„Auf Schwarzmarktniveau“

Cannabis-Anbieter startet Preisoffensive

Stuttgart - 25.02.2022, 07:00 Uhr

Adjupharm will den Endverbrauchern Medizinalcannabis auf Schwarzmarktpreisniveau zugänglich machen. (Screenshot: adjupharm.de / DAZ)

Adjupharm will den Endverbrauchern Medizinalcannabis auf Schwarzmarktpreisniveau zugänglich machen. (Screenshot: adjupharm.de / DAZ)


IMC/Adjupharm sieht sich gezwungen, die Preise für Medizinalcannabis auf Schwarzmarktniveau zu senken. In einem offenen Brief appelliert der deutsch-israelische Cannabis-Anbieter an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach: Bevor Patienten, die ihre Behandlung selbst bezahlen, illegal Cannabis beziehen müssten, will IMC/Adjupharm aus eigener Kraft die Versorgung auf diese Weise sicherstellen. Ist das eine Kampfansage an die kanadischen Marktführer?

Seit fünf Jahren dürfen Ärztinnen und Ärzte in Deutschland Cannabis zu medizinischen Zwecken verordnen. Die Abgabe und Beratung zur Anwendung der Hanfblüten, Extrakte und entsprechender Fertigarzneimittel findet in den Apotheken statt. Statistiken aus dem System der gesetzlichen Krankenkassen machen deutlich, dass es sich um eine dynamische Marktentwicklung mit erheblichen Zuwachsraten handelt: Laut Analysen der GKV-Arzneimittel-Schnellinformation (GAMSI) betrug der Bruttoumsatz rund 27 Millionen Euro in 2017, 73,5 Millionen in 2018, 123 Millionen in 2019 sowie 165 Millionen in 2020. Für das vergangene Jahr könnten die prognostizierten Ausgaben bei mehr als 170 Millionen Euro liegen, basierend auf den GAMSI-Daten der ersten drei Quartale 2021.

Doch wie wird sich die Versorgung mit Medizinalcannabis weiterentwickeln? Vor allem im Zusammenspiel mit einer Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken, wie es die aktuelle Bundesregierung in Aussicht stellt? Die israelische IM Cannabis Corp. mit ihrer deutschen Tochtergesellschaft Adjupharm hat Bedenken und teilt diese im Rahmen eines offenen Briefes Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit. Zugleich kündigt der Anbieter eine bisher beispiellose Preisoffensive auf dem deutschen Cannabis-Markt an und wird damit den Wettbewerb um Marktanteile und Marktführerschaft weiter anheizen.

Ausgehend von einer Pressemitteilung der Barmer aus 2020, nach der mehr als zwei Drittel der Cannabis-Anträge bewilligt werden, zieht IMC/Adjupharm den Umkehrschluss, dass somit etwa jeder dritte Antrag auf Erstattung abgelehnt würde und immer mehr Patientinnen und Patienten ihre Behandlung selbst bezahlen müssten. Dabei sei völlig unklar, „wie viele von ihnen sich mit dem wesentlich günstigeren ‚Schwarzmarktcannabis‘ versorgen – obwohl Verunreinigungen durch Schwermetalle oder Schimmelpilze, Schwankungen in den Wirkstoffkonzentrationen oder gar substanzfremde Verlängerungen aus einer wichtigen Therapie ein gefährliches Glücksspiel machen können.“

IMC/Adjupharm-Geschäftsführer Richard Balla appelliert an Lauterbach, all dies durch den gesicherten Zugang zu Medizinalcannabis in pharmazeutischer Qualität zu verhindern. Um einer drohenden Banalisierung selbst proaktiv entgegenzuwirken, hat sich der Anbieter dazu entschlossen, eine Preisoffensive auf dem deutschen Cannabis-Markt zu starten. Medizinalcannabis in Blütenform will der Anbieter mit sofortiger Wirkung auf gängigem Schwarzmarktpreisniveau den Endverbrauchern zugänglich machen. Balla betont: „Selbstverständlich werden wir auch weiterhin alle Vorgaben für Anbau und Verarbeitung von medizinischem Cannabis in pharmazeutischer Qualität einhalten und die Apotheken in Deutschland zuverlässig beliefern.“

Einkaufspreis für die Apotheken wird nicht öffentlich kommuniziert

Wie soll das konkret funktionieren? Laut graspreis.de liegt der Schwarzmarktpreis aktuell im Durchschnitt bei 10,60 Euro pro Gramm. Die Spannweite der gemeldeten 3.557 „Graspreise“ reicht dabei von 4,40 Euro bis 13 Euro. Auf Nachfrage der DAZ erklärt IMC/Adjupharm, dass man den neuen Apothekeneinkaufspreis für Cannabis-Blüten „deutlich“ unter dem durchschnittlichen Schwarzmarktpreis ansetzen will, damit der von den Apotheken kalkulierte Abgabepreis wettbewerbsfähig wird. Ein konkreter Einkaufpreis für die Apotheken wird öffentlich nicht kommuniziert. Damit auch der Großhandelszuschlag eingespart wird, startet IMC/Adjupharm gleichzeitig den Direktvertrieb seiner Blüten.

