Schweden

E-Rezept geht zulasten der stationären Apotheken

11.04.2022, 15:15 Uhr

 Bis 2009 waren die Apotheken in Schweden in staatlicher Hand. (c / Foto: IMAGO / Kamerapress)

 Bis 2009 waren die Apotheken in Schweden in staatlicher Hand. (c / Foto: IMAGO / Kamerapress)


Auch wenn es manchmal den Eindruck erweckt: Deutschland ist nicht das erste Land der Welt, das elektronische Rezepte einführt. So ist das E-Rezept beispielsweise in Schweden längst etabliert. Dort werden eigentlich keine herkömmlichen Rezepte mehr ausgestellt. Großer Nutznießer ist offenbar der Versandhandel. Deutschland könnte Ähnliches bevorstehen, prognostiziert das „Handelsblatt“ in seinem „Inside Digital Health Newsletter“ vom heutigen Montag.

„In Schweden kann man sehen, wie sich der deutsche Medikamenten-Versandhandel entwickeln könnte. Denn dort ist das elektronische Rezept (E-Rezept) längst etabliert, während es hierzulande erst getestet wird.“ Das schreibt das „Handelsblatt“ in der aktuellen Ausgabe seines „Inside Digital Health Newsletters“. Denn in Schweden werden dem Bericht zufolge fast nur noch elektronische Rezepte ausgestellt. 

Das Verfahren ist vergleichbar mit dem in Deutschland: Das E-Rezept landet nach der Verordnung in einer zentralen Datenbank. An die sind alle stationären Apotheken sowie die drei schwedischen Versandhändler angeschlossen. Der Patient entscheidet, wo sein Rezept landen soll und ob er es in der Apotheke abholen oder sich schicken lassen will. Wobei sich wohl immer mehr Menschen für die Lieferung entscheiden. Zum Vergleich: Hierzulande wird das Rezept auf dem Server der Gematik abgelegt. Der Patient kann dann den Schlüssel dazu, den sogenannten Token, einer Apotheke oder einem Versender seiner Wahl übermitteln, die oder der die Verordnung dann abrufen kann.

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Dass die Versandhändler, insbesondere jenseits der holländischen Grenze, große Hoffnungen auf die Einführung des E-Rezepts in Deutschland setzen, ist kein Geheimnis. Jegliche Verzögerung bei der Einführung wirkt sich merklich auf die Aktienkurse aus. Analysten schätzen, dass der Rx-Anteil im Onlinehandel durch das digitale Rezept innerhalb von vier Jahren auf über zehn Prozent steigen dürfte.

Umsatzwachstum für die Versender

Glaubt man dem „Handelsblatt“, sind diese Hoffnungen berechtigt, das wird am Beispiel von Schweden festgemacht. Denn der Versandhandel hat offenbar vom E-Rezept klar profitiert. Mittlerweile landen dort 13 Prozent der Rezepte, wobei ebenso wie in Deutschland auch stationäre Apotheken Versand anbieten. Insgesamt, also Rx und OTC, ist der Marktanteil des Versandhandels von 12 Prozent im Jahr 2019 auf 19 Prozent im Jahr 2021 gestiegen. Von den 6,3 Milliarden Euro, die in Schweden mit Arzneimitteln umgesetzt werden, entfallen mittlerweile 1,2 Milliarden auf die Versender. Der größte schwedische Arzneimittelversender Apotea kann dem Bericht zufolge ein Umsatzwachstum von 2020 auf 2021 um 11 Prozent verzeichnen. Meds, eine weiterer, konnte seinen Umsatz demnach ebenfalls mehr als verdoppeln. Preisnachlässe auf Rx sind übrigens auch in Schweden nicht erlaubt.

