Arzneimittel und Therapie

Ist das Natrium schuld?

Mehr Hospitalisierungen von Herzinsuffizienz-Patienten nach Brausetabletten

mab | Könnten die in Brausetabletten enthaltenen Natrium-Ionen zur Dekompensation einer Herzinsuffizienz führen? Darauf deuten zumindest die Ergebnisse einer Analyse hin, in denen signifikant mehr Herzinsuffizienz-Patienten nach der Einnahme von Paracetamol-Brausetabletten hospitalisiert werden mussten. Prof. Dr. Dietmar Trenk ordnet in seinem unten stehenden Kommentar die Ergebnisse ein.

Neben Tachyarrhythmien, Infektionen und einem erhöhten Blutdruck können auch bestimmte Arzneimittel (z. B. nichtsteroidale Antirheumatika, Glucocorticoide oder kardiotoxische Onkologika) und eine erhöhte Natrium- oder Flüssigkeitszufuhr zur Dekompensation einer chronischen Herzinsuffizienz führen. Aus diesem Grund hat die American Heart Association 2016 eine Liste herausgegeben, die vor der Einnahme dieser Arzneimittel – insbesondere von stark Natrium-­haltigen Arzneimitteln wie intravenösem NaCl, Antibiotika oder Natrium-haltigen Brausetabletten – bei Herzinsuffizienz-Patienten warnt. Bis heute ist der tatsächliche Einfluss solcher Arzneimittel nur unzureichend geklärt. Die gängigen Leitlinien empfehlen betroffenen Patienten, die tägliche Natrium-Aufnahme auf 1,5 bis maximal 3 g Natrium zu begrenzen.

Foto: paketesama/AdobeStock

Paracetamol zum Auflösen

Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich gehört Paracetamol zu einem der am häufigsten eingesetzten Analgetika. Insbesondere Brausetabletten erfreuen sich dort ­aufgrund ihrer einfachen Anwendung großer Beliebtheit. So waren laut nationalem Gesundheitsregister in Frankreich 2017 allein 18 Millionen Packungen Paracetamol-Brausetabletten an die 66,7 Millionen Einwohner abgegeben worden. Wissenschaftler wollten nun wissen, inwiefern die Einnahme von Paracetamol-Brause­tabletten zu einer akuten Verschlechterung einer Herzinsuffizienz und einer damit verbundenen Krankenhauseinweisung führen könnten. Als Auswertungsgrundlage dienten Daten des französischen Gesundheitssystems. Da das Paracetamol bei chronischen Erkrankungen in Frankreich erstattungsfähig ist, kann laut Studienautoren – anders als in Deutschland – die Zahl der im Handverkauf abgegebenen Paracetamol-Packungen vernachlässigt werden. Als Studiendesign wählte die Arbeitsgruppe das Fall-Crossover-Design, bei dem jeder Patient mit sich selbst als Kontrolle verglichen wird. Ein Vorteil dieses Designs besteht darin, dass insbesondere wichtige nicht messbare Verzerrfaktoren wie das Essverhalten, die Rasse oder ein Genotyp, der zu einem salzsensitiven Phänotyp führt, nicht ins Gewicht fallen.

Signifikant mehr Hospitalisierungen

Im Auswertungszeitraum zwischen dem 1. Januar 2014 und dem 31. Dezember 2016 wurden insgesamt 4301 Patienten (Durchschnittsalter: 83 Jahre) aufgrund einer akuten Verschlimmerung der Herzinsuffizienz in ein Krankenhaus eingeliefert. Es zeigte sich, dass im Risikozeitraum von 15 Tagen vor der Krankenhauseinweisung mit 5,7% signifikant mehr Patienten Paracetamol-Brausetabletten verordnet bekommen hatten als in den drei Kontrollzeiträumen von 30 bis 45 Tagen, 60 bis 75 Tagen und 90 bis 105 Tagen vor der Hospitalisierung (4,1%, adjustierte Odds Ratio [aOR]: 1,56, 95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,27 bis 1,9, p = 0,004). Dabei stieg das Risiko für eine Krankenhauseinweisung mit steigender Paracetamol-­Dosierung (niedrige Exposition aOR: 0,97, hohe Exposition aOR: 1,95). Auch in den beiden Subgruppen (Patienten mit Bluthochdruck und Personen über 83 Jahre) fiel auf, dass sie häufig vor der Krankenhauseinweisung auf die lösliche Form des Analgetikums zurückgegriffen hatten (aOR: 1,45 und aOR: 1,7). Bei der Kontrollanalyse, in der die Forscher die Einnahme von nicht löslichem Paracetamol auswerteten, konnte keine signifikante Assoziation festgestellt werden.

