HbA1C wichtiger als LDL?

Statine: Studie spricht dafür, diabetogene Risiken stärker zu berücksichtigen

Stuttgart - 28.10.2021, 17:55 Uhr

Kann unter Statin-Therapie ein Diabetes entstehen? Eine regelmäßige Kontrolle ist insbesondere bei Risikopatient:innen anzuraten. (x / Foto: dglimages / AdobeStock)

Kann unter Statin-Therapie ein Diabetes entstehen? Eine regelmäßige Kontrolle ist insbesondere bei Risikopatient:innen anzuraten. (x / Foto: dglimages / AdobeStock)


Diabetes-Leitlinien empfehlen Statine auch präventiv

Doch auch in der „S2k-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im Alter“ (Stand: 13. Juli 2018, gültig bis 13. Juli 2023) heißt es zur Statin-Therapie: „Umfassende und konsistente Daten bestehen für die Effizienz von Statinen zur LDL-Senkung in der Prävention kardiovaskulärer Ereignisse bei Menschen mit Typ-2-Diabetes.“ Demnach wird eine Statintherapie empfohlen für „Menschen mit Typ-1-Diabetes und Typ-2-Diabetes und sehr hohem Risiko (z. B. bei KHK, schwerer Nierenschädigung oder mit einem oder mehreren CV-Risikofaktoren (z. B. Lipoprotein A) und/oder Organschädigung) mit einem Ziel-LDL-C von < 1,8 mmol/l (< 70 mg/dl) oder einer ≥ 50% LDL-C-Reduktion, falls dieser Wert nicht erreicht werden kann. Ein Ziel-LDL-C von < 2,5 mmol/l (< 100 mg/dl) wird empfohlen für Hochrisikopatienten mit Typ-2-Diabetes (ohne andere CV-Risikofaktoren und ohne Organschädigung).“

Dort ist aber auch zu lesen, dass die Statin-Therapie als kardiovaskuläre Risikoprävention insbesondere bei älteren Menschen mit Diabetes ein sorgfältiges Abwägen der Risiken – die von Arzneimittelinteraktionen/unerwünschten Nebenwirkungen ausgehen – erfordert:

Im Einzelfall sollte überlegt werden, inwieweit die kardiovaskuläre Prognose tatsächlich durch die Progression der Arteriosklerose bestimmt ist. Im Sinne einer Risikoabschätzung sollte die Indikation für Statine dann überdacht werden, wenn andere Erkrankungen (Komorbiditäten) zusätzlich zur arteriosklerotischen Herzerkrankung im Vordergrund stehen [Bundesärztekammer (BÄK) 2016]. Auch sollte gerade bei älteren Menschen mit Diabetes bedacht werden, dass niedrige Cholesterol-Werte die Gefahr eines hämorrhagischen Schlaganfalls erhöhen [Thompson 2016].“ 

S2k-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im Alter, 2. Auflage 2018

Die aktuelle JAMA-Studie bezieht sich auf US-amerikanische Leitlinien von 2014 und 2018, in denen es um die Behandlung von Cholesterolblutspiegeln zur Reduktion ateriosklerotischer kardiovaskulärer Risiken und das Risikomanagement bei kardiovaskulärer Erkrankung bei Diabetes geht. Demnach werden in den USA zur kardiovaskulären Primärprävention Statine für alle Patient:innen mit Diabetes Typ 2 empfohlen, die zwischen 40 und 75 Jahre alt sind und einen LDL-Wert von 70 mg/dl oder mehr haben.

Mehr zum Thema

Wie man herausfindet, wer Lipidsenker wirklich nicht verträgt

Das Statin-Roulette

Neuer Review stellt Nutzen der LDL-Senkung infrage und bleibt nicht unwidersprochen

Auf dem falschen Dampfer!

Die Studienautor:innen halten demgegenüber nun als Fazit fest, dass in Zukunft weiter erforscht werden muss, wie das Risiko einer Diabetesprogression gegenüber dem kardiovaskulären Nutzen einer Statintherapie abzuwägen ist. Denn solche „metabolischen Kosten“ seien in den randomisierten kontrollierten Studien (RCT) zu Statinen nicht berücksichtigt worden. Besonders interessant erscheint diese Fragestellung, weil die Wissenschaftler:innen einen Dosis-Wirkungs-Zusammenhang erkannt haben: Eine stärkere LDL-Cholesterinsenkung sei mit einer höheren Wahrscheinlichkeit einhergegangen, dass der Diabetes fortschreitet, heißt es in der Diskussion der Studie. Dabei komme auf 13 mit Statinen behandelte Patient:innen ein:e Patient:in mit Diabetes-Progression. 

Wiederanstieg diabetischer Komplikationen seit 2009

Diese Beobachtungen stellen die Autor:innen vor den Hintergrund eines Wiederanstiegs diabetischer Komplikationen. Zwischen 2009 und 2015 haben sich demnach die Besuche in der Notaufnahme wegen hyperglykämischer Krisen verdoppelt, die Hospitalsierungen waren um 73 Prozent erhöht und damit assoziierte Todesfälle seien um 55 Prozent angestiegen. Gerade in der Primärprävention solle man die Nutzen-Risiko-Abwägung überdenken: Rund 77 Prozent der Studienteilnehmer:innen hätten zu Beginn keine bekannte kardiovaskuläre Erkrankung gehabt. 

In einer anderen Studie sei der HbA1c-Wert sogar ein besserer Prädiktor für Tod (unabhängig vom Grund) gewesen als das LDL-Cholesterol. Zahlreiche Studien hätten gezeigt, dass Statine die Insulinresistenz erhöhen – welche wiederum das Risiko für Diabetes-Komplikationen, endotheliale Dysfunktion, Entzündungen und erhöhte Plättchenreaktivität erhöht.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Patienten über 65 Jahre scheinen nicht mehr von einer Primärprävention zu profitieren

Statine mit Altersbeschränkung?

… es sei denn sie leiden unter Diabetes

Hochbetagte profitieren nicht von Statinen ...

Frauen mit Typ-2-Diabetes erhalten weniger Arzneimittel als Männer

Ungleich behandelt

Primärpräventiver Nutzen scheint bei einem niedrigen kardiovaskulären Risiko gering zu sein

Statine für Gesunde?

In der Behandlung der Dyslipidämie verfolgen Europa und die USA unterschiedliche Strategien

„Treat to target“ oder „Fire and forget“?

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.