „Apotheker kein Ersatz für Allgemeinmediziner sind und von ihnen nicht erwartet werden sollte, dass sie über ihre Fähigkeiten und Kompetenzen hinaus arbeiten“.

Gute Erfahrungen in anderen Regionen

In anderen Regionen Großbritanniens konnten bereits gute Erfahrungen mit dem „Pharmacy First“-Ansatz gesammelt werden. In Nordirland ist eine Direktberatung und -behandlung in der Apotheke vor Ort schon seit 2005 bei leichten Erkrankungen möglich, in Wales und Schottland seit dem Sommer 2020.

Bereits seit Dezember 2023 können Frauen in England orale Kontrazeptiva ohne Verschreibung und vorherigen Arztbesuch in Apotheken erhalten. Bisher sind etwa 5.000 englische Apotheken für dieses Angebot registriert. Der NHS erwartet, dass zukünftig pro Jahr etwa eine halbe Million Frauen die „Pille“ direkt aus der Apotheke beziehen werden.

Überlastung der Apotheken

Unterdessen wies der ehemalige Vorsitzende der Royal Pharmaceutical Society gegenüber der Boulevardzeitung Mirror am Mittwoch darauf hin, dass neben den Arztpraxen auch Apotheken von Personalnot und Überbelastung betroffen seien: „Die Leute haben nach einer Behandlung für Krankheiten außerhalb der sieben [Krankheiten] gefragt. Meiner Meinung nach ist es ein Erfolg, wenn die Apotheker zufrieden sind und die Patienten gut versorgt werden. Apotheker sind Burnout-gefährdet, aber wenn wir die Erwartungen an sie formulieren und transparent bleiben, kann das einen großen Beitrag zum Erfolg leisten. Das ist es, was bei diesem Dienst helfen wird.“

Ausweitung pharmazeutischer Dienstleistungen

Ähnlich wie hierzulande weiten die Apotheken Großbritanniens ihr Leistungsangebot aus, auch bei den pharmazeutischen Dienstleistungen. So ist ein deutlicher Zuwachs bei den in Apotheken durchgeführten Blutdruckmessungen zu verzeichnen: Im Jahr 2022 wurden demnach etwa 900.000 Blutdruckmessungen durchgeführt. Bis 2025 erwartet der NHS England eine Steigerung auf 2,5 Millionen Messungen pro Jahr. Schätzungsweise könnten dadurch jährlich etwa 1.350 Herzinfarkte und Schlaganfälle verhindert werden.


Michael Zantke, Redakteur, DAZ
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Cotrim

von Dr Schweikert-Wehner am 02.02.2024 um 11:59 Uhr

Wir brauchen auch einen 3. Bereich zwischen RX und OTC. Wie auch immer: zB Cotrim im Notdienst ohne Verordnung würde die Notdienstpraxen enorm entlasten. Residenzen spielen hierbei keime Rolle.

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Blöde Frage

von Roland Mückschel am 01.02.2024 um 18:12 Uhr

Machen wir das nicht jeden Tag?
Ohne zusätzliches Salär?

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