ALBVVG: Anhörung im Gesundheitsausschuss

„Nullretaxation ist nie angemessen“

Berlin - 12.06.2023, 20:15 Uhr

ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening kam bei der ALBVVG-Anhörung mehrfach zu Wort. (Screenshot: bundestag.de)

ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening kam bei der ALBVVG-Anhörung mehrfach zu Wort. (Screenshot: bundestag.de)


ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening war bei der heutigen Anhörung zum ALBVVG-Entwurf eine der besonders häufig befragten Expertinnen. Sie bezog Stellung zu den geplanten erweiterten Austauschregeln, Nullretaxationen, Präqualifizierung – und zeigte auf, warum auch das ALBVVG ein Grund für die anstehenden Proteste ist. Darüber hinaus hatte Daniela Hänel von der Freien Apothekerschaft Gelegenheit, über die ganz praktischen Abläufe in der Apotheke zu berichten.

Am Montagnachmittag fand im Gesundheitsausschuss des Bundestags die öffentliche Anhörung zum Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) sowie drei Anträgen der Oppositionsfraktionen statt.

Die geplanten Maßnahmen der Regierung, um die Engpässe zu bekämpfen und ihnen besser vorzubeugen, sind umstritten – das ist klar, seit der erste Entwurf für das ALBVVG bekannt ist. Und auch in der Anhörung wurde an vielen Stellen Nachbesserungsbedarf angemeldet. Zahlreiche Fragen richteten sich an die Pharmaverbände, Krankenkassen, Großhandel und sonstige geladene Verbände und Einzelsachverständige. Auch ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening wurde mehrfach von den Mitgliedern des Gesundheitsausschusses um ihre Einschätzung gebeten. 

Präqualifizierung – Sonderweg für Apotheken?

Die erste Frage an die ABDA-Chefin betraf das Thema Präqualifizierung – auch wenn dazu offiziell noch kein Änderungsantrag vorliegt. Dirk Heidenblut (SPD) wollte wissen, was ein Verzicht auf ein gesondertes Präqualifizierungsverfahren für Apotheken bewirken würde. Overwiening verwies darauf, dass es sich bei den in der Apotheke abgegebenen Hilfsmitteln meist um solche handele, die dazu dienten, dass Arzneimittel richtig angewandt werden – beispielsweise Insulinpens oder Spritzen. Insofern sei die Präqualifizierung eine Doppelbelastung für die Apotheken und ein hoher bürokratischer Aufwand. Zwar sei die Idee, die Qualität zu sichern, gut, betonte die ABDA-Präsidentin, bei den Apotheken werde dies aber bereits über die Apothekenbetriebserlaubnis sichergestellt, Kontrollen inklusive. Andere Anbieter von Hilfsmitteln treffe diese Doppelbelastung nicht.

Anders sah dies der ebenfalls befragte Vertreter von „Wir versorgen Deutschland“ – einem Verband, der verschiedene Leistungserbringer im Hilfsmittelbereich vertritt. Hier lehnt man eine Sonderbehandlung der Apotheken entschieden ab. Vielmehr sollte das aufwendige Präqualifizierungsverfahren für alle verschlankt und reformiert werden, sagte Patrick Grunau. Nur Apotheken auszuschließen, untergrabe den fairen Wettbewerb unter den Leistungserbringern, zerstückele das System der Zulassung und gefährde die einheitliche Versorgungsqualität.

Die Mehraufwände der Apotheken 

Für die Unionsfraktion fragte dann ihr gesundheitspolitischer Sprecher, Tino Sorge (CDU), bei der ABDA nach, was sie für eine kostendeckende Vergütung für das Engpassmanagement hält. Denn die Union fordert in ihrem eigenen Antrag zur Engpassproblematik, „Dienstleistungen in Apotheken, die zur präventiven Vermeidung von Lieferengpässen dienen, kostendeckend zu vergüten“. Hier erläuterte Overwiening die Berechnungen der ABDA, wonach für eine „Nichtverfügbarkeitsbewältigung“ 21 Euro angemessen seien. Die Aufwendungen der Apotheken, um Patienten bei Lieferengpässen noch versorgen zu können, nähmen viel Zeit in Anspruch, betonte sie, mindestens sechs Stunden seien es wöchentlich.

Daniela Hänel, Vorsitzende der Freien Apothekerschaft, war von der AfD als Einzelsachverständige geladen. Sie schilderte nochmals anschaulich, was eine Apotheke alles tun muss, wenn sie ein Rezept bedient und das Arzneimittel nicht verfügbar ist – und was über die normale Kontrolle der zahlreichen Anforderungen an eine korrekt ausgestellte Verordnung hinausgeht. Das sind etwa Abfragen bei mehreren Großhändlern, aber auch Arztrücksprachen, die nicht immer ganz einfach sind und oft damit enden, dass der Patient in die Praxis zurückmuss, um sich ein neues Rezept ausstellen zu lassen. Das Ganze könne mal 20 Minuten in Anspruch nehmen, aber auch zwei bis drei Tage dauern, so Hänel.

Wann ist Nullretax angemessen?

