Ländliche Versorgung in Baden-Württemberg

Neues Apotheken-Gutachten beleuchtet wirtschaftliche Folgen der Pandemie

Berlin - 28.06.2023, 15:15 Uhr

Die Corona-Pandemie brachte nicht allen Apotheken steigende Umsätze. (Foto: IMAGO / Westend61)

Die Corona-Pandemie brachte nicht allen Apotheken steigende Umsätze. (Foto: IMAGO / Westend61)


Wie hat sich die Corona-Pandemie auf die Apotheken ausgewirkt und wie ist es inzwischen um die Versorgung insbesondere auf dem Land bestellt? Das wollte der Kabinettsausschuss Ländlicher Raum der Landesregierung Baden-Württemberg wissen. Ein Update eines bereits im Jahr 2020 veröffentlichten Gutachtens zur Qualität der Arzneimittelversorgung durch Apotheken im Ländle liefert jetzt Antworten auf diese Frage.

In Baden-Württemberg befasst sich die Landesregierung schon seit längerem mit der Qualität der Arzneimittelversorgung durch Apotheken im ländlichen Raum. Bereits im Jahr 2020 hatte das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz auf Beschluss des Kabinettsausschusses Ländlicher Raum hin das Institut für Allgemeinmedizin und interprofessionelle Versorgung des Universitätsklinikums Tübingen und das Beratungsunternehmen Rebmann Research mit einer entsprechenden Erhebung beauftragt – jetzt liegt ein Update vor, das insbesondere die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Branche in den Blick nimmt.

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In der öffentlichen Wahrnehmung gelten Apotheken als Krisengewinner. Immerhin mussten sie im Gegensatz zu vielen anderen Unternehmen auch im Lockdown nicht zusperren und konnten unter anderem mit Masken, Tests und Impfzertifikaten sogar neue Einnahmequellen erschließen. Auch die Einführung des Botendienst-Honorars fällt in die Corona-Zeit. Zudem lieferten die Apotheken nicht nur COVID-19-Impfstoffe an Arztpraxen, sondern dürfen inzwischen selbst impfen. „Im Durchschnitt kamen damit 2021 ca. 135.000 Euro pandemiebedingter Zusatz-Umsatz auf eine Apotheke“, schreiben die Autorinnen Heidrun Sturm, Leiterin des Bereichs Gesundheitssysteme – innovative Versorgung am Tübinger Institut, und Petra Seisl, Expertin für die Freien Berufe, Apotheken, Augenoptiker und nichtärztliche Heilberufe bei Rebmann Research, im aktuellen Update zum Gutachten.

Beträchtliche Spannbreite

Allerdings sei die Spannbreite des Umsatz-Zugewinns „beträchtlich“: Nicht nur, dass selbst in der Hochphase der Nachfrage nach Corona-Tests nur etwa ein Drittel der Betriebe ein solches Angebot vorhielt, auch die Belieferung der Arztpraxen mit Impfstoffen durfte nur von jenen Apotheken vorgenommen werden, die auch sonst diese Praxis mit Sprechstundenbedarf ausstatten. „Zudem profitierten die einzelnen Apothekentypen unterschiedlich stark: Im Gegensatz zu arzt- und wohnortnahen Apotheken mussten die Mitbewerber in Fußgängerzonen, Einkaufszentren, Bahnhöfen oder Flughäfen teilweise massive Umsatzeinbußen hinnehmen“, heißt es weiter. „Als Folge des zweiten, fast sechs Monate andauernden Lockdowns bis Mai 2021 sowie der Mobilitätseinschränkungen der Bevölkerung produzierten sie keine bzw. nur gering Umsätze.“

Darüber hinaus verweisen die Autorinnen auf Angaben des Deutschen Apothekerverbands, wonach das reine Teilbetriebsergebnis, das sich anhand der GKV-Versorgung – und somit des Kerngeschäfts der Apotheken – ergibt, bereits im Jahr 2021 rückläufig gewesen sei: Während im Jahr 2020 durchschnittlich 85.000 Euro des Betriebsergebnisses darauf entfielen, waren es demnach 2021 nur 78.800 Euro. Die Vergütung durch die GKV trage folglich zusehends weniger für die Marge der Apotheke bei. Parallel stiegen die Tariflöhne in den Apotheken, die Einkaufskonditionen beim Großhandel verschlechterten sich und die Kosten etwa für Energie, Warenwirtschaftssysteme und anderes schnellten in die Höhe.

