Cannabis-Verbände schreiben an Lauterbach und Blienert

Medizinalcannabis schützen, Eigenmedikation verhindern

Berlin - 07.09.2022, 14:30 Uhr

Cannabis zu medizinischen Zwecken sollte nicht in Vergessenheit geraten, wenn die Legalisierung zu Genusszwecken vorbereitet wird. (Foto: PoppyPix / AdobeStock)

Cannabis zu medizinischen Zwecken sollte nicht in Vergessenheit geraten, wenn die Legalisierung zu Genusszwecken vorbereitet wird. (Foto: PoppyPix / AdobeStock)


Cannabis zu Genusszwecken soll legalisiert werden – das wird sich auch auf die Versorgung mit medizinischem Cannabis auswirken. Davon gehen verschiedene „Cannabis-Verbände“ aus, darunter der Verband der Cannabis versorgenden Apotheken. Damit Cannabis-Patienten nicht das Nachsehen haben, sondern ihre Lage endlich verbessert wird, stellen sie ganz konkrete Forderungen an die Politik.  

„So wie es ist, kann es nicht bleiben.“ So fassen die acht Verbände, die sich angesichts der politischen Vorarbeiten für die kontrollierte Cannabis-Freigabe zu Genusszwecken für eine bessere Versorgung mit Medizinalcannabis zusammengetan haben, ihre am heutigen Mittwoch vorgelegten Forderungen zusammen. Zu diesen Verbänden zählen unter anderem der Verband der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA) und die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) sowie Patienten- und Wirtschaftsverbände. Parallel zur Veröffentlichung ihres Verbändepapiers verschickten sie heute offene Briefe an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sowie den Sucht- und Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Burkhard Blienert (beide SPD).

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Die Verbandsvertreter:innen eint die Befürchtung, dass es negative Folgen für Patient:innen haben wird, wenn parallel zur Legalisierung von Cannabis als Genussmittel nicht auch die Versorgung mit medizinischem Cannabis besonders geschützt und reformiert wird. „Bürger:innen brauchen einen verlässlichen Zugang zu medizinischem Cannabis in pharmazeutischer Qualität und dürfen für die Behandlung medizinischer Symptome nicht in die Eigentherapie mit Produkten des Genussmittelmarktes oder aus eigenem Anbau gedrängt werden“, heißt es in den offenen Briefen. Die aktuellen politischen Bestrebungen sollten daher aus ihrer Sicht genutzt werden, „die nach wie vor bestehenden Hürden im Bereich Medizinalcannabis abzubauen, sodass fünf Jahre nach Einführung des ‚Cannabis als Medizin‘-Gesetzes die Versorgung von Patient:innen nachhaltig verbessert werden kann“.

Zwar dürfen Ärzte und Ärztinnen Cannabisarzneimittel seit März 2017 verschreiben – dennoch liegt die Versorgung aus Sicht der Verbände im Argen. „Derzeit werden noch immer fast 40 Prozent aller Anträge auf Kostenübernahme durch die Krankenkassen abgelehnt, was zu einer hohen Quote von Privatzahler:innen in unseren Apotheken führte“, sagt VCA-Geschäftsführerin und Apothekerin Christiane Neubaur. Doch das Cannabis aus der Apotheke kann sich nicht jede:r leisten. Und so beklagen die Verbände, dass die jetzige Situation zu sozialen Schieflagen führe. Zudem würden viele Patient:innen, die Cannabis aus medizinischen Gründen benötigen, in die Illegalität gedrängt oder sogar strafrechtlich verfolgt.

Genehmigungsvorbehalt abschaffen

Franjo Grotenhermen, stellvertretender Vorsitzender der ACM, erklärt: „Die anhaltende Kriminalisierung vieler unbescholtener Bürger:innen, die sich mit Cannabis selbst therapieren müssen, ist einem modernen und reichen Land wie Deutschland unwürdig. Auch bei der Behandlung mit Cannabis-Medikamenten muss die Therapiehoheit da liegen, wo sie hingehört, bei den behandelnden Ärzt:innen.“ Gero Kohlhaas vom Patientenverband Selbsthilfenetzwerk Cannabis-Medizin (SCM) betont: „Zu wenige Ärzt:innen verschreiben diese hochwirksame Therapie aufgrund der bürokratischen Hürden. Der Genehmigungsvorbehalt muss abgeschafft werden, um Patient:innen unabhängig von ihren finanziellen Möglichkeiten Zugang zu einer notwendigen Therapie zu gewährleisten. Gleichzeitig müssen verschreibende Ärzt:innen vor einem Regress geschützt werden.“

Bedarf an Medizinalcannabis vorrangig decken

Der Bedarf von Cannabis als Genussmittel wird dem Verbändepapier zufolge konservativ auf etwa 400 Tonnen pro Jahr geschätzt. Maximilian Schmitt, Vorsitzender des Vorstands des Bundesverbands pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen (BPC), fordert deshalb: „Der legale Markt darf auf keinen Fall die Versorgung mit Produkten für den medizinischen Bereich gefährden. Um die therapeutischen Bedürfnisse von Patient:innen sicherzustellen, sollte deshalb der Bedarf an Medizinalcannabis vorrangig gedeckt werden.“

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Auch wenn der therapeutische Nutzen cannabisbasierter Arzneimittel bei einer Vielzahl unterschiedlicher Indikationen unbestritten sei, sehen die Verbände die Notwendigkeit, hier weiterzuforschen – und dafür sollte es auch Forschungsgelder geben. Zudem müssten „die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Bedeutung des Endocannabinoidsystems für den gesunden Organismus und die Pathogenese und Behandlung von Erkrankungen […] als fester Bestandteil in die medizinische und pharmazeutische Lehre aufgenommen werden“.

Die Forderungen der Verbände im Überblick:

● Genehmigungsvorbehalt abschaffen und Kostenerstattung für Patient:innen sichern

● Therapiehoheit für Ärzt:innen wiederherstellen

● Soziale Schieflage bei der Versorgung mit Medizinalcannabis überwinden

● Bestehenden Rechtsrahmen für medizinisches Cannabis bundesweit einheitlich gestalten

● Qualität und Sicherheit für Medizinalcannabis sicherstellen

● Versorgung von Patient:innen mit qualitätsgesicherten cannabisbasierten Arzneimitteln vorrangig sichern

● Klinische Forschung durch bessere Rahmenbedingungen sowie finanzielle Unterstützung fördern

● Grundlagen des Endocannabinoidsystems und des therapeutischen Potenzials von Cannabinoiden in der medizinischen und pharmazeutischen Lehre verankern


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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