HbA1C wichtiger als LDL?

Statine: Studie spricht dafür, diabetogene Risiken stärker zu berücksichtigen

Stuttgart - 28.10.2021, 17:55 Uhr

Kann unter Statin-Therapie ein Diabetes entstehen? Eine regelmäßige Kontrolle ist insbesondere bei Risikopatient:innen anzuraten. (x / Foto: dglimages / AdobeStock)

Kann unter Statin-Therapie ein Diabetes entstehen? Eine regelmäßige Kontrolle ist insbesondere bei Risikopatient:innen anzuraten. (x / Foto: dglimages / AdobeStock)


Dass Statine als Substanzklasse den Blutzuckerspiegel erhöhen können, steht seit 2012 in den jeweiligen Fachinformationen. Das Risiko, dass daraus ein behandlungsbedürftiger Diabetes entstehen könnte, wird jedoch laut Fachinformation von der Reduktion des vaskulären Risikos durch Statine aufgewogen. Doch trifft das immer zu, auch bei bereits manifestem Diabetes? Und wie gut ist diese Nutzen-Risiko-Abwägung überhaupt untersucht? 

Ein Blick in die Lauer-Taxe verrät: Statine (beispielsweise Simvastatin in Zocor) werden zur Behandlung einer Hypercholesterinämie oder zur kardiovaskulären Prävention eingesetzt. Letzteres bei Patient:innen mit manifester atherosklerotischer Herzerkrankung oder Diabetes mellitus, deren Cholesterinwerte normal oder erhöht sind. Dort steht aber auch unter „unerwünschte Wirkungen, ohne Angabe der Häufigkeit“: Diabetes mellitus. Die Häufigkeit sei dabei abhängig von dem Vorhandensein oder dem Fehlen von Risikofaktoren (Nüchternblutzucker ≥ 5,6 mmol/l, BMI > 30 kg/m², erhöhte Triglyceride, bestehende Hypertonie).

Unter dem Punkt „Therapieüberwachung/Kontrollmaßnahmen“ steht außerdem, dass es Hinweise darauf gibt, „dass Statine als Substanzklasse den Blutzuckerspiegel erhöhen und bei manchen Patienten, die ein hohes Risiko für die Entwicklung eines zukünftigen Diabetes mellitus haben, eine Hyperglykämie hervorrufen können, die eine adäquate Diabetesbehandlung erfordert“. Dieses Risiko wird, wie es weiter heißt, jedoch von der Reduktion des vaskulären Risikos durch Statine aufgewogen. Daher sollte es nicht zu einem Abbruch der Statinbehandlung führen. Eine regelmäßige Kontrolle ist aber insbesondere bei Risikopatient:innen anzuraten.

Beispielsweise bei Rosuvastatin (von Aristo) wird Diabetes mellitus sogar unter „häufige unterwünschte Wirkungen“ gelistet.

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Schon 2014 hatte die DAZ über „Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Diabetes mellitus“ (DAZ 15/2014) unter Statinen berichtet. In einer Risikoinformation des BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) wurde sogar bereits 2012 über ein erhöhtes Risiko von Diabetes „als möglicher Klasseneffekt“ berichtet. Seitdem müssen die eingangs genannten Hinweise in den Fachinformationen von Atorvastatin, Fluvastatin, Lovastatin, Pravastatin, Simvastatin, Pitavastatin und Rosuvastatin stehen. 

Seit dem 4. Oktober liefert eine US-amerikanische Studie aus dem Fachjournal „JAMA“ nun neue Daten zum Thema. Es handelt sich um eine retrospektive Kohortenstudie mit dem Titel: „Zusammenhang zwischen dem Beginn einer Statintherapie und dem Fortschreiten von Diabetes“. Es geht dabei weniger um das Neuauftreten eines Diabetes als um die Weiterentwicklung eines bestehenden Diabetes unter neu begonnener Statintherapie. Dabei zeigte sich, dass bei Diabetes-Patient:innen, die Statine einnahmen, mit höherer Wahrscheinlichkeit

  • eine Insulinbehandlung eingeleitet wurde,
  • sich eine signifikante Hyperglykämie entwickelte,
  • akute glykämische Komplikationen auftraten und
  • eine größere Anzahl von Medikamenten zur Senkung des Blutzuckerspiegels verschrieben wurde.

Wie das Risiko bislang eingeschätzt wurde

Die DAZ 37/2015 widmete sich dem Nutzen-Risiko-Verhältnis der Statine in der Primärprävention insgesamt. Damals wurde in einer aktuellen Studie auch nach dem Mechanismus gefahndet, der für ihre diabetogene Wirkung verantwortlich ist: Es schien wahrscheinlich, dass sie direkt mit der Hemmung der HMG-CoA-Reduktase in Zusammenhang steht „und sich demnach kaum von der Cholesterol-senkenden Wirkung abkoppeln lässt“. Auch hier hieß es jedoch im Fazit: „Die Vorteile einer Statin-Gabe durch die Reduktion des kardiovaskulären Risikos überwiegen das diabetogene Risiko.“ 

2018 war auf der Interpharm von 26 Prozent Risikoreduktion für einen Herzinfarkt und von 9 Prozent Risikoerhöhung für eine Diabetesdiagnose die Rede. Ebenfalls im Jahr 2018 kam eine spanische Studie bei hochbetagten Menschen zu dem Ergebnis, dass eine Statintherapie in der Primärprävention nützlich ist, sofern sie an Typ-2-Diabetes leiden – allerdings nur bis 84 Jahre.

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2019 ging die DAZ zudem näher auf die in den USA etablierte Primärprävention durch Statine ein, die in Europa als umstritten gilt: „Primärpräventiver Nutzen scheint bei einem niedrigen kardiovaskulären Risiko gering zu sein“, hieß es in der DAZ 5/2019. Auch in diesem Text wurde das Diabetesrisiko erwähnt: Aus einem im Dezember 2018 veröffentlichten umfangreichen wissenschaftlichen Statement der American Heart Association (AHA) ging demnach hervor, dass das Risiko für einen neu diagnostizierten Diabetes mellitus (bei Patienten mit mehreren vorbestehenden Risikofaktoren für Diabetes mellitus) mit etwa 0,2 Prozent pro Behandlungsjahr bestimmt wurde – (gegenüber dem Risiko für Statin-induzierte schwerwiegende Muskelschäden einschließlich Rhabdomyolyse mit weniger als 0,1 Prozent).



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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