Erstmals seit der Liberalisierung weniger stationäre Apotheken 

Während der Versandhandel also boomt, nimmt die Zahl der stationären Apotheken ab – erstmals seit 2009 der Markt liberalisiert wurde. Sie ging 2021 von 1.433 auf 1.411 Betriebsstätten zurück. Bis 2009 waren nämlich die etwa 1.000 Apotheken in staatlicher Hand, nach der Marktfreigabe nahm die Zahl bislang immer zu. Geschlossen haben dem „Handelsblatt“ zufolge vor allem Apotheken in größeren Städten – hier scheine der Wettbewerb besonders groß zu sein, heißt es. In kleinen Städten hingegen sei die Apothekenzahl sogar leicht gestiegen.

Der Gründer der Online-Apotheke „Meds“, Björn Thorngren, erklärt das mit den „zunehmend digitalaffinen Großstadtbewohnern“. „Warum sollte ich in Stockholm in die Apotheke gehen, wenn ich das Medikament innerhalb von zwei Stunden geliefert bekomme?“ wird er zitiert. Zudem bieten auch in Schweden die Versender hohe Rabatte auf OTC. 

Längere Lieferzeiten außerhalb der Großstädte

Ein weiter Grund für die gegenläufige Entwicklung der Apothekenzahl in Groß- und Kleinstädten – neben vermeintlichen Unterschieden in der digitalen Affinität –  könnte sein, dass der Versandhandel außerhalb der Ballungsräume keine attraktive Alternative ist. So schrieb das IGES-Institut in seinem „Ökonomischem Gutachten zum Apothekenmarkt“ aus dem Jahr 2020: „In den Großstädten in Schweden könne dagegen die Bedeutung der Liefergeschwindigkeit auf die Marktentwicklung beobachtet werden: In Stockholm wird aufgrund von großen Arzneimittellagern innerhalb von zwei Stunden geliefert, im Vergleich dazu dauere die Lieferung in Göteborg ca. 24 Stunden und entsprechend hoch bzw. gering seien die Marktanteile des Versandhandels in diesen Städten.“ 

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Nichtsdestotrotz: Das E-Rezept ist in den Augen vieler in Schweden ein Gamechanger gewesen. Die Pandemie habe den Umsatz dann zusätzlich angekurbelt. „Die elektronische Verschreibungspflicht ist ein entscheidender Faktor für das explosive Wachstum der Online-Apotheken in Schweden“, wird Gustav Hasselgren, Chef der kleinsten der drei Online-Apotheken in Schweden Apohem, in dem Newsletter zitiert. Er wüsste nicht, warum das in Deutschland anders kommen sollte.

Warum sich trotz des großen Wachstums kein ausländischer Versender in Schweden breitmacht, begründet Meds-Gründer Thorngren mit dem komplizierten Markteinstieg. Man müsse sich an die nationale Apotheken-IT anschließen, außerdem hätten sich bereits Marken etabliert, das müssten andere aufholen. Ob diese Faktoren Zur Rose und Co. wirklich abschrecken oder ob nicht doch ganz andere Gründe eine Rolle spielen, zum Beispiel, dass einfach nicht genug zu holen ist, ist fraglich. Für die Entwicklung in Deutschland, wo sie sich bereits breitgemacht haben, ist diese Frage aber ohnehin hinfällig.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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1 Kommentar

Nicht überraschend - bis auf Umweltirrsinn

von ratatosk am 12.04.2022 um 9:27 Uhr

Die politisch gewollte Bevorzugung des Versandes ist für alle klar, jedoch ist schon erstaunlich, daß eine angeblich so um die Umwelt besorgte jüngere Bevölkerung den verkehrstechnischen Irrsinn, des Versandes aus Bequemlichkeit bevorzugt. Bis auf Ausnahmen ist jedem klar, daß die meisten Medikamente auf den normalen Wegen ( aus Arzpraxis, Arbeit, Einkauf, Sport etc.etc. ) mitgenommen werden. Man kann auch nicht mit den vielen Radlern argumentieren, da die auch nicht alles leisten können und nebenbei bemerkt den Status mittelalterlicher Tagelöhner haben, soviel zur sonst so woken Jugend.
Leider aber schlagen Großkapital und Bequemlichkeit jede Vernunft.

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