In den Apotheken wiederum werden die Abgabepreise bekanntlich nach der Arzneimittelpreisverordnung berechnet. Seit dem 1. März 2020 wurde die Preisbildung von Cannabis-Arzneimitteln in der neuen Anlage 10 der Hilfstaxe festgesetzt. Seitdem können Cannabis-Blüten aller Sorten mit einem einheitlichen Einkaufspreis von 9,52 Euro pro Gramm den gesetzlichen Krankenkassen in Rechnung gestellt werden. Hinzu kommen Fixzuschläge in Höhe von 2,60 Euro bis 9,52 Euro, je nach Menge und je nachdem ob die Blüten unverändert oder verarbeitet abgegeben werden.

IMC/Adjupharm will den Apotheken nun ermöglichen, die Abgabepreise im Sinne der Patientinnen und Patienten deutlich niedriger kalkulieren zu können, ohne auf die eigenen Fixzuschläge zu verzichten. Damit wolle man die Abgabe von Hanfblüten fördern, denn die Tendenz der Krankenkassen, hauptsächlich Extrakte zu genehmigen, widerspreche den Bedürfnissen einer individuellen Therapie und werde auch von vielen verordnenden Hausärztinnen und -ärzten kritisch betrachtet, erläutert IMC-Marketingdirektorin Anna Taranko ergänzend. Aus eigenen Erhebungen und den Analysen von Marktforschungsinstituten habe man eruieren können, dass inzwischen zwei Drittel der „Blüten-Patienten“ Selbstzahler sind, die keine Erstattung erhalten. Diese Statistik und diese Personen würden aus den Betrachtungen der GKV herausfallen.

An den Gesundheitsminister formuliert IMC/Adjupharm daher zwei konkrete Forderungen. Einerseits solle für einen Erhalt der Apothekenabgabe von medizinischem Cannabis gesorgt werden. Die Apothekenpflicht solle auch eine Stigmatisierung kranker Menschen als „Kiffer“ verhindern. Bei der anstehenden Legalisierung von Cannabis für den Freizeitgebrauch, die von der Ampel-Koalition in Aussicht gestellt wird, drohe eine Banalisierung der Therapie durch die Abgabe in „Shops“ ohne pharmazeutische Beratung, durch die Gleichsetzung von medizinischem Cannabis mit einem Lifestyle-Produkt. Darüber hinaus setzt sich IMC/Adjupharm weiterhin für den Erhalt der Erstattungsfähigkeit von Medizinalcannabis in allen Darreichungsformen im GKV-System ein.

Versorgungssystem in Israel als Vorbild

Dass die Offensive zu dauerhaften Niedrigpreisen auf dem deutschen Cannabis-Markt führen wird, hat man bei IMC/Adjupharm offenbar einkalkuliert und wird von der israelischen Muttergesellschaft laut Marketingdirektorin Taranko unterstützt. Überhaupt sei das Versorgungssystem in Israel ein mögliches Vorbild. Dort liege die gesamte Verantwortung beim Umgang mit Cannabis – von der ärztlichen Verordnung über die Selbstmedikation bis hin zum Genuss – in den Händen von Heilberuflern, nämlich den Apotheken. Ein Schwarzmarkt sei deshalb, so Taranko, praktisch nicht existent.

Dass die aktuelle Kampagne auch dazu dient, sich im deutschen Markt weiter zu etablieren und aus dem Windschatten der großen kanadischen Cannabis-Anbieter wie Canopy Growth, Aurora oder Tilray endlich hervorzutreten, werden aufmerksame Beobachter sicher auch nicht ignorieren können. Inwiefern die Aktion für IMC/Adjupharm einen Erfolg bedeutet, bleibt offen. Nicht unwahrscheinlich ist es dagegen, dass sich die Krankenkassen bald für eine Neuverhandlung der Hilfstaxe einsetzen werden, um von den realen Marktpreisen ebenfalls zu profitieren.

Seit 2008 ist IMC („International Medical Cannabis“) eigenen Angaben zufolge mit einer breiten Palette medizinischer Cannabis-Sorten im israelischen Markt etabliert. Durch Anbaulizenzen in Portugal und Griechenland sowie Lieferverträge mit verschiedenen Herstellern in Süd- und Westeuropa vollzieht das Unternehmen aktuell eine Expansion auf europäischen Märkten. Dazu wurde im Jahr 2020 die Marke der IM Cannabis Corp. über ihre Tochtergesellschaft, die Adjupharm GmbH mit Sitz in Bad Oldesloe, in Deutschland eingeführt. Aus Apothekenperspektive war IMC bereits 2020 durch Vertriebsverträge mit der Zur Rose GmbH und mit Focus Medical Herbs Ltd. aufgefallen. Mit Wirkung zum 30. März 2021 wurde der Vertrag zwischen IMC und der Zur Rose GmbH allerdings ohne Angabe von Gründen wieder gekündigt.



Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@daz.online


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