Mangelverwaltung im Gesundheitssystem

Referentenentwurf zu Kiosken: Apotheken spielen keine Rolle

Berlin - 22.06.2023, 12:15 Uhr

Großer Bahnhof vor dem ersten Gesundheitskiosk im ländlichen Thüringen im November 2022. (Foto: IMAGO / ari)

Großer Bahnhof vor dem ersten Gesundheitskiosk im ländlichen Thüringen im November 2022. (Foto: IMAGO / ari)


1.000 Gesundheitskioske hat Minister Karl Lauterbach angekündigt. Es ging um niedrigschwellige Angebote in Kommunen mit mangelnder Gesundheitsversorgung. Jetzt gibt es mit einem Referentenentwurf für ein Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz langsam etwas Klarheit, was es mit den Gesundheitskiosken auf sich haben könnte und wer sie finanzieren soll. Apotheken spielen derzeit jedenfalls absolut keine Rolle in dem Entwurf.

Während in den vergangenen Tagen und Wochen das geplante Lieferengpass-Gesetz (ALBVVG) für viel Aufmerksamkeit sorgte, arbeitete das Bundesgesundheitsministerium weiter an seinem ebenfalls schon seit langem angekündigten Referentenentwurf für ein Versorgungsgesetz. Nun liegt dieser Entwurf für ein „Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune“ (Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz – GVSG) vor. Er klärt unter anderem die rechtlichen Grundlagen der sogenannten Gesundheitskioske – die Apotheken tauchen darin allerdings nicht auf.

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hatte bereits im vergangenen Jahr angekündigt, es wolle 1.000 Gesundheitskioske in Deutschland schaffen. Seit 2017 gibt es beispielsweise in Hamburg drei Gesundheitskioske, Minister Karl Lauterbach hatte seine Pläne für eine Gesetzesinitiative in einem von ihnen im September 2022 vorgestellt.

Armutszeugnis für Gesundheitsversorgung

Laut Referentenentwurf sollen sie „niedrigschwellige Beratungsangebote für Prävention und Behandlung“ bieten. Zur Begründung, warum das nötig und in den regulären Strukturen nicht zu haben ist, gibt es zu Beginn des Entwurfs ein Armutszeugnis: „Nicht überall in Deutschland haben Menschen die gleichen Chancen, ihre Ansprüche auf Beratung, auf Vermittlung von Angeboten der Prävention und der medizinischen Versorgung sowie auf unbürokratische Hilfe bei der Klärung sozialversicherungsrechtlicher Fragestellungen zu verwirklichen.“

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Die Gesundheitskioske sollen gemeinsam von Kommunen und der gesetzlichen Krankenversicherung unter Beteiligung der privaten Krankenversicherung geschaffen werden. Das BMG kalkuliert mit etwa 400.000 Euro pro Gesundheitskiosk, das wären bei 1.000 Kiosken 400 Millionen. Die Finanzierung teilen sich Kommunen (20 Prozent), gesetzliche (74,5 Prozent) und private Krankenversicherung (5,5 Prozent). Diese Aufteilung war bereits im September so angedacht. Geleitet werden sollen die Gesundheitskioske von einer Pflegekraft, „die gemeinsam mit weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern allgemeine Beratungs- und Unterstützungsleistungen zur medizinischen, präventiven und sozialen Bedarfsermittlung erbringt“.

„Gesundheitsregionen“ und „Primärversorgungszentren“

Die Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Krankenkassen soll in sogenannten „Gesundheitsregionen“ organisiert werden. Dabei werden auf Antrag der Kommunen zwischen den Parteien die Verträge geschlossen. Ein solcher Gesundheitsregionenvertrag stelle eine „alternative Organisation der Regelversorgung ohne Einschreibepflicht der Versicherten und mit Beibehaltung der freien Arzt- und Leistungserbringerwahl dar“. Die Regionen sollen die Bildung von Netzwerken zwischen den Beteiligten erleichtern und gleichzeitig auch die gewachsenen Strukturen berücksichtigen. Die Kosten werden zu gleichen Teilen von Kommunen und Kassen getragen. Darüber hinaus sollen die Kommunen es in Zukunft aber auch leichter haben, Medizinische Versorgungszentren (MVZ) zu gründen.

Um dem Mangel an Hausärzten in verschiedenen Kommunen zu begegnen, sollen „Primärversorgungszentren“ gegründet werden. Diese kooperieren mit den Gesundheitskiosken und den Kommunen und sollen durch zusätzliche berufsgruppenübergreifende, koordinierte, kooperative und versorgungssteuernde Versorgungelemente gekennzeichnet sein. Das zielt allerdings nicht nur auf die Patientinnen und Patienten: Durch die Entlastung durch nichtärztliche Fachkräfte soll die „Attraktivität zur Niederlassung in Regionen mit Versorgungsschwierigkeiten gesteigert werden“.