Erklärungsversuche

Verschiedene Hypothesen könnten diese Umstände erklären: So kann neben der erhöhten Flüssigkeitsaufnahme auch die erhöhte Natrium-Aufnahme die Wirksamkeit der als Komedikation eingesetzten Diuretika her­abgesetzt haben und damit die Dekompensation der Herzinsuffizienz begünstigt haben. Zudem konnte die Arbeitsgruppe in einem vorherigen Versuch zeigen, dass die tägliche Einnahme von 3 g Paracetamol den Blutdruck im Schnitt um 4 mmHg erhöht. Auch so eine geringe Blutdruckerhöhung könnte laut den Autoren ­insbesondere bei älteren Patienten (Subgruppe 2) die Verschlimmerung einer Herzinsuffizienz triggern.

Die Wissenschaftler schlussfolgern, dass die Anwendung von Paracet­amol-Brausetabletten möglicherweise die Dekompensation einer chronischen Herzinsuffizienz begünstigen könnte. In der Beratung in der Apotheke sollte daher laut den Autoren solchen Patienten explizit von der Einnahme von Brausetabletten abgeraten und stattdessen auf andere Darreichungsformen zurückgegriffen werden.

Erhöhte Natrium-Zufuhr auch ohne Vorerkrankung ein Risiko?

Auch eine britische Forschergruppe kommt in einer vor wenigen Tagen im „European Heart Journal“ publizierten Studie zu dem Ergebnis, dass der Natrium-Gehalt von Paracetamol-haltigen Tabletten sich negativ auf das Outcome von Patienten mit und ohne Bluthochdruck auswirkt. Dazu hatte die Arbeitsgruppe um Zeng C et al. zwei Kohortenstudien durchgeführt: In der ersten wurden in der elektronischen Patientendatenbank „The Health Improvement Network“ Patienten mit Bluthochdruck ausgewertet (Durchschnittsalter 73,4 Jahre), in der zweiten wurden aus der gleichen Datenbank Patienten ohne Bluthochdruck (Durchschnittsalter 71,0 Jahre) ausgewertet. In der Bluthochdruck-Gruppe hatten 4532 Patienten ein Natrium-haltiges Paracetamol-Präparat eingenommen und 146.866 Patienten ein Natrium-freies Paracetamol-Analogon. In der zweiten Kohorte ohne den Risikofaktor Bluthochdruck waren es entsprechend 5351 und 141.948 Personen.

Relatives Risiko um 50% erhöht

Anschließend verglichen die Wissenschaftler in beiden Kohorten die Rate an kardiovaskulären Erkrankungen (Myokardinfarkt, Schlaganfall, Herzinsuffizienz) sowie die Gesamtmortalität innerhalb des Follow-Up-Zeitraums von einem Jahr nach der Einnahme eines Natrium-haltigen bzw. Natrium-freien Paracetamol-Präparates.

Es zeigte sich, dass im Vergleich zu Natrium-freien Präparaten das relative Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Gesamtmortalität nach der Einnahme von Natrium-haltigem Paracetamol in beiden Kohorten knapp 50% höher lag. (Bluthochdruckgruppe: adjustierte Hazard Ratio: 1,59, Nicht-Bluthochdruckgruppe: adjustierte Hazard Ratio: 1,45).

