Leitantrag zum Deutschen Apothekertag

Diese Freiheiten wünschen sich Kammern und Verbände in der Not- und Akutversorgung

Berlin - 10.08.2023, 07:00 Uhr

In Not- und Akutsituationen sollen Apotheken auch ohne ärztliche Rücksprache aut simile austauschen dürfen, fordern Kammern und Verbände. (Foto: imago images / Gutschalk)

In Not- und Akutsituationen sollen Apotheken auch ohne ärztliche Rücksprache aut simile austauschen dürfen, fordern Kammern und Verbände. (Foto: imago images / Gutschalk)


Die Versorgung von Patientinnen und Patienten in Not- und Akutsituationen duldet keinen Aufschub. Mehrere Kammern und Verbände machen sich daher jetzt für eine Erweiterung der Handlungsspielräume für Apotheken stark. Beim Deutschen Apothekertag wollen sie dazu einen Leitantrag zur Abstimmung stellen, der vier konkrete Punkte adressiert.

Lieferengpässe erschweren die Versorgung mit Arzneimitteln zunehmend. Zwar räumt der Gesetzgeber den Apotheken mit dem Lieferengpass-Gesetz (ALBVVG) nun dauerhaft einen gewissen Handlungsspielraum ein, im Vergleich zu den Sonderregeln in der Pandemie wird dieser jedoch wieder beschränkt. Kammern und Verbände aus Hamburg, Schleswig-Holstein, dem Saarland, Nordrhein und Westfalen-Lippe wollen nun beim Deutschen Apothekertag über einen Leitantrag abstimmen lassen, in dem es um die Sicherstellung der Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Medikamenten in Not- und Akutsituationen geht.

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Konkret fordern die Antragsteller den Gesetz- bzw. Verordnungsgeber auf, den Apothekerinnen und Apothekern unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit des Aut-simile-Austauschs zu gewähren, bei Engpässen die Defekturherstellung sowie die Weitergabe der angefertigten Arzneien an andere Apotheken zu erleichtern und die Vorratshaltung von Importen zu gestatten, wenn ein Lieferengpass besteht oder sich abzeichnet. Retaxationen müssten dabei ausgeschlossen sein. Die vier Punkte im Einzelnen:


„Die Hauptversammlung der deutschen Apothekerinnen und Apotheker fordert den Gesetzgeber/Verordnungsgeber auf, den Apotheken für die Versorgung von Patienten in Not- und Akutsituationen mehr Handlungsspielraum einzuräumen, insbesondere
1. die Abgabe von Arzneimitteln an die Versicherten im Rahmen der aut-simile-Regelung für alle akut benötigten Arzneimittel wie folgt auszuweiten:
a) Die Abgabe eines pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Arzneimittels (aut simile) auch ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt zu ermöglichen, sofern dieser nicht erreichbar ist und die unverzügliche Anwendung des Arzneimittels erforderlich ist.
b) Den Apotheken zusätzlich zu den bestehenden Austauschregelungen nach § 129 Abs. 2a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) zu erlauben, bei Nichtverfügbarkeit eines verordneten Fertigarzneimittels den Wirkstoff in einer anderen Darreichungsform an den Versicherten abzugeben.
c) Bei Nichtverfügbarkeit eines Fertigarzneimittels ein Austausch durch ein entsprechendes in der Apotheke hergestelltes Rezeptur- bzw. Defekturarzneimittel zu ermöglichen. (…)“

Leitantrag der Apothekerkammern Hamburg, Schleswig-Holstein, des Saarlands, Nordrhein und Westfalen-Lippe sowie der Apothekerverbände Hamburg, Schleswig-Holstein, des Saarlands und Nordrhein zum Deutschen Apothekertag 2023 


In Not- und Akutsituationen benötigen Patientinnen und Patienten schnelle Hilfe. Wäre den Apotheken in solchen Fällen ein Aut-simile-Austausch ohne Rücksprache mit dem Verordner möglich, könnte das den Prozess „für alle Beteiligten erleichtern“, schreiben die Kammern und Verbände in der Begründung zu ihrem Antrag.