ABDA kritisiert „überflüssige Parallelstruktur“

Innerhalb der Apothekerschaft werden die Gesundheitskioske kritisch beäugt. ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening erklärte dazu im vergangenen Jahr anlässlich der Eröffnung des Deutschen Apothekertags: „Statt in die Etablierung einer überflüssigen Parallelstruktur so viel Geld zu investieren, wäre es klüger, bestehende, niederschwellige Strukturen wie Apotheken zu stärken.“ Die Tatsache, dass die Apotheken in dem Referentenentwurf keine Erwähnung finden und ihre Rolle demnach ungeklärt bleibt, wird an dieser Haltung wohl kaum etwas ändern.

Demgegenüber verwies der Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP) auch in der DAZ darauf, dass „die pauschale Ablehnung von Gesundheitskiosken kein hilfreicher Beitrag der Apothekerschaft zu einem drängenden Problem, nämlich sozial Benachteiligte in unterversorgten Quartieren großer Städte und ländlicher Regionen zu erreichen und ihnen den Zugang zu Angeboten des Gesundheitswesens in der Ver­sorgung sowie bei Prävention und Gesundheitsförderung zu erleichtern“. Der Verein appelliert, „die Chancen, die sich mit den Gesundheitskiosken ergeben, zu ergreifen“.

„Apotheker nicht auf dem Schirm“

Wie die Apotheken sich bei den Gesundheitskiosken einbringen können, war auch Thema bei der VdPP-Tagung Anfang Juni, wie die Deutsche Ärztezeitung berichtete. Demnach habe die Präsidentin der Apothekerkammer Berlin, Kerstin Kemmritz, erwägt, „ob es nicht sogar verpflichtend sein müsste, Apotheker in Gesundheitskioske und Primärversorgungszentren einzubinden“. Die Hamburger Apothekerin Sabine Haul, die dort an einem Gesundheitskiosk beteiligt ist, erklärte beispielsweise, dass Apotheken Patient:innen an die Gesundheitskioske weiterleiten könnten. Ihre Diagnose bei der Tagung – „Wir erleben, dass die Gesundheitswissenschaftler die Apotheker gar nicht auf dem Schirm haben“ – scheint der Referentenentwurf nun zu bestätigen.


Matthias Köhler, Redakteur DAZ.online
redaktion@daz.online


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5 Kommentare

Geht noch immer was

von Ratatosk am 23.06.2023 um 8:43 Uhr

Immer wenn man denkt, daß Karl nicht noch was blöderes ausbrütet, kann er überraschen, er kann noch doofer !
Sein Apothekenhaß steht ihm aber immer mehr im Weg, auch wenn er das offensichtlich nicht intellektuell erfassen kann. Von BWL hat er leider auch keinen Schimmer. 400000 für mehrere Angestellte, Miete, Versicherungen, Software etc etc. . Aber als schon immer von öffentlichen Töpfen gepanzerter Mensch ist ihm so was natürlich fremd.

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persisitierende Ignoranz und galoppierende Ressourcenverschwendung

von Thomas B am 22.06.2023 um 18:29 Uhr

Eines muss man Karlchen und seinen Regierungsfreunden lassen: Sie sind konsequent Spitze in Sachen Ignoranz, Zerstörung funktionierender Systeme, Nebelkerzenzünden, Bürokratieaufbau und Ressorcenverschleudern.......
Ignorant gegenüber den Apotheken, die mehrfach unter enormem persönlichen Einsatz die Fehler der Regierung(en) ausgebügelt haben und seit 20 Jahren (jetzt nur noch schneller) dafür ohne Not konsequent aus lauter(bachscher) Willkür mutwillig zerstört werden. Stattdessen sollen teure und schon in der Planung höchst ineffizient ausgelegte Parallelstrukturen aufgebaut werden, die für die eigentliche Versorgung schlicht keine Rolle einnehmen sollen. Ganz zu schweigen von der geplanten Besetzung durch eine Berufsgruppe, an der ohnehi eklatanter Mangel herrscht....
Aber dieser orientierungslose Aktionismus lenkt natürlich ab....
Wesentlich effektiver wäre gewesen, schon vor Jahren auf die mahnenden Stimmen aus Profi-Hand zu hören. War nahezu alles vorhergesagt, nur dass alles durch die Umstände schneller und massiver eintrat.
Die eingeplanten 400 Mio wären wesentlich effektiver einzusetzen zB in die Erhaltung der (noch) vorhandenen Versorgungsstrukturen.
Meine persönliche Prognose ist: Unsere Koalitionäre werden uns solange ignorieren, bis sie nicht mehr anders können als zu handeln. Dieser Punkt dürfte erst dann erreicht werden, wenn die Kündigung der Arzneilieferverträge und das Ende der Notdienstversorgung unmittelbar bevorstehen. Es wäre also im Sinne aller Betroffenen : der Legislative, der Leistungserbringer, der Steuerzahler und auch der Patienten, wenn wir den Weg dahin zügig, entschlossen und zielorientiert gehen, denn was einmal zerstört ist, lässt sich so schnell nicht wieder aufbauen, wie wir bei der Rückholung der Produktion nach Europa inzwischen hoffentlich alle gemerkt haben......

