Natrium-haltige Arzneimittel besser kennzeichnen

Könnten Brausetabletten zur Dekompensation einer Herzinsuffizienz führen?

Stuttgart - 14.03.2022, 07:00 Uhr

Sollte Herzinsuffizienz-Patienten prinzipiell von Brausetabletten abgeraten werden? Wir haben Professor Dietmar Trenk um eine Einordnung der Studienlage gebeten. (x / Bild: stu12 / AdobeStock)

Sollte Herzinsuffizienz-Patienten prinzipiell von Brausetabletten abgeraten werden? Wir haben Professor Dietmar Trenk um eine Einordnung der Studienlage gebeten. (x / Bild: stu12 / AdobeStock)


Erklärungsversuche

Verschiedene Hypothesen könnten diese Umstände erklären: So kann neben der erhöhten Flüssigkeitsaufnahme auch die erhöhte Natrium-Aufnahme die Wirksamkeit der als Komedikation eingesetzten Diuretika her­abgesetzt haben und damit die Dekompensation der Herzinsuffizienz begünstigt haben. Zudem konnte die Arbeitsgruppe in einem vorherigen Versuch zeigen, dass die tägliche Einnahme von 3 g Paracetamol den Blutdruck im Schnitt um 4 mmHg erhöht. Auch so eine geringe Blutdruckerhöhung könnte laut den Autoren ­insbesondere bei älteren Patienten (Subgruppe zwei) die Verschlimmerung einer Herzinsuffizienz triggern.

Die Wissenschaftler schlussfolgern, dass die Anwendung von Paracet­amol-Brausetabletten möglicherweise die Dekompensation einer chronischen Herzinsuffizienz begünstigen könnte. In der Beratung in der Apotheke sollte daher laut den Autoren solchen Patienten explizit von der Einnahme von Brausetabletten abgeraten und stattdessen auf andere Darreichungsformen zurückgegriffen werden.

Erhöhte Natrium-Zufuhr auch ohne Vorerkrankung ein Risiko?

Auch eine britische Forschergruppe kommt in einer vor wenigen Tagen im „European Heart Journal“ publizierten Studie zu dem Ergebnis, dass der Natrium-Gehalt von Paracetamol-haltigen Tabletten sich negativ auf das Outcome von Patienten mit und ohne Bluthochdruck auswirkt. Dazu hatte die Arbeitsgruppe um Zeng C et al. zwei Kohortenstudien durchgeführt: In der ersten wurden in der elektronischen Patientendatenbank „The Health Improvement Network“ Daten von Patienten mit Bluthochdruck ausgewertet (Durchschnittsalter 73,4 Jahre), in der zweiten wurden aus der gleichen Datenbank Daten von Patienten ohne Bluthochdruck (Durchschnittsalter 71,0 Jahre) ausgewertet. In der Bluthochdruck-Gruppe hatten 4.532 Patienten ein Natrium-haltiges Paracetamol-Präparat eingenommen und 146.866 Patienten ein Natrium-freies Paracetamol-Arzneimittel. In der zweiten Kohorte ohne den Risikofaktor Bluthochdruck waren es entsprechend 5.351 und 141.948 Personen.

Relatives Risiko um 50 Prozent erhöht

Anschließend verglichen die Wissenschaftler in beiden Kohorten die Rate an kardiovaskulären Erkrankungen (Myokardinfarkt, Schlaganfall, Herzinsuffizienz) sowie die Gesamtmortalität innerhalb des Follow-Up-Zeitraums von einem Jahr nach der Einnahme eines Natrium-haltigen bzw. Natrium-freien Paracetamol-Präparats.

Es zeigte sich, dass im Vergleich zu Natrium-freien Präparaten das relative Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Gesamtmortalität nach der Einnahme von Natrium-haltigem Paracetamol in beiden Kohorten knapp 50 Prozent höher lag. (Bluthochdruckgruppe: adjustierte Hazard Ratio: 1,59, Nicht-Bluthochdruckgruppe: adjustierte Hazard Ratio: 1,45).

Natrium-haltige Arzneimittel besser kennzeichnen

Die Stärken der Studie liegen laut einem zur Studie gehörenden Editorial in den Sensitivitätsanalysen, die Störfaktoren wie den Body-Mass-Index, Alkoholkonsum, Raucherstatus und sozioökonomische Faktoren berücksichtigten. Die Wissenschaftler fordern, künftig stark Natrium-haltige Arzneimittel (auch lösliche Antazida) eindeutiger zu kennzeichnen. Darüber hinaus sollte die Bevölkerung sensibilisiert werden, stark Natrium-haltige Arzneiformen wie Brausetabletten (auch Vitamin-Brausetabletten) und dispergierbare Tabletten zu meiden.

Kommentar in der DAZ 10/2022 von Professor Dietmar Trenk

Was bedeuten die Studienergebnisse von Perrin et al. nun für die Praxis? Sollte Herzinsuffizienz-Patienten prinzipiell von Brausetabletten abgeraten werden? Wir haben Professor Dietmar Trenk, Klinik für Kardiologie und Angiologie II – Klinische Pharmakologie – am Universitätsklinikum Freiburg um eine Einordnung der Studie gebeten. Diese finden DAZ-Abonnenten hier. Was können wir aus der Studie für den Alltag mitnehmen? Trenk meint: „Eigentlich eher wenig.“


Literatur

Perrin G et al. Association Between Exposure to Effervescent Paracetamol and Hospitalization for Acute Heart Failure: A Case-Crossover Study. J Clin Pharmacol 2022 doi: 10.1002/jcph.2027

Schulte A, Neal B. The sodium hidden in medication: a tough pill to swallow. European Heart Journal, ehab888, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehab888

Zeng C et al. Sodium-containing acetaminophen and cardiovascular outcomes in individuals with and without hypertension. European Heart Journal 2022;00:1–14, Doi: 10.1093/eurheartj/ehac059



Marina Buchheit-Gusmão, Apothekerin
redaktion@daz.online


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