Natrium-haltige Arzneimittel besser kennzeichnen

Die Stärken der Studie liegen laut einem zur Studie gehörigen Editorial in den Sensitivitätsanalysen, die Störfaktoren wie den Body-Mass-Index, Alkoholkonsum, Raucherstatus und sozioökonomische Faktoren berücksichtigten. Die Wissenschaftler fordern, künftig stark Natrium-haltige Arzneimittel (z. B. auch lösliche Antazida) eindeutiger zu kennzeichnen. Darüber hinaus sollte die Bevölkerung sensibilisiert werden, stark Natrium-haltige Arzneiformen wie Brausetabletten (auch Vitamin-Brausetabletten) und dispergierbare Tabletten zu meiden. |

Literatur

Perrin G et al. Association Between Exposure to Effervescent Paracetamol and Hospitalization for Acute Heart Failure: A Case-Crossover Study. J Clin Pharmacol 2022 doi: 10.1002/jcph.2027

Schulte A, Neal B. The sodium hidden in medication: a tough pill to swallow. European Heart Journal, ehab888, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehab888

Zeng C et al. Sodium-containing acetaminophen and cardiovascular outcomes in individuals with and without hypertension. European Heart Journal 2022;00:1–14, Doi: 10.1093/eurheartj/ehac059

Nicht zu viel und nicht zu wenig

Fallstricke in der Beratung von Herzinsuffizienz-Patienten zur Salz- und Flüssigkeitszufuhr

Prof. Dr. Dietmar Trenk

Was bedeuten die Studienergebnisse von Perrin et al. (siehe oben) für die Praxis? Sollte Herzinsuffizienz-Patienten prinzipiell von Brausetabletten abgeraten werden? Wir haben Prof. Dr. Dietmar Trenk, Klinik für Kardiologie und Angiologie II – Klinische Pharmakologie – am Universitätsklinikum Freiburg um eine Einordnung der Studie gebeten.

In Deutschland leiden etwa 2,5 Millionen Einwohner an einer Herzinsuffizienz. Nicht nur die Inzidenz, auch die Prävalenz (Häufigkeit) der chronischen Herzinsuffizienz ist stark abhängig vom Alter: Je höher das Lebensalter einer Population, desto häufiger erkranken Personen in dieser Gruppe an chronischer Herzinsuffizienz. Eine Herzinsuffizienz beeinträchtigt die Lebensqualität der Patienten erheblich, indem sie deren Unabhängigkeit und die Durchführung von Alltagsaktivitäten einschränkt. Herzinsuffizienz ist in Deutschland einer der häufigsten Gründe für Klinikeinweisungen und eine der häufigsten Todesursachen. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate von Patienten mit Herzinsuffizienz liegt bei ca. 50%, wobei die Überlebensraten von Patienten mit eingeschränkter Pumpfunktion (HFrEF) vergleichbar wie bei Patienten mit erhaltener Pumpfunktion (HFpEF) sind. Muss der Patient wegen einer Verschlechterung seiner Herzinsuffizienz stationär behandelt werden, erfordert jedes nachfolgende Ereignis eine längere Behandlungsdauer, und die ­Abstände bis zur nächsten Hospitalisierung werden kürzer. Jede erneute stationäre Krankenhausaufnahme wegen Dekompensation der Herzinsuffizienz ist ein starker Prädiktor für die Verschlechterung der Prognose.

NSAID meiden

Aufgrund der im höheren Lebensalter hohen Co-Prävalenz von Herzinsuffizienz und Begleiterkrankungen wie z. B. Rheuma, Arthrose, Kreuzschmerz, ­Osteoporose kommt der Auswahl geeigneter Analgetika für die Patienten eine besondere Bedeutung zu. Die Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie zur Diagnose und zur Behandlung der akuten und chronischen Herzinsuffizienz [1] und die aktuelle Nationale Versorgungsleitlinie Herzinsuffizienz (NVL) [2] wurden beide erst kürzlich aktualisiert. Beide Leitlinien raten ausdrücklich aufgrund des erhöhten Risikos für eine Verschlechterung der Herz­insuffizienz und dadurch bedingter Hospitalisierung von der Einnahme gebräuchlicher nichtsteroidaler Antiphlogistika (NSAID) wie Ibuprofen, Diclofenac oder selektiver COX-2-Hemmer ab. Stattdessen sollen die Patienten eher Paracetamol oder schwach wirkende Opioide wie Tilidin/Naloxon oder Tramadol verwenden.