Renditeentwicklung folgt nicht der Umsatzentwicklung

„Insgesamt ergeben sich gegenläufige Trends, die die Gesamtrendite beeinflussen“, fassen Sturm und Seisl zusammen. „Es gilt hierbei: Die Renditeentwicklung folgt nicht der Umsatzentwicklung.“ Im OTC-Segment sei der Absatz auch im Jahr 2022 noch hinter der Vor-Corona-Zeit zurückgelegen, während gleichzeitig vor allem die Versandhändler von Zuwächsen im freiverkäuflichen Bereich profitierten. „Das heißt, bei der durchschnittlichen Vor-Ort-Apotheke sinkt der Absatz im freiverkäuflichen Bereich weiterhin.“ Im Rx-Geschäft erhöhe der steigende Anteil von Hochpreisern zwar die Umsätze, jedoch ohne entsprechend proportionales Wachstum des Rohertrags. „Das erklärt unter anderem, warum trotz stetig steigender Umsätze des Gesamtmarktvolumens, die prozentuale Marge von Apotheken in den letzten Jahren gesunken ist.“ 

Verschärfend komme hinzu, dass der Gesetzgeber mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz den Kassenabschlag – zunächst befristet auf zwei Jahre – von 1,77 Euro auf inzwischen 2 Euro erhöht hat. „Apothekenexperten rechnen daher – Stand Januar 2023 – mit einem Rückgang des zu versteuernden Einkommens einer durchschnittlichen Apotheke von über einem Fünftel in 2023 (im Vergleich zu 2022) und selbst bei einer leichten Erholung in den Folgejahren, sei auch 2025 dieser Wert noch unter dem Niveau von 2022.“

Apotheken entlasten Arztpraxen

In ihrem Zwischenfazit zum Themenkomplex Apotheken in der Pandemie heben die Autorinnen hervor, dass die Offizinen in der Krise eine Vielzahl neuer Aufgaben übernommen haben und damit grundlegend zur Bewältigung der Herausforderungen in der Corona-Zeit beigetragen hätten. „Trotz der pandemiebedingt geringeren persönlichen Patientenkontakte fungierten Vor-Ort Apotheken oft als ‚erste‘ Ansprechpartner zu gesundheitsbezogenen Fragen und konnten damit Arztpraxen entlasten und niedrigschwellig den pandemiebezogenen Informationsbedarf decken helfen.“ Auch die logistischen Leistungen der Branche verdeutlichten, „wie wichtig die Rolle der Vor-Ort-Apotheken in der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung ist“.

Aus wirtschaftlicher Sicht konnten Umsatzeinbußen durch die Pandemie von vielen Apotheken durch zusätzliche Aufgaben und Zusatzvergütungen im Jahr 2021 überkompensiert werden. Dies scheint jedoch nicht fortsetzbar zu sein: „Steigende Kosten und bei im Trend sinkenden GKV-Betriebsergebnis-Anteilen für Arzneimittel führen prognostisch zu empfindlichen Einkommenseinbußen für Apotheker:innen in den kommenden Jahren. Die Prognosen für spätestens 2023 sind düster, da die Margen sich stark rückläufig entwickeln werden.“

Versorgung auf dem Land nicht grundsätzlich schlechter als in der Stadt

Was hat das für Folgen für die flächendeckende Arzneimittelversorgung, insbesondere in ländlichen Regionen? Immerhin habe die absolute Anzahl der Apotheken sowie deren Dichte vor allem in den vergangenen zehn Jahren abgenommen – die Versorgung in Baden-Württemberg liege sogar leicht unter dem Bundesdurchschnitt. „Dabei gibt es regional starke Schwankungen – aber nur etwa ein Drittel der stark unterversorgten Regionen finden sich im ländlichen Raum“, ist im Gutachten zu lesen. Aktuell gebe es zwar keine Definition für eine optimale Versorgungsdichte, Anhaltspunkte für eine bestehende Unterversorgung konnten die Autorinnen allerdings auch nicht finden. „Die wirtschaftliche Situation von Apotheken ist insgesamt uneinheitlich, jedoch zeigten ländliche Apotheken keine grundsätzlich wirtschaftlich schwächere Position. Auch waren ländliche Regionen nicht grundsätzlich schlechter mit Apotheken versorgt, jedoch ist der Nachwuchsmangel auf dem Land besonders prekär.“

Grundsätzlich stelle sich bei weiterhin sinkenden Apothekenzahlen die Frage, wie viele Menschen maximal von einer Apotheke versorgt werden können, zumal Personal in den Apotheken rar ist. Apotheken können sich nach Einschätzung der Autorinnen auch aufgrund des Fachkräftemangels nicht so vergrößern, wie der Markt das möglicherweise hergeben würde. Gleichzeitig spreche die Demografie dafür, dass die Zahl der Patientenkontakte pro Apotheke künftig weiter steigen wird.

