US-Studie will Muster aufdecken

Auswirkungen von Private-Equity im Gesundheitswesen

Berlin - 02.08.2023, 07:00 Uhr

Wenn Gesundheit zur Ware wird, bleibt das Patientenwohl auf der Strecke. (Foto: IMAGO / Westlight)

Wenn Gesundheit zur Ware wird, bleibt das Patientenwohl auf der Strecke. (Foto: IMAGO / Westlight)


Spurlos wird das auch an den Apotheken nicht vorbeigehen: Das Gesundheitswesen ist in den vergangenen Jahren in zunehmendem Maß zum Ziel von Private-Equity-Firmen geworden. Eine Metastudie im British Medical Journal versucht nun die Entwicklung in ihrem internationalen Ausmaß zu beleuchten und kommt zu dem Schluss: Die Auswirkungen sind enorm, für Patient:innen kann das zu einem teuren Vergnügen werden. Der leitende Wissenschaftler der Studie verriet der DAZ, was ihn an den neuen Erkenntnissen am meisten überraschte.

Die Löwenjagd im brandenburgischen Kleinmachnow stahl im Sommerloch den Apothekern im Pharmagoldrausch letztlich die Show – dass Ordnungsamt, Freiwillige Feuerwehr und Hunderte Polizisten nach zwei Tagen intensiver Suche am Ende nur einem Wildschwein auf die Schliche gekommen waren, ändert daran nichts. Auch die Reaktionen der Deutschen Gesellschaft für onkologische Pharmazie und des Verbands Zytostatika-herstellender Apotheker gingen etwas unter. Sie verwiesen unter anderem darauf, dass selbstherstellende Apotheken ihrerseits bedroht sind, weil an hoher Rendite orientierte branchenexterne Investoren in zunehmendem Maße auf dem Feld aktiv werden. Ein Stichwort, dass immer wieder fällt: Medizinische Versorgungszentren (MVZ).

Schlagzeilenträchtig ist das Thema zwar, nachhaltig hat es aber bislang noch keinen Eindruck auf die Berichterstattung zur Gesundheitsversorgung gemacht. Nicht zuletzt scheinen systematische Untersuchungen und belastbare Daten zu fehlen – insbesondere auch mit Blick auf die internationale Dimension. An diesem Punkt setzen Alexander Borsa von der Columbia University, New York, und weitere Gesundheitssoziologen in einer im British Medical Journal veröffentlichten Metastudie an. Darin belegen sie eindrucksvoll, dass die Beteiligung von Private-Equity-Unternehmen (PE) im Gesundheitswesen Patienten und Kostenträger teuer zu stehen kommt – und überwiegend negative Auswirkungen auf die Qualität der Leistungen hat.

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Ausgewertet wurden nach einem bestimmten Auswahlverfahren 55 empirische Studien, die Entwicklungen in Schweden, Großbritannien, der Türkei, den Niederlanden, Kanada, Norwegen und Deutschland untersuchten. Der Schwerpunkt lag allerdings auf den USA, weshalb die Autoren zu Vorsicht bei Verallgemeinerungen mahnen. Sie kommen dennoch zu dem Schluss, dass die Datenlage solide genug ist, „um zu bestätigen, dass PE-Eigentum ein folgenreiches und zunehmend auffälliges Element im Gesundheitswesen ist, das eine Überwachung, Berichterstattung und möglicherweise eine stärkere Regulierung rechtfertigt“.

Lauterbach: „Heuschrecken in Arztpraxen“

Der Befund überrascht zunächst kaum. Erst im Mai hatte „Finanzwende Recherche“ eine Studie veröffentlicht, die nahelegt, dass die steigende Beteiligung von PE in Deutschland die Qualität der medizinischen Versorgung und die Versorgungssicherheit als solche gefährdet. Gemäß einer „Buy-and-Build-Strategie“ werden Praxen gekauft, auf Gewinnmaximierung getrimmt und in MVZ zusammengelegt. Nach etwa fünf bis acht Jahren werden sie oft hochverschuldet und nahe an der Pleite verkauft – und hauptsächlich so die Rendite erzielt.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte bereits Ende Dezember angekündigt, den „Einstieg dieser Heuschrecken in Arztpraxen“ unterbinden zu wollen. Aktiv aber wurden die Länder: Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein reichten im Mai im Bundesrat einen Entschließungsantrag zur „Schaffung eines MVZ-Regulierungsgesetzes“ ein. „Konzentrationsprozesse“ und „Monopolisierungstendenzen“ sollen damit „begrenzt“ und die Unabhängigkeit der ärztlichen Berufsausübung in MVZ vor „Kapitalinteressen“ geschützt werden.

