„Nicht kundenzentriert“

Warum Express-Lieferdienste scheitern

Stuttgart - 19.08.2022, 12:15 Uhr

Lebensmittel in 10 Minuten? Nice to have, aber nicht wirklich nötig. (x / Foto: IMAGO / Jochen Tack)

Lebensmittel in 10 Minuten? Nice to have, aber nicht wirklich nötig. (x / Foto: IMAGO / Jochen Tack)


Express-Lieferdienste wie Gorillas, Flink und Co. sind in den vergangenen Jahren förmlich aus dem Boden geschossen. In einem Kommentar befasst sich Handelsblatt-Autor Florian Kolf nun damit, warum viele dieser Start-ups scheitern. Vieles davon lässt sich auch auf die Arzneimittel-Schnelllieferdienste übertragen. 

Flink, Gorillas, Wolt, Mayd, First A und wie sie alle heißen – eine ganze Reihe von Express-Lieferdiensten bietet an, Waren innerhalb einer halben Stunde zu liefern. Je nach Anbieter kann man Arzneimittel, Drogerieartikel oder Lebensmittel bestellen, bei einigen Unternehmen auch alles zusammen. Voraussetzung ist allerdings, dass man im entsprechenden Ballungsraum lebt, wo die Versorgung ohnehin gut ist. Nicht ohne Grund ist Berlin-Mitte für viele dieser Lieferaktivitäten der Startpunkt.

Typischer Gründerfehler 

Warum es die meisten dieser Unternehmen nicht schaffen, profitabel zu werden und sich einige von ihnen deswegen auch schon wieder aus einigen Märkten zurückziehen, analysiert Handelsblatt-Autor Florian Kolf am Beispiel der Lebensmittellieferdienste in einem aktuellen Kommentar. In seinen Augen machen die Start-ups einen typischen Gründerfehler, nämlich etwas anzubieten, nur weil sie es können, statt nach Kundenwünschen zu fragen. Die Logistik der Schnelllieferdienste zu organisieren, sei eine beeindruckende Leistung. Das unterscheide meist Gründer von etablierten Unternehmen: Sie versuchen, das möglich zu machen, was andere für unmöglich halten, heißt es. Allerdings müssten immer mehr Start-ups feststellen, dass es noch lange kein Geschäftsmodell sei, ein technisches Problem zu lösen oder eine Idee zu verwirklichen.

Das Problem ist nämlich aus Sicht des Autors folgendes: Eigentlich braucht man nur sehr selten Lebensmittel innerhalb kurzer Zeit und dann kann man dafür auch einen Laden aufsuchen. Den Schnelllieferdienst nimmt man natürlich gerne mit, wenn es ihn gerade gibt, aber brauchen tut man ihn eigentlich nicht. Und deswegen ist auch kaum jemand bereit, einen kostendeckenden Preis für die schnelle Lieferung zu zahlen. Letzteres sei aber die Grundlage für ein funktionierendes Geschäftsmodell.

Ein weiteres Problem sei die teure Infrastruktur. Denn das Modell benötige ein enges Lagernetz und viele Fahrer, die ständig verfügbar sind. Zudem funktionierten die Lieferdienste nur bei hoher Kundendichte, damit die Lieferwege kurz bleiben. Das sei nur in Großstädten gegeben.

Vor diesem Hintergrund sei eine schnelle Skalierung – eine Voraussetzung, profitabel zu werden – nur schwer möglich. Dass Gorillas aktuell Standorte dichtmacht, ist Kolfs Ansicht nach ein Beleg für diese Entwicklung.

Besser macht das in seinen Augen Amazon: Das Unternehmen frage sich bei jedem neuen Angebot, was es den Kund:innen bringt. Das Prime-Angebot, das neben schnellen Lieferungen auch ein Medienangebot umfasst, sei mittlerweile für viele so unverzichtbar, dass sie auch die aktuelle Preiserhöhung hinnehmen werden, schreibt Kolf.

Auch Arzneimittel-Lieferdienste wollen ein Problem lösen, dass es nicht gibt

Die Ausführungen des Autors lassen sich in vielen Punkten auf die Arzneimittel-Lieferdienste übertragen. Auch OTC-Arzneimittel braucht man selten dringend innerhalb von 30 Minuten. Und wenn, erreicht man in den Gebieten, in denen Mayd und Co. aktiv sind, die nächste Apotheke meist schneller. Sollten hingegen Rx-Arzneimittel wirklich unverzüglich erforderlich sein, werden diese im Regelfall direkt vom Arzt verabreicht. Eine Lieferung am selben Tag bietet heutzutage nahezu jede Apotheke an.

Daher wollen auch die Arzneimittel-Lieferdienste ein Problem lösen, das es nicht gibt. Mit der teuren Logistik sind auch sie konfrontiert – deswegen werden vereinzelt auch Apotheken, bei denen nicht genug Bestellungen eingehen, offenbar rigoros offline genommen, weil es sich nicht lohnt, die Fahrer bereitzuhalten.

Nur Mayd kann Wachstum verzeichnen

Somit ist davon auszugehen, dass auch Patient:innen im Regelfall nicht bereit wären, für diesen Extraservice zu zahlen. Da die Kosten aktuell in den meisten Fällen die Apotheken tragen – zulasten der OTC-Marge – nehmen vermutlich aktuell viele diesen Service einfach mit.

Für die meisten der Liefer-Start-ups entwickelt sich der Markt auch nicht unbedingt rosig. First A wurde bereits von Shop Apotheke übernommen, Kurando hat Insolvenz angemeldet. Die meisten Dienste haben zuletzt nicht mehr expandiert. Lediglich Marktführer Mayd kann Wachstum verzeichnen.

Expresslieferung als Nischenmarkt

Kolf sieht für schnelle Lebensmittellieferungen im Übrigen schon einen Markt. Der sei aber wahrscheinlich so klein, dass er wenige Spezialunternehmen in ausgesuchten Städten ernähre, schreibt er. Milliardenbewertungen für ehrgeizige Wachstumsunternehmen rechtfertige er nicht.

Vermutlich lässt sich auch das auf die Arzneimittel-Lieferdienste übertragen. Zumal man im Fall der Fälle auch einfach ein Taxi oder einen klassischen Fahrradkurier zur Apotheke schicken kann.


Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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