Gutachten des AvP-Insolvenzverwalters

Aussicht auf sehr hohe Quote – unter Vorbehalt

Stuttgart - 10.11.2020, 09:15 Uhr

AvP-Insolvenzverwalter Dr. Jan-Philipp Hoos hat die bei AvP vorgefundenen Vermögenswerte aufgeschlüsselt. (Foto: picture alliance / Marcel Kusch; Kanzlei White & Case)

AvP-Insolvenzverwalter Dr. Jan-Philipp Hoos hat die bei AvP vorgefundenen Vermögenswerte aufgeschlüsselt. (Foto: picture alliance / Marcel Kusch; Kanzlei White & Case)


Die etwa 2.900 Offizinapotheken, die von der Pleite des Rechenzentrums AvP betroffen sind, können auf eine außergewöhnlich hohe Quote am Ende des Insolvenzverfahrens hoffen. Das geht aus dem nicht-öffentlichen Gutachten von Insolvenzverwalter Dr. Jan-Philipp Hoos hervor, das DAZ.online vorliegt. Hoos beziffert darin die Verbindlichkeiten auf rund 594 Millionen Euro und die Vermögenswerte in Summe auf rund 544 Millionen Euro. Rein rechnerisch würde das einer Insolvenzquote von bis zu 90 Prozent entsprechen. Doch diese Werte sind nicht endgültig und können sich noch deutlich verändern. 

Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beim Apothekenrechenzentrums AvP Anfang November hat der Insolvenzverwalter Dr. Jan-Philipp Hoos dem Amtsgericht Düsseldorf ein Gutachten vorgelegt, das die Vermögensverhältnisse sowie die Ursachen für die Pleite beschreibt. Das 40 Seiten umfassende Schriftstück ist nicht öffentlich, lediglich die Gläubiger dürfen es einsehen. Eine abschließende Betrachtung der Situation ist das Gutachten, in das DAZ.online Einblick hat, keinesfalls. Vor allem die Zahlen zu Verbindlichkeiten und Vermögenswerten, aus denen sich die endgültige Insolvenzquote errechnet, muss man daher mit Vorsicht genießen.

Abrechnungsdienstleister

AvP-Insolvenz

Hoos, der bereits seit der Insolvenzanmeldung Mitte September vom Amtsgericht Düsseldorf als vorläufiger Insolvenzverwalter bei AvP eingesetzt war, beziffert die Verbindlichkeiten des Rechenzentrums auf 593,8 Millionen Euro. In diesen Betrag fließen vor allem die offenen Forderungen der etwa 2.900 öffentlichen Apotheken - also die fehlenden Abrechnungsgelder aus dem August. Zum Gläubigerkreis zählen darüber hinaus aber auch Krankenhausapotheken und sonstige Leistungserbringer. Insgesamt soll es sich um rund 5.000 Gläubiger handeln.

Dann schlüsselt Hoos die bei AvP vorgefundenen Vermögenswerte in Höhe von 543,5 Millionen Euro folgendermaßen auf:

  • 12 Millionen Euro Firmenwert (Diesen Kaufpreis zahlte Noventi für das Geschäft mit den Krankenhausapotheken.)
  • 10.000 Euro Grundvermögen (Schätzwert)
  • 17.300 Euro Betriebs- und Geschäftsausstattung (Liquiditätswert)
  • 193,7 Millionen Euro liquide Mittel
  • 337,8 Millionen Euro nominaler Forderungsbestand

Der nominale Forderungsbestand setzt sich zusammen aus Forderungen aus Rezeptabrechnungen (200 Millionen Euro), aus Forderung aus Rabattverfall (137,4 Millionen Euro sowie aus Forderungen gegen die von Ex-AvP-Chef Mathias Wettstein geführte MW Aviation GmbH & Co. KG (448.200 Euro).

Die größten Positionen sind die unsichersten

Doch die größten Positionen in dieser Auflistung sind zugleich auch die unsichersten. Denn Insolvenzverwalter Hoos geht offenbar relativ optimistisch davon aus, dass die von ihm eingereichten und abgerechneten Rezepte bei den Krankenkassen 200 Millionen Euro einbringen werden. 

Noch vorsichtiger müssen die 137,4 Millionen Euro aus Forderung aus Rabattverfall bewertet werden. Hoos geht davon aus, dass AvP mindestens seit dem Jahr 2013 Rabattverfallansprüche gegenüber den Krankenkassen zustehen. Im Gutachten erklärt er, dass den Kostenträgern normalerweise Rabattansprüche „von zumeist fünf Prozent des Arzneimittelabgabepreises“ zustehen würden, wenn diese innerhalb von zehn Tagen nach Rechnungseingang an das Rechenzentrum zahlen würden. Nach Hoos‘ Kenntnissen ist dies seit 2013 nicht geschehen und so prüft er aktuell zusammen mit einem Dienstleister, ob und in welcher Höhe Rabattverfallansprüche bestehen. Vorläufige Ergebnisse ergeben eine Spannweite zwischen 37,2 Millionen Euro und 137,4 Millionen Euro. In den Forderungen ist also die oberste Grenze der Spannbreite angegeben. Außerdem muss kritisch betrachtet werden, ob mit „zumeist fünf Prozent“ Kassenabschlag der tatsächliche Wert nicht deutlich überschätzt wird und ob diese Forderungen am Ende überhaupt eingebracht werden können.

Gutachten beziffert keine Insolvenzquote

Das Gutachten dient der Rechtfertigung des Insolvenzverfahrens vor Gericht. Es wird darin keine Insolvenzquote hochgerechnet, dennoch bietet die Auflistung der Verbindlichkeiten und Vermögenswerte dem aufmerksamen Leser eine erste Orientierung: Berechnet man nämlich das Verhältnis von der Summe aller Verbindlichkeiten zur Summe der vorhandenen Vermögenswerte ergibt sich die außergewöhnlich hohe Insolvenzquote von bis zu 90 Prozent. Selbst auf der Grundlage der unteren Grenze der Spannweite für die Rabattverfallansprüche wären es immerhin noch etwa 75 Prozent. In Insolvenzverfahren sind normalerweise Quoten im einstelligen Bereich gewöhnlich. Doch die Pleite eines Apothekenrechenzentrums lässt sich offenbar nicht ohne weiteres mit Insolvenzen anderer Unternehmen vergleichen. Die AvP Deutschland GmbH erwirtschaftete laut Gutachten im Jahr 2019 Umsatzerlöse in Höhe von 26,8 Millionen Euro bei einem Abrechnungsvolumen von knapp 8 Milliarden Euro im selben Zeitraum. Der vorläufige Fehlbetrag in Höhe von etwa 50 Millionen Euro, der sich aus dem Gutachten liest, ist also im Verhältnis zu den Summen, die über die AvP-Konten floss, relativ gering.



Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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2 Kommentare

Ansprüche aus Rabattverfall

von Johannes Berlitz am 10.11.2020 um 10:57 Uhr

Ich verstehe es überhaupt nicht. Kam keiner aus der AvP-Geschäftsführung auf die Idee, die Zahlungen aus Rabattverfall bei den Krankenkassen (kranken Kassen) einzuklagen? Muss man dazu erst insolvent gehen? Wenn allein bei AvP derart hohe Forderungen aus Rabattverfall bestehen, wie sieht es bei den anderen Abrechnungszentren aus?

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Ansprüche aus Rabattverfall

von Norbert Schörner am 10.11.2020 um 19:31 Uhr

Bei ARZ Haan werden diese Forderungen jährlich gestellt und dann anteilig an die betroffenen Apotheken ausgezahlt!!!

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