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Perfide und Dumm!

von Carsten Moser am 22.06.2023 um 15:10 Uhr

Ich möchte dieses Thema mal in mehrere Unterthemen aufteilen:

1.) Es gab mal eine niedrigschwellige Gesundheitsberatung vor Ort: Das waren ausreichend vorhandene (Kiez-)Ärzte, Apotheken und die lokalen Filialen der Krankenkassen. Alle einfach ansprechbar und in ihren Bereichen qualifiziert. Die Pflege gehörte da jetzt erstmal nicht zu, aber sie hat ja ihren eigenen Spezialbereich.
Schade, dass man die beiden ersteren jetzt kaputtgespart hat und die lokalen Filialen der Kraken wegrationalisiert wurden. Das ist jetzt aber erst mal Fakt. Der Pflege geht es auch nicht gut. Einzig die Krankenkassen schwimmen in Geld für sinnlose Verwaltung, weil sie alle Leistungserbringer (und dazu gehörten auch die eigenen Filialen vor Ort in Bezug auf Beratung) kaputtgespart haben.

2.) Jetzt sollen TEURE NEUE PARALLELSTRUKTUREN geschaffen werden, mit der Begründung: "Kein niedrigschwelliger Zugang für einzelne Bevölkerungsteile."
Nicht nur, dass es sich um eine kleine Gruppe handelt (263.000 Obdachlose in Deutschland Stand 2022) .... dieser Gruppe könnte man mit Sicherheit mit den 400 Millionen Euro auf andere Weise besser helfen als durch „Gesundheitskioske“. Davon abgesehen, dass bei 1000 Kiosken mit je maximal 263 "Kunden" im jährlichen Schnitt wohl nicht wirklich über die Größenordnung nachgedacht wurde .... Das sind TÄGLICHE Kundenzahlen bei mittelgroßen Apotheken.
Diese Zielgruppendefinition birgt zudem die Gefahr, dass die Durchschnittsbevölkerung diese Kioske meidet; analog zur Bahnhofsmission etc. Sicher nicht sinnvoll, aber es entspricht den Realitäten.

3.) Die Schaffung von zusätzlichen niedrigeschwelligen Angeboten sind im Kern unnötig. Es existieren in Deutschland ca. 18.000 hochqualifizierte "Arzneikioske mit Fachpersonal und Rund-um-die-Uhr Öffnungszeiten (365 Tage im Jahr, 24h am Tag).
Wenn man jetzt von politischer Seite für diese Zielgruppen ernsthaft Verbesserungen erreichen möchte, wäre es sicherlich sinnvoller, das bestehende Netzt zu nutzen und quasi Shop-in-Shop Lösungen mit Beratungsangeboten hinzuzufügen. Bei 400 Mio. € jährlichen Finanzierungen werden sich da sicher ausreichend Möglichkeiten finden lassen, wie man so etwas realisiert.

Das hätte Nebenbei auch noch den Vorteil, dass man nicht noch zusätzliche Fachkräfte aus dem Pflegebereich abziehen würde.
Nicht zuletzt stellt sich hier sogleich die Frage, wie denn eine Pflegekraft qualifiziert ist, für diese Zielgruppe Lösungen zu erarbeiten. In keiner Form möchte ich damit die Pflegekräfte abqualifizieren... Ihre Leistung ist in unserer Gesellschaft von größter Wichtigkeit. Es bleibt jedoch der Eindruck, dass man die Pflegekräfte nur deswegen als "Besatzung" ins Gesetz geschrieben hat, damit das Feld nicht leer bleibt. Wenn man dort "Krankenschwestern/-pfleger, Ärztinnen oder Apothekerinnen" hingeschrieben hätte, dann hätten wohl alle beteiligten direkt laut gelacht. Soll ja gerade zu viel Personal in diesen Berufen geben…..

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Stärkung der Kommune

von Kleiner Apotheker am 22.06.2023 um 14:07 Uhr

Die Krankenkassen ziehen ihre Filialen aus den kleinen Städten ab und jetzt soll eine extra zu finanzierende neue Struktur geschaffen werden.
Schon irgendwie schlau.
Aber warum dann Hamburg als Musterbeispiel dient, verstehe ich nicht...

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Unvernunft und Sturheit

von Karl Friedrich Müller am 22.06.2023 um 13:07 Uhr

Überflüssig und teuer, nur nicht für den Bund, der das Gesetz beschließen soll. Das ist wie die Apotheken Umschau, oder?
Es ist einfach, etwas zu bewerben und anzubieten, wenn andere die Zeche zahlen.
300 Mio allein für die Kassen als Kosten? War da nicht was mit 7Mrd Defizit?
Auch die Kommunen sind am Limit. Schon lange, schon wegen der Kosten für die Flüchtlinge. Gleiches Prinzip übrigens. Der Staat läd ein und die anderen „schaffen das“.
Hier will niemanden beleidigen, aber man sollte schon mal fragen dürfen, ob bei Lauterbach alles in Ordnung ist. Auch im Hinblick mit seinem Hass gegen Apotheken. Normal ist das nicht.
Apotheken könnten leicht die Funktion übernehmen, würden sie nicht ignoriert und kaputtgespart.,wäre erheblich billiger

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