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„Forderungen aus Rabattverfall“ – was ist damit gemeint?

Wichtige Position im Gutachten zum AvP-Insolvenzverfahren

tmb | Das Gutachten zur Insolvenzeröffnung der AvP Deutschland GmbH, das der Insolvenzverwalter Dr. Jan-Philipp Hoos beim zuständigen Amtsgericht Düsseldorf vorgelegt hat, bietet viele Einblicke in das Verfahren. Es ist nicht öffentlich, liegt der Redaktion jedoch vor (DAZ 2020, Nr. 46, S. 9). Dabei fallen die „Forderungen aus Rabattverfall“ gegenüber Krankenkassen als bemerkenswerter neuer Aspekt auf. Sie bilden eine beträchtliche Position bei den Forderungen und beeinflussen damit erheblich, wie viel Geld letztlich zu verteilen sein wird. Doch worum geht es dabei genau?

Eine zentrale Frage im seit Anfang November laufenden Insolvenz­verfahren beim Apothekenrechen­zentrum AvP ist, welche Vermögenswerte noch zu finden sind. Im Gutachten des Insolvenzverwalters, das zur Verfahrenseröffnung beim zuständigen Amtsgericht Düsseldorf vorgelegt werden musste, gibt es dazu zwei Betrachtungen. In der Auflistung der Bestandteile der freien Masse werden viele Positionen nur mit einem Erinnerungswert von jeweils 1 Euro beziffert, weil die Werte unsicher sind oder weil sie bestimmten Vorgängen zuzuordnen sind. Falls dazu noch Aussonderungsrechte bestehen, würden sie nicht zur Verteilung für die übrigen Gläubiger anstehen. Eine Rechnung mit Erinnerungswerten vermittelt aber keinen realistischen Gesamteindruck, welche Vermögenswerte vorhanden sind.

Die zweite Betrachtung betrifft die Frage, ob das Unternehmen überschuldet ist und daher ein Insolvenzverfahren nötig ist. Dort werden Forderungen mit ihrem nominalen Wert beziffert. Die größten und damit wohl am Ende des Verfahrens maßgeblichen Vermögenspositionen der AvP Deutschland GmbH sind demnach 193,7 Millionen Euro liquide Mittel, 200 Millionen Euro Forderungen aus den jüngsten Rezeptabrechnungen und 137,4 Millionen Euro „Forderungen aus Rabattverfall“.

Kassenabschlag: Zahlungen innerhalb von zehn Tagen

Vorhandene Kontoguthaben und neue Forderungen aus Rezeptabrechnungen erscheinen als solide Positionen, aber die „Forderungen aus Rabattverfall“ erfordern weitere Betrachtungen. Sie beziehen sich offenbar auf den „Apothekenabschlag“ (oder „Kassenabschlag“) gemäß § 130 SGB V. Diesen Abschlag können die Krankenkassen nur von ihrer Zahlung abziehen, wenn sie innerhalb von zehn Tagen nach Rechnungseingang bezahlen. Im Gutachten wird ein Rabattanspruch von zumeist 5 Prozent erwähnt. Das Gesetz sieht allerdings für Rx-Arzneimittel einen Abschlag von 1,77 Euro einschließlich Mehrwertsteuer pro Packung vor. Bei verordneten Rezepturen und OTC-Arzneimitteln (OTX) gilt der prozentuale Abschlag von 5 Prozent.

Bestehen noch Ansprüche gegen Kostenträger?

Das Gutachten erweckt den Eindruck, dass die Krankenkassen nicht immer innerhalb der vorgesehenen Frist gezahlt hätten. AvP hätte die daraufhin fälligen Forderungen aus dem Rabattverfall „im ordnungsgemäßen Geschäftsgang aufarbeiten und zeitnah gegenüber den Kostenträgern geltend machen müssen“, heißt es im Gutachten. Doch dies sei mindestens seit 2013 nicht erfolgt.

Nun werde ermittelt, inwieweit noch Ansprüche gegenüber Kostenträgern bestehen. Bisher sei bereits ein Abrechnungsvolumen von 24,5 Milliarden Euro mithilfe eines externen Dienstleisters geprüft worden. Daraus ergebe sich nach vorläufiger Einschätzung ein Forderungspotenzial zwischen 37,2 und 137,4 Millionen Euro. Der Betrag hänge von zahlreichen Einschätzungen ab und sei gegebenenfalls noch deutlich nach unten zu korrigieren. Unabhängig davon seien Aussonderungsrechte zu prüfen, heißt es im Gutachten.

Das Gutachten macht also einige Einschränkungen hinsichtlich der Aussichten, diese Forderungen einzutreiben. Dagegen werden andere Forderungen an dieser Stelle nicht beziffert, beispielsweise die Herstellerrabatte zu den Rezepten, die nach Einsetzung des (damals noch vorläufigen) Insolvenzverwalters abgerechnet wurden.

Dubiose Vorgeschichte

Doch zurück zu den Forderungen aus Rabattverfall. Gemäß der Darstellung im Gutachten kommt diesen Forderungen auch eine wichtige Rolle bei der Vorgeschichte der Insolvenz zu. Im Gutachten werden „strukturelle Defizite“ des Unternehmens beschrieben. Diese hätten dazu geführt, dass die Kosten nicht aus den erhobenen Gebühren zu decken gewesen seien. Daher habe die AvP Deutschland GmbH wohl schon in den Jahren 2017 bis 2019 Verluste von etwa 4 Millionen Euro vor Steuern pro Jahr erwirtschaftet. Damit dies nicht auffalle, seien Rechnungen über Rabattverfälle fingiert worden. In den Jahresabschlüssen seien „erhebliche Erträge“ aus den Rabattverfallforderungen gebucht worden, die dem Rechenzentrum tatsächlich nie zugeflossen seien, heißt es im Gutachten. Die fehlende Liquidität sei nicht aufgefallen, denn das Rechenzentrum habe auf den Konsortialkredit für die Abrechnungsgelder zugreifen können. Das wiederum sei wegen der Bilanzierungspraxis bei AvP nicht aufgefallen. Denn die Forderungen gegenüber den Kostenträgern und die Guthaben auf den Abrechnungskonten seien nicht aktiviert und die Verbindlichkeiten aus dem Konsortialkredit nicht passiviert worden. Außerdem habe das Rechenzentrum bis zuletzt über keine ordnungsgemäße Debitoren- und Kreditorenbuchhaltung für die Abrechnungskonten verfügt, heißt es ebenfalls im Gutachten.

Offene Fragen

Diese Beschreibung erscheint aufschlussreich, was die Vergangenheit angeht. Sie wirft aber auch die Frage auf, ob im laufenden Insolvenzverfahren noch Zahlungen für Rabattverfälle von den Krankenkassen einzutreiben sind. Dabei ist zu bedenken, dass die Abrechnungen teilweise bis zum Jahr 2013 zurückreichen. Außerdem ist zu fragen, ob die Krankenkassen tatsächlich verspätet gezahlt haben. Denn gerade wegen des drohenden Rabattabzugs gelten die Krankenkassen als sehr zuverlässige Zahler. |

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