Kordula Schulz-Asche (Grüne) schnitt sodann das Thema Nullretax an – und fragte, in welchen konkreten Fällen von Formfehlern eine Retaxation auf Null angemessen sei. Overwienings klare Antwort: „Nullretaxation ist nie angemessen“.  Das könnte höchstens der Fall sein, wenn das abgegebene Arzneimittel gar nichts mit dem verordneten zu tun habe. Aber es gehe in der Praxis vor allem um Formfehler – und Fälle, in denen der Patient ordentlich versorgt wurde. Hier könne es keine Berechtigung geben, die Bezahlung des Arzneimittels und der apothekerlichen Leistung vollständig zu verweigern.

Prozentuale Marge deckeln?

Paula Piechotta, ebenfalls von den Grünen, hatte sodann eine Frage zum Apothekenhonorar – allerdings in eine etwas andere Richtung: Sie hakte beim AOK-Bundesverband nach, warum aus seiner Sicht der prozentuale Apothekenzuschlag bei besonders teuren Arzneimitteln gedeckelt werden sollte. Hier sagte die AOK-Vertreterin Sabine Jablonka, dass Apotheken natürlich angemessen honoriert werden müssten. Doch die prozentuale Marge komme aus einer Zeit, als man Höchstpreise für Fertigarzneimittel, wie es sie heute teilweise gibt, noch nicht kannte. Sie verwies aber auf moderne Gentherapien – so koste Hemgenix (zur Behandlung von Hämophilie B) in den USA 3,5 Millionen Dollar. Da falle auch eine 3-Prozent-Marge für Apotheken hoch aus – und man müsse über eine Deckelung, wie man sie auch beim Großhandel habe, nachdenken.

Genug Grund zum Protest

Kathrin Vogler von der Linksfraktion ging auf die geplanten Proteste der Apotheken ein – schließlich sei es eher selten, dass Apotheken „auf die Barrikaden“ gehen. Gebe es da einen Zusammenhang mit den ALBVVG-Regelungen? Ja, erläuterte Overwiening: Die Apotheken stünden massiv unter Druck – alle 17 Stunden schließe mittlerweile eine Betriebsstätte für immer. Sie hätten große Hoffnung gehabt, dass mit dem ALBVVG ihre Entscheidungskompetenzen bei Lieferengpässen, die ihnen in der Pandemie eingeräumt wurden, „komplett gerettet“ werden könnten. Doch nun sei eine bürokratische Verschlechterung angedacht. Hier werde sichtbar, dass die Regierung eine angemessene Vergütung der Apotheken nicht im Fokus habe. Unter diesem Druck habe die Apothekerschaft ihre Proteste für kommenden Mittwoch vorgesehen.

Auch die letzte Frage der Anhörung richtete sich an die ABDA-Präsidentin. Dirk Heidenblut wollte wissen, wo genau die Verschlechterungen bei den Austauschregeln lägen. Overwiening erklärte, dass auch ein Austausch der Darreichungsformen möglich sein müsse – und maximal eine Abfrage beim Großhandel ausreichen müsse.


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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4 Kommentare

„Nullretaxation ist nie angemessen“

von Dr. Jozef Dobija am 13.06.2023 um 13:40 Uhr

Liebe Frau Overwiening, anscheindend haben Sie da etwas nicht verstanden. Nullretaxation ist ein Diebstahl, eine unberechtigte kriminelle strafwürdige Bereicherung der Krankenkassen, und wer hat diese Verträge ausgehandelt und unterschrieben? Damit treiben Sie ihre eigenen Kollegen in den Ruin!
Warum war nur die Kollegin Hänel als einzige Apothekerin dabei, die noch in der Apotheke aktiv tätig ist? Der Rest glaubt nur zu wissen, was in der Apotheke Vor Ort abgeht.
Dr. Jozef Dobija

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: „Nullretaxation ist nie angemessen

von DAZ-Redaktion am 13.06.2023 um 13:49 Uhr

Sehr geehrter Herr Dobija, Einzelsachverständige wie Frau Hänel dürfen auf Einladung der Parteien an der Anhörung teilnehmen. Es war niemand anderes da, weil niemand eingeladen wurde. Die AfD war die einzige Partei, die eine Apothekerin eingeladen hat, Frau Hänel.
Grüße
Ihre Redaktion

BRD

von Beldowitz am 13.06.2023 um 5:58 Uhr

Sehe ich es richtig, dass die AfD die einzige Partei ist, die sich wirklich für das Geschehen vor Ort interessiert und die Grünen permanent gegen die Vor Ort Apotheke arbeiten?
Was ist nur los mit diesem Land?

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: BRD

von Dr.Diefenbach am 13.06.2023 um 9:46 Uhr

......betrachtet man sich WIE arrogant manche Zufallstreffer,die HEUTE im Bundestag Entscheidungen treffen, mit den Apothekern umgehen,dann kann man dies durchaus schliessen .Schauen Sie sich die Dame Piechotta oder Herrn Minister K.L. an, so ist beantwortet,WARUM weitere rigide Aktionen des Berufsstandes unumgänglich werden.

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