Minister Lucha: Menschen sind auf Apotheken angewiesen

Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) betonte anlässlich der Präsentation des Updates zum Gutachten zu Beginn dieser Woche den Stellenwert der wohnortnahem Arzneimittelversorgung durch Apotheken. „Die Versorgung der Menschen im ländlichen Raum durch Präsenzapotheken ist unabdingbar“, hob er hervor. „Die Menschen in ländlichen Regionen sind darauf angewiesen, in erreichbarer Distanz eine Apotheke vorzufinden. Dabei geht es nicht nur um den reinen Bezug von Arznei- und Hilfsmitteln, sondern vor allem auch um die persönliche Beratung, Betreuung und Information.“

Der Minister hatte sich bereits klar hinter die Apotheken gestellt, als sich im Mai erstmals der Bundesrat mit dem sogenannten Lieferengpass-Gesetz (ALBVVG) befasste. Auch mit Blick auf die Mühen der Teams beim Management von Lieferengpässen hatte Lucha sich für eine angemessene Vergütung der Offizinen starkgemacht. Angesichts des Updates zum Gutachten unterstrich er jetzt erneut: „Wie in Pandemiezeiten leisten tagtäglich Apothekerinnen und Apotheker schon seit längerem einen ganz entscheidenden de-eskalierenden Beitrag, um möglichst alle Patientinnen und Patienten trotz Lieferengpässen in ausreichendem Maß mit den erforderlichen Arzneimitteln zu versorgen. Ohne die Apotheken wäre eine schnelle und ausreichende Versorgung in dieser Situation gar nicht vorstellbar. Es ist daher unser erklärtes Ziel, eine wohnortnahe Gesundheitsinfrastruktur sicherzustellen.“

Minister Hauk: Apotheken leisten wichtigen Beitrag zur Daseinsvorsorge

Auch Peter Hauk (CDU), Baden-Württembergs Landesminister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, bekräftigte seine Wertschätzung für die Apothekenteams und ihre Leistungen. „Apotheken stellen nicht nur die Verfügbarkeit von Arzneimitteln sicher, sie gewährleisten auch einen niedrigschwelligen Zugang zu persönlicher Beratung und Information bei Gesundheitsfragen und leisten somit einen wichtigen Beitrag zur Daseinsvorsorge im ländlichen Raum“, sagte er. Es gelte nun, in den Dialog zu treten. „Denn nur durch gemeinsame Anstrengungen können wir die medizinische Versorgung in den ländlichen Räumen flächendeckend gewährleisten. Dazu gehören unter anderem die Schaffung attraktiver Arbeitsbedingungen sowie die regionale Unterstützung bei der Nachwuchssuche.“

Das vollständige Gutachten aus dem Jahr 2020 finden Sie hier. Das aktuelle Update ist auf der Website des Landes Baden-Württemberg hinterlegt.


Christina Grünberg, Apothekerin, Redakteurin DAZ (gbg)
cgruenberg@daz.online


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1 Kommentar

Ein ausgewogenes, sachdienliches Gutachten

von Rainer W. am 30.06.2023 um 11:53 Uhr

Als ich las, "Apotheken in der Coronazeit" dachte ich, jetzt gibts wieder auf den Deckel weil wir tatsächlich mit unserer Arbeit wegen Corona Geld verdienen konnten.

Aber tatsächlich stellt das Gutachten die wirtschaftliche Situation der Versorgung sehr ausgewogen dar und grenz vor allem den Ertrag aus GKV vs. sonstiger Bezüge ab, wie sich das für deine sachliche Analyse des Honorars anbietet.

Auch die düsteren Aussichten unter dieser Perspektive sind aufgeführt, wir müssen DRINGEND handeln.

Hoffentlich greift die ABDA dieses gute und sachliche Gutachten auf um unsere Forderungen zu untermauern.

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