Lücke in Literatur über PE-Eigentum

Auch in der BMJ-Studie wird festgehalten, dass PE-Firmen „fragmentierte Märkte“ oft über „Anker-Investitionen“ betreten. Das heißt, es wird eine erste „Plattformpraxis“ gekauft, um im Nachgang weitere in der Region erwerben. „Eines der charakteristischen Merkmale von PE-Investitionen ist, dass die Firmen die direkte Managementaufsicht über die erworbenen Organisationen übernehmen und oft Änderungen vornehmen, um die Bewertung und das zukünftige Gewinnpotenzial zu erhöhen.“ Von Befürwortern der PE-Beteiligungen wird als positives Argument ins Feld geführt, dass so betriebswirtschaftliches Wissen fruchtbar gemacht werden könne. Die Ergebnisse machen allerdings deutlich, dass dies oft mit erhöhten Ausgaben für Patienten und Kostenträger verbunden ist.

Die Studie schließt nun nach eigenen Angaben eine Lücke in der aktuellen Literatur über PE-Eigentum im Gesundheitswesen, „indem sie einen heterogenen Korpus empirischer Forschung integriert und Studien aus verschiedenen medizinischen Bereichen, akademischen Disziplinen und methodischen Ansätzen einbezieht“. Derart wurden „sich abzeichnende Muster“ offengelegt. Einschränkend weisen die Autoren jedoch darauf hin, dass sie weder unterschieden haben zwischen Minderheits- oder Mehrheitsbeteiligungen von PE und auch nicht die Auswirkungen auf Rentabilität, Verschuldung, Konkursrisiko oder Produktivität – hier gebe es noch einiges zu erforschen.

„Keine eindeutigen, durchgängig positiven Auswirkungen“

Wer sich mit dem Thema PE im Gesundheitswesen beschäftigt hat, den werden die Erkenntnisse auf den ersten Blick nicht verwundern. Einige Überraschungen habe die Sache dennoch bereitgehalten, wie Borsa gegenüber der DAZ verrät. So seien in der gesamten ausgewerteten Literatur „keine eindeutigen, durchgängig positiven Auswirkungen von PE-Eigentum zu finden“ gewesen. „Einige Befürworter von PE im Gesundheitswesen machen große Behauptungen über das Fachwissen und die Vorteile von PE, aber wir konnten dies nicht feststellen“, erklärt Borsa.

Auch die letztendliche Größe der PE-Beteiligung in fast allen Fachbereichen des Gesundheitswesens habe ihn überrascht. Laut Studie haben allein seit 2021 die weltweiten Übernahmen im Gesundheitswesen 200 Milliarden US-Dollar (etwa 184 Milliarden Euro) betragen. Erwartet hätten die Wissenschaftler zudem, dass sie mehr Forschungsergebnisse aus anderen Ländern als den USA – insbesondere Europa – finden würden. Dem war aber ganz offensichtlich nicht so.

Reaktionen in Großbritannien auf Studie

Dass es an weiteren Forschungsarbeiten aber auch einer fundierteren Berichterstattung zu dem Thema Bedarf gibt, wird nicht zuletzt deutlich, wenn man sieht, dass die Studie in Großbritannien trotz ihres hohen Abstraktionsgrades für Aufregung sorgte. Denn auch wenn Anfang Juli noch feierlich in Anwesenheit der Royals der 75. Geburtstag des öffentlichen Gesundheitssystems NHS gefeiert wurde, so pfeifen doch längst die Spatzen von den Dächern, dass es sich in einer tiefen Krise befindet, besser gesagt: kaputtgespart wurde. Eine Kennzahl: 7,5 Millionen Menschen warten auf Behandlungen oder Operationen. Befürchtet wird nun, dass die konservative Regierung einen breiten Ausverkauf starten könnte. Aber es gibt auf der Insel unzählige Organisationen, die für den Erhalt des NHS in öffentlicher Hand kämpfen – dankbar griffen sie die BMJ-Studie auf.

Cat Hobbs, Direktorin der Kampagnengruppe „We Own It“, zeigte sich laut der britischen Tageszeitung The Guardian, die über die Studie berichtet hatte, wenig überrascht von den Ergebnissen: „Wenn lebenswichtige Dienstleistungen privatisiert werden, bekommen die Patienten das Schlimmste aus beiden Welten: höhere Kosten für eine schlechtere Versorgungsqualität.“ Sie fügte hinzu: „Private-Equity-Firmen werden ihre Pflicht, finanzielle Gewinne zu erzielen, immer an erste Stelle setzen – das ist ihr Job.“ Der Kovorsitzende der Kampagnengruppe „Keep Our NHS Public“, Tony O'Sullivan, sagte, die Studie liefere einen „schreiend deutlichen Beweis“. Er forderte, dass Entscheidungsträger der öffentlichen Finanzierung der Gesundheitsversorgung Vorrang einräumen, wenn sie „schädliche“ Folgen für die Patienten vermeiden wollen.

