Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG)

Chancen nutzen!

Berlin - 30.06.2023, 17:50 Uhr

Verbände und Kammern haben noch nicht erkannt, welche Möglichkeiten sich der Apothekerschaft mit den Gesundheitskiosken bieten, meint der VdPP. (Foto: IMAGO / ari)

Verbände und Kammern haben noch nicht erkannt, welche Möglichkeiten sich der Apothekerschaft mit den Gesundheitskiosken bieten, meint der VdPP. (Foto: IMAGO / ari)


Der Referentenentwurf für das „Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune“ ist da. Geregelt werden soll damit unter anderem der Status der sogenannten Gesundheitskioske. Auch wenn die Apotheken darin nicht explizit erwähnt werden und etwas nachgeholfen werden müsste: Das Gesetz bietet Möglichkeiten, die ergriffen werden sollten – sonst tun es andere. Ein Gastkommentar des Vorstands des Vereins demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten.

Gesundheitskioske und andere Einrichtungen der Primärversorgung ohne Apotheker:innen? So könnte man meinen, sucht man im Referentenentwurf des Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune (GVSG) doch vergebens nach den Begriffen Apotheke, Pharmazie, Medikamente oder Arzneimittelversorgung.

Dennoch zielt der Entwurf auf etwas wirklich Neues, etwas, was bisher in Einzelpraxen/Einzelapotheken nur selten funktionierte: auf interdisziplinäre, integrative Zusammenarbeit, Prävention und Gesundheitsförderung und Fokussierung auf besonders unterstützungsbedürftige Menschen; auf eine Arbeitsteilung und den optimalen Einsatz der jeweiligen beruflichen Kompetenzen, heilberuflicher und sozialer Art. Das ist bitter nötig, sollen die Probleme, die durch den demographischen Wandel, Fachkräftemangel und die unzureichende Integration unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen bestehen, gelöst werden.

Die Kommunen sollen Möglichkeiten erhalten, die vor Ort bestehenden besonderen Herausforderungen anzugehen. Ihr Öffentlicher Gesundheitsdienst kann mittels Gesundheitsberichterstattung und Versorgungs- wie Gesundheitsplanung wichtige Grundlagen bereitstellen.

Einbindung pharmazeutischer Kompetenzen notwendig

Im Entwurf stecken also durchaus Chancen für die Einbindung pharmazeutischer Kompetenzen, ja diese Einbindung ist geradezu zwingend notwendig.

Z. B. „Primärversorgungszentren“: Diese speziell für ältere, multimorbide Patient:innen gedachten Einrichtungen sollen mit dem in erreichbarer Nähe liegenden Gesundheitskiosk oder der jeweiligen Kommune und andererseits mit …weiteren nicht-ärztlichen Leistungserbringern“ kooperieren. Muss man da besonders fantasievoll sein, um an die pharmazeutischen Dienstleistungen zu denken? Multimedikation, Selbstmedikation und „Erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation“ sind doch zwingend mitzudenken, wenn man eine bessere Versorgung dieser besonders vulnerablen Bevölkerungsgruppe will. Gute Beispiele sind ja durchaus schon vorhanden – z. B. in Hamburg, in Berlin oder anderswo.

Mehr zum Thema

Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten

VdPP zu Gesundheitskiosken: „Zeit, dass sich die Apothekerschaft bewegt“

Oder „Gesundheitsregionen“: Hier sollen einzelne Kreise und kreisfreie Städte Netzwerke initiieren oder moderieren „zur Behebung regionaler Defizite der Gesundheitsförderung und Prävention sowie der Versorgung, der Überwindung von Schnittstellen oder der Verbesserung des Zugangs zur regionalen Versorgung“. Gerade im ländlichen Raum wird es immer dringlicher, in solchen Netzwerken zu denken, um eine persönliche Versorgung vor Ort zu gewährleisten. Ohne niedrigschwellige Kompetenzzentren für Arzneimittel, ohne Apotheken und ihr pharmazeutisches Personal? Schwer vorstellbar.

Oder Gesundheitskioske: Explizit genannt: es können mobile Gesundheitskioske „in die bereits vor Ort bestehenden Strukturen eingebettet (werden), etwa über eine enge Zusammenarbeit mit anderen Akteuren im Gesundheitswesen“. Und das sind z. B. Apotheken; sie sind oftmals zentral an kleineren Orten niedrigschwellig und gut erreichbar und bieten meist ausreichend Parkgelegenheit für einen Bus, der im Auftrag eines Gesundheitskiosks unterwegs ist. Spätestens in solchen Fällen ist es mehr als naheliegend, Arzneimittel und deren Nutzen und Risiken zum Präventions- und Versorgungsthema zu machen.

Potenziale von Apotheken nicht im Blick

Der Entwurf bietet also Einiges. Aber Nutzen und Risiken von Arzneimitteln sowie die Potenziale von Apotheken und Apotheker:innen sind bei vielen gesundheitspolitisch Verantwortlichen nicht automatisch im Blick. Da muss nachgeholfen werden. Die Apothekerschaft hat sich aber leider zu oft nachlässig gezeigt, in Kooperationen mit anderen zu denken.

Deswegen: eine Ablehnung der neuen Primärversorgungseinrichtungen, wie wir sie derzeit von Seiten der Kammern und Verbände hören, wäre fahrlässig. Jetzt bestehen Chancen, in Zusammenarbeit mit den Kommunen, den Krankenkassen und den anderen Versorgern konstruktive und überzeugende Lösungen zu entwickeln – bevor große Konzerne über Versand, Telepharmazie und Shuttle-Services für die Politik vermeintlich interessantere Lösungen anbieten.

Dr. Daniel Fleer, Thomas Hammer, Bernd Rehberg, Dr. Udo Puteanus; Vorstände des VdPP


Deutsche Apotheker Zeitung
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


1 Kommentar

Ich weiss nicht wirklich, was davon zu halten ist....

von Thomas B am 30.06.2023 um 19:02 Uhr

Fakt ist, dass es zu dieser Thematik tatsächlich und zweifelsfrei Verbesserungsbedarf gibt. Punkt.
Aber:
Abseits der Lauflagen funktioniert das auch bisher schon reibungsarm bis ausserordentlich gut. Sowohl die Funktion Anlaufstelle als auch interdisziplinäre Kommunikation, Zusammenarbeit und Synergie. Zumindest bei uns im Ort , und wir dürften eher die Regel als die Ausnahme sein.
Wenn Herr Lauterbach mit seinem Lieblingsprojekt eher in die Zukunft denkt, impliziert das den weiteren Schwund an bereits vorhandenen Anlaufstellen. Entweder unbeabsichtigt, aber trotzdem in Kauf genommen, oder bewusst provoziert. Herr Lauterbach muss sich hier die Frage gefallen lassen, ob es angesichts der immensen Kosten für die Allgemeinheit und der Knappheit an Fachkräften, die diese Gesundheitskioske leiten sollen, nicht ökonomischer, nachhaltiger und effektiver wäre, die bereits vorhandenen Strukturen zu stützen und zu erhalten. Offensichtlich ist aus seiner Sicht dafür genug Geld da, aber für die (noch) vorhandenen Stellen hat er öffentlich bisher ausschliesslich Ablehnung, bewusste Desinformation (netto=brutto, Umsatz=Ertrag u.ä.) und Ignoranz kommuniziert. Warum? Cui bono?
Er muss meines Erachtens auch eine gute Erklärung liefern, warum ihm die Verwaltung der Versicherer mit rd 140000 Mitarbeitern etwa doppelt so viel wert ist wie die Wertschöpfung der Apotheken mit rd 160000 Mitarbeitern. Dass die Krankenversicherer de facto durch die Gesetzgebung der letzten 20 Jahre ein Nachfragemonopol erreicht haben und ihre Marktmacht missbrauchen, sollte auch dem BMG nicht entgangen sein. Diese Schieflage ist eklatant und mehr als nur auffällig.
Ehrliche und nachhaltige Politik sieht meines Erachtens anders aus. Aber Aufrichtigkeit ist manchmal unbequem. Sie erfordert Einsatz, Leistungsbereitschaft, Offenheit, Rückgrat und ein gewisses Mass an Unabhängigkeit. Und man muss sie sich natürlich auch leisten wollen....

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.