Mehr Hospitalisierungen

Die aktuelle Untersuchung von Perrin und Kollegen aus Frankreich liefert interessante Ergebnisse zur Pharmakovigilanz von Paracetamol bei Patienten mit Herzinsuffizienz. Die Studie [3] analysiert Daten aus dem Sozialversicherungssystem (Système National d’Information Interrégimes de l’Assurance Maladie) von 4301 Patienten mit einem medianen Alter von 83 Jahren, die erstmals wegen einer akuten Herzinsuffizienz im Zeitraum 2014 bis 2016 stationär aufgenommen wurden. Der Fokus der Untersuchung ist die Verordnung von Paracetamol in der galenischen Form als Brausetablette. In den 15 Tagen vor der stationären Aufnahme hatten 5,7% der Patienten Paracetamol-Brausetabletten verordnet bekommen, wohingegen in der Kontrollperiode nur 4,1% der Patienten ein entsprechendes Rezept erhielten. Daraus ergibt sich ein relatives Risiko von 1,56 (adjustierte Crossover Odds-Ratio mit einem 95%-Konfidenzintervall [KI] von 1,27 bis 1,90; p < 0,001). Bei Verordnung der konventionellen Formulierungen zur oralen Einnahme ist das Risiko ebenfalls erhöht, verfehlt aber knapp die statistische Sig­nifikanz (Odds Ratio = 1,11; 95%-KI: 0,99 bis 1,24).

Geringe Stichprobengröße

Neben der begrenzten sehr überschaubaren Stichprobengröße der Fälle mit Paracetamol ist die Datenquelle (Analyse beruht auf Verordnungsdaten) trotz des differenzierten statistischen Auswertungsmodells sicher eine wesentliche Limitation der Studie.

Was können wir aus der Studie für den Alltag mitnehmen? Eigentlich eher wenig. Die Studie hebt auf die Risikoerhöhung für Herzinsuffizienz-Patienten durch die Einnahme von Paracetamol-Brausetabletten aufgrund der mit der Einnahme assoziierten versteckten Natriumzufuhr und die zusätzliche Flüssigkeitszufuhr bei der Einnahme ab. So enthält eine einzelne bei uns im Handel befindliche 500-mg-Paracetamol-Brausetablette ca. 416 mg Natrium.

Welche Natrium- und Flüssigkeitszufuhr ist in Ordnung?

Die einstige Empfehlung zur Begrenzung der Flüssigkeits- und Salzaufnahme bei Patienten mit Herzinsuffizienz unter der Annahme, dass auf diese Weise Atemnot und Ödeme reduziert und der Blutdruck gesenkt werden könnten, beruht auf einer relativ schlechten Datenlage. Diesen positiven Effekten stehen jedoch ein erhöhtes Risiko u. a. für Hyponatriämien (erhöht Risiko für Verwirrtheit und Delir, Stürze und Hospitalisierung), Verschlechterung der Nierenfunktion und erhöhte Herzfrequenz gegenüber. Die Nationale Versorgungsleitlinie rät ­deshalb Patienten mit stabiler chronischer Herzinsuffizienz, die Flüssigkeitszufuhr an kurzfristigen Veränderungen des Gewichts im Verlauf sowie der Nierenfunktion zu orientieren, ­wobei lediglich eine „exzessive“ Aufnahme von Flüssigkeit (mehr als drei Liter) als ungünstig erachtet wird. ­Eine Restriktion der Salzzufuhr auf 6 g/Tag wird von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung für die Bevölkerung generell empfohlen. Der Nutzen einer weiteren Reduktion der Salzaufnahme für Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz ist durch Studien nicht belegt.

Unzureichende Datenlage

Die mangelnde Datenlage zu diesem Kontext spiegelt sich auch in der aktuellen Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie zur Herzinsuffizienz wieder, die für Flüssigkeitsrestriktion, tägliche Salzzufuhr und spezifische Ernährungsempfehlungen „Gaps of evidence“ beschreibt.

Dass in der Schmerztherapie bei Patienten mit Herzinsuffizienz auf die Vermeidung der Einnahme von NSAID auch in der Selbstmedikation geachtet werden soll, bleibt nach wie vor bestehen. |

Literatur

[1] McDonagh TA et al. 2021 ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure. Eur Heart J. 2021 Sep 21;42(36):3599-726

[2] Chronische Herzinsuffizienz. Nationale Versorgungs-Leitlinie der Bundesärztekammer (BÄK) KBK, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) 2021;3. Auflage. Version 3

[3] Perrin G et al. Association Between Exposure to Effervescent Paracetamol and Hospitalization for Acute Heart Failure: A Case-Crossover Study. The Journal of Clinical Pharmacology. 2022; doi: 10.1002/jcph.2027

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