Wenn es nach Alexander Borsa geht, steckt in der Frage nach den Auswirkungen des Anstiegs von Private-Equity-Beteiligungen im internationalen Vergleich noch viel Musik. „Wir glauben, dass dies ein wichtiger Bereich ist, mit dem sich Forscher in Zukunft befassen sollten, zum Teil wegen der wichtigen politischen und regionalen Unterschiede in der Gesundheitsversorgung“, erklärt er gegenüber der DAZ.


Matthias Köhler, Redakteur DAZ.online
redaktion@daz.online


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4 Kommentare

Wen wundert es, ...

von Holger am 03.08.2023 um 12:52 Uhr

... dass private Investoren Rendite für ihren Kapitaleinsatz und das damit verbundene unternehmerische Risiko sehen wollen?? Das ist nun einmal in der Marktwirtschaft so!

Aber es gilt natürlich nicht nur für private Investoren von außerhalb des Gesundheitswesens (die hier wahrscheinlich mit der Bezeichnung "Heuschrecken" gemeint sind), sondern es gilt doch gleichermaßen für die Investoren INNERHALB des Systems, also den niedergelassenen Arzt und den selbständigen Apotheker, ja sogar für den außertariflich bezahlten Chefarzt im Krankenhaus! Warum jetzt das Eine (innerhalb) gut und das Andere (Heuschrecke) schlecht sein soll, erschließt sich mir nicht. In beiden Fällen fließt Geld der Solidargemeinschaft aus dem System ab.

Wer das nicht will, sollte über die Abschaffung marktwirtschaftlicher Elemente im Gesundheitswesen nachdenken. Bei den Ärzten funktioniert das schon von alleine, weil die nachkommenden Generationen die früher übliche Einzelpraxis scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Die arbeiten lieber angestellt im MVZ (unabhängig davon, wem das gehört) mit Urlaubsanspruch und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Die Apotheker sind noch nicht ganz so weit.

Interessant wird der Gedanke m.E. erst dann, wenn wir uns mit der Pharma- und Medizinprodukteindustrie beschäftigen ... :)

» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten

AW: Wen wundert es

von FJS am 03.08.2023 um 14:45 Uhr

Der wichtigste Satz im Artikel lautet:
"Gemäß einer „Buy-and-Build-Strategie“ werden Praxen gekauft, auf Gewinnmaximierung getrimmt und in MVZ zusammengelegt. Nach etwa fünf bis acht Jahren werden sie oft hochverschuldet und nahe an der Pleite verkauft – und hauptsächlich so die Rendite erzielt."

AW: Wen wundert es

von Dr. House am 05.08.2023 um 9:02 Uhr

Das Problem ist eher, dass wir keine richtige Marktwirtschaft haben. Denn wenn man Pleite macht, müsste man eigentlich dann selbst das Risiko tragen und zumindest zeitweise in Armut leben. Doch es existieren Hebel, die sämtliche Risiken des Großkapitals auf den Steuerzahler auslagern. Ich bin ein Anhänger der Marktwirtschaft, dann aber mit Vollhaftung des Unternehmers und strikter Monopolkontrolle.

Wer zahlt ..

von ratatosk am 02.08.2023 um 9:02 Uhr

Dieses Phänomen kennen alle, die Wirklich eine Ahnung von der Sache haben. Gut ist es natürlich, dies mit einer Studie noch zu unterlegen.
Aber die Leute von PE wissen was sie tun und wie sie sich die Politik und oft auch die Kassen gewogen machen .
Auch unser Karl war ja schon heftig im Krankenhauswesen damit zu Gange, auch wenn er dies wohl nicht mehr so gerne angesprochen sieht.
Da er aber natürlich keinerlei Maßnahmen ergreift, sondern nur darüber labert, muß man sich schon nach seinen Gründen fragen.
Für sein sog. Hitzeschutzkonzept hat er ja auch Zeit und jede Menge Geld.
Statt dem Wetterbericht, evt mit speziellem Hinweisen, sollen jetzt die überlasteten Praxen Patienten darüber informieren, wenn es heiß wird ! echt jetzt ?
In alten Kirchen ist es kühler ! - das haben die doofen Deutschen jetzt erst von Karl erfahren ? Was muß noch passieren, dass diese krasse Fehlbesetzung korrigiert wird.
Muß die SPD erst einstellig werden, bis die merken, was solche Katastrophenminister auslösen ? Die Verteidigungsministerin war wohl als Lehrfall noch nicht ausreichend.

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