Aut simile erlaubt demnach die Abgabe eines Arzneimittels, das ähnlich wirkt wie das verordnete, aber einen anderen Wirkstoff enthält. „Mit einer Ausweitung der Regelung erhalten die öffentlichen Apotheken die Möglichkeit, die Versicherten direkt besser zu versorgen“, betonen die Antragsteller. „Die Ausweitung ist daher erforderlich im Sinne einer ordnungsgemäßen und zeitnahen Arzneimittelversorgung der Patienten. Dies muss insbesondere für die Notfallversorgung sichergestellt werden.“ Als Erkennungszeichen könne zum Beispiel jede Verordnung von N1-Größen definiert werden. „Für den Fall, dass der behandelnde Arzt ein solches Vorgehen bei der Verordnung nicht wünscht, kann dies mit einer ausdrücklichen Kennzeichnung ausgeschlossen werden.“


„Die Hauptversammlung der deutschen Apothekerinnen und Apotheker fordert den Gesetzgeber/Verordnungsgeber auf, den Apotheken für die Versorgung von Patienten in Not- und Akutsituationen mehr Handlungsspielraum einzuräumen, insbesondere (…)
2. Apotheken bei Lieferengpässen von versorgungskritischen Wirkstoffen entsprechend der Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gemäß § 52b Abs. 3c Arzneimittelgesetz (AMG) von beispielsweise paracetamol- und ibuprofenhaltigen Fieberarzneimitteln sowie von Antibiotikasäften die Möglichkeit einzuräumen, Defekturarzneimittel aus anderen Darreichungsformen auch ohne häufige ärztliche oder zahnärztliche Verschreibung herzustellen, soweit dies pharmazeutisch möglich ist. (…)“

Leitantrag der Apothekerkammern Hamburg, Schleswig-Holstein, des Saarlands, Nordrhein und Westfalen-Lippe sowie der Apothekerverbände Hamburg, Schleswig-Holstein, des Saarlands und Nordrhein zum Deutschen Apothekertag 2023 


Apotheken, die Defekturarzneimittel herstellen möchten, müssen häufige ärztliche oder zahnärztliche Verschreibungen vorliegen, erinnern die Antragsteller. „Gerade bei Lieferengpässen ist es aber wichtig, dass Apotheken, soweit möglich, schnell in die Lage versetzt werden, Arzneimittel selbst herzustellen.“ Zudem seien viele von Lieferengpässen betroffene Arzneimittel, wie Fiebersäfte für Kinder, nicht verschreibungspflichtig, sodass ärztliche Verordnungen zumeist nicht regelmäßig vorliegen. „Damit würde eine Defekturherstellung per se nicht möglich sein.“ Aus diesem Grund gelte es, die Vorschriften entsprechend anzupassen.


„Die Hauptversammlung der deutschen Apothekerinnen und Apotheker fordert den Gesetzgeber/Verordnungsgeber auf, den Apotheken für die Versorgung von Patienten in Not- und Akutsituationen mehr Handlungsspielraum einzuräumen, insbesondere (…)
3. Apotheken bei Lieferengpässen von versorgungskritischen Wirkstoffen entsprechend der Liste des BfArM gemäß § 52b Abs. 3c AMG bei beispielsweise paracetamol- und ibuprofenhaltigen Fieberarzneimitteln sowie bei Antibiotikasäften die Möglichkeit einzuräumen, hergestellte Defekturen/Rezepturen an andere öffentliche Apotheken abgeben zu können. § 17 Abs. 6c Nr. 5 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) ist entsprechend zu ergänzen, damit Apotheken flexibel auf Lieferengpässe reagieren können. (…)“

Leitantrag der Apothekerkammern Hamburg, Schleswig-Holstein, des Saarlands, Nordrhein und Westfalen-Lippe sowie der Apothekerverbände Hamburg, Schleswig-Holstein, des Saarlands und Nordrhein zum Deutschen Apothekertag 2023 


Gemäß § 17 Abs. 6c Nr. 5 ApBetrO dürfen Apotheken von anderen Apotheken nur dann Arzneimittel beziehen, wenn ein dringender Fall vorliegt, heißt es in der Begründung. „Wenn aber eine Apotheke eine Defektur/Rezeptur nicht herstellen kann, weil z. B. für diese Apotheke die Ausgangsstoffe nicht verfügbar sind oder die personelle Situation der Apotheke dies z. B. aufgrund von Krankheit nicht zulässt, muss rechtlich unzweifelhaft der Bezug einer Defektur/Rezeptur von einer anderen Apotheke möglich sein.“


„Die Hauptversammlung der deutschen Apothekerinnen und Apotheker fordert den Gesetzgeber/Verordnungsgeber auf, den Apotheken für die Versorgung von Patienten in Not- und Akutsituationen mehr Handlungsspielraum einzuräumen, insbesondere (…)
4. § 73 Abs. 3 AMG dahingehend zu ändern, dass öffentliche Apotheken berechtigt sind, bei (sich abzeichnenden) Lieferengpässen begrenzte Vorratsbestellungen von in Deutschland nicht zugelassenen, registrierten oder von der Zulassung oder Registrierung freigestellten Arzneimitteln vorzunehmen und eine Abgabe der importierten Arzneimittel auch nach Beendigung des Lieferengpasses innerhalb eines zu bestimmenden Zeitfensters noch zu ermöglichen.“

Leitantrag der Apothekerkammern Hamburg, Schleswig-Holstein, des Saarlands, Nordrhein und Westfalen-Lippe sowie der Apothekerverbände Hamburg, Schleswig-Holstein, des Saarlands und Nordrhein zum Deutschen Apothekertag 2023 


Laut Begründung ist gemäß § 73 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AMG das Bezugsrecht der Apotheken auf geringe Mengen des einzelnen Arzneimittels beschränkt, das von einer bestimmten Person besonders bestellt worden sein muss. „Die geringe Menge wird also am Bedarf des Einzelpatienten gemessen und nicht am Umfang der Gesamtbestellung einer Apotheke, wenn zufällig mehrere Einzelbestellungen zusammenfallen“, fassen Kammern und Verbände zusammen. Sie halten diese Mengenbegrenzung in Zeiten von Lieferengpässen für kontraproduktiv und fordern daher, diese Vorgabe zu streichen.

Gleichzeitig wünschen sie sich in diesem Zusammenhang eine gewisse wirtschaftliche Sicherheit für die importierenden Betriebe. Denn: „Apotheken werden nur dann substanziell Arzneimittel importieren, wenn sichergestellt ist, dass die importierte Ware auch abgegeben werden kann“, glauben die Antragsteller. Dazu sei erforderlich, dass auch nach offizieller Beendigung des Lieferengpasses die im Vorfeld importierten Arzneimittel zulasten der Krankenkassen abgegeben werden können. „Ansonsten müssten die Apotheken befürchten, keine Abgabe mehr vornehmen zu können, was die Bereitschaft zum Import verringert und damit die Versorgungssicherheit der Bevölkerung gefährdet.“

Der Deutsche Apothekertag findet in diesem Jahr vom 27. bis 29. September in Düsseldorf statt. Die Anträge, die der DAZ vorliegen, sind bereits von der Antragskommission bearbeitet worden und müssen nun noch den ABDA-Gesamtvorstand passieren. Das soll in der Sitzung am 17. August geschehen.

Karten für den DAT 

Sie sind approbierte Apothekerin bzw. approbierter Apotheker und möchten sich auf dem Deutschen Apothekertag anschauen, was die Hauptversammlung so macht? Dann buchen Sie auf www.deutscher-apothekertag.de ein Ticket. Das ist seit dem 1. August möglich.

Kosten fallen für die Karten nicht an. Beworben wird von der ABDA allerdings der Erwerb eines Kombi-Tickets, das neben dem Zutritt zum Deutschen Apothekertag auch zum Besuch der Expopharm an allen Messetagen genutzt werden kann. Dieses Ticket kostet 65 Euro, was dem Preis für eine Expopharm-Dauerkarte entspricht.


Christina Grünberg (gbg), Apothekerin, Betriebswirtin (IWW), DAZ-Redakteurin
cgruenberg@daz.online


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