Casein ähnelt Myelin

Sollten manche MS-Patienten besser auf Milch verzichten?

Stuttgart - 11.03.2022, 09:15 Uhr

Bereits seit 1986 existiert die Hypothese, dass ein hoher Milchkonsum in der Kindheit, gefolgt von einem abrupten Rückgang im Jugendalter, das Auftreten von MS bei jungen Erwachsenen begünstigen könnte. (Foto: Rawpixel.com / AdobeStock)

Bereits seit 1986 existiert die Hypothese, dass ein hoher Milchkonsum in der Kindheit, gefolgt von einem abrupten Rückgang im Jugendalter, das Auftreten von MS bei jungen Erwachsenen begünstigen könnte. (Foto: Rawpixel.com / AdobeStock)


Nach Milchkonsum: Manchen MS-Patienten geht es schlechter

Dazu gibt es nun neue Daten von Wissenschaftlern aus Bonn und Erlangen/Nürnberg. Immer wieder berichteten Menschen mit MS, dass sich ihre Symptome verschlechterten, nachdem sie Milch, Quark oder Joghurt gegessen hätten, erklärt Professor Stefanie Kürten vom Anatomischen Institut des Universitätsklinikums Bonn. Dieser Beobachtung ging die Professorin für Neuroanatomie und Expertin für Multiple Sklerose mit ihrem Team nach, sie veröffentlichten die Ergebnisse ihrer Forschung Anfang März 2022 im Fachjournal „PNAS“ („Antibody cross-reactivity between casein and myelin-associated glycoprotein results in central nervous system demyelination“.

Casein aus Milch provoziert neurologische Störungen bei Mäusen

Zunächst untersuchten sie an Mäusen, was passiert, wenn sie ihnen Casein (Rindercasein, ein Protein aus Kuhmilch), zusammen mit einem Wirkverstärker verabreichten (immunisierten). Tatsächlich entwickelten die Mäuse neurologische Störungen, wie Greif- und Gangstörungen, Schwäche der Gliedmaßen und Desorientiertheit. Jedoch entwickelte keine Maus aus der Nicht-Casein-Gruppe irgendeine körperliche Beeinträchtigung. Auch ließ sich unter dem Elektronenmikroskop erkennen, dass die Myelinschicht geschädigt – „durchlöchert“ – war (Demyelinisierung) und sich Immunglobulin G (Antikörper) dort ablagerten, ebenfalls nur bei den mit Casein immunisierten Mäusen. Auch war die Antikörperablagerung bei Mäusen, die an Tag 40 getötet und untersucht wurden, größer und die Rückenmarksschädigung ausgeprägter als bei Mäusen, die zu einem früheren Zeitpunkt (Tag 13 und Tag 20) nach Casein-Verabreichung getötet worden waren. Warum passiert das, warum könnte Casein Myelin zerstören?

Casein ähnelt Myelinelementen 

Die Wissenschaftler vermuten eine fehlgeleitete Immunreaktion, denn: „Die körpereigene Abwehr attackiert eigentlich das Casein, zerstört dabei aber auch Proteine, die an der Bildung des Myelins beteiligt sind.“ Dies kann passieren, wenn sich Strukturen sehr ähneln und das Immunsystem beide verwechselt (wie auch beim Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein, MOG und dem Milchprotein Butyrophilin, BTN schon früher gezeigt, siehe oben).

Casein-Antikörper passen auch auf Myelin – und die Immunreaktion zerstört es

Was die Wissenschaftler nun taten: Sie verglichen Casein aus der Kuhmilch strukturell mit verschiedenen Molekülen, die für die Produktion von Myelin wichtig sind. In der Tat entdeckten sie Myelin-assoziiertes Glykoprotein (MAG), das den Wissenschaftlern zufolge „dem Casein in manchen Bereichen ausgesprochen ähnlich“ sieht. Dass durch diese Ähnlichkeit das Immunsystem das körpereigene Molekül tatsächlich mit dem Kuheiweiß verwechselt, konnten die Wissenschaftler dadurch zeigen, dass Antikörper gegen Casein aus dem Blut (Serum) der Casein-immunisierten Mäuse sich auch an Oligodendrozyten (diese Zellen bilden im ZNS die Myelinscheide) – genauer an MAG – im ZNS der Mäuse ablagerten und dort eine Immunreaktion auslösten. Das bedeutet: Antikörper gegen Kuheiweiß können sich an Myelin anlagern und die dadurch ausgelöste Immunreaktion das Myelin zerstören – zumindest bei Mäusen.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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