Lopinavir/Ritonavir gegen COVID-19

Welche Studien laufen mit Kaletra?

Remagen - 15.04.2020, 13:45 Uhr

In-vitro-Untersuchungen und erste klinische Daten deuteten darauf hin, dass Kaletra  auch bei schweren, durch Coronaviren verursachten Infektionen, inklusive SARS-CoV-2, wirksam sein könnte. (t/Foto: imago images / imagebroker)

In-vitro-Untersuchungen und erste klinische Daten deuteten darauf hin, dass Kaletra  auch bei schweren, durch Coronaviren verursachten Infektionen, inklusive SARS-CoV-2, wirksam sein könnte. (t/Foto: imago images / imagebroker)


Die fixe Kombination aus den HIV-Medikamenten Lopinavir und Ritonavir gehört zu den Therapieoptionen gegen COVID-19, auf denen große Hoffnungen ruhen. Sie wird derzeit in zahlreichen Studien erprobt, häufig in Kombination mit dem MS-Therapeutikum Interferon-Beta. Eine bereits abgeschlossene hat die Erwartungen leider nicht erfüllt, was aber daran liegen könnte, dass die Patienten zu spät behandelt wurden und dass die Dosis zu niedrig war.

Die fixe Kombination aus Lopinavir und Ritonavir (Originalarzneimittel: Kaletra®) wird kombiniert mit anderen Arzneimitteln zur Behandlung von HIV-1-infizierten Kindern ab zwei Jahren und Erwachsenen eingesetzt. Sie ist in der EU schon seit 2001 zugelassen. Das heißt, es liegen umfangreiche Daten zur Anwendungssicherheit vor, ein Aspekt, der die Kombi für ein „repurposing“ gegen COVID-19 attraktiv macht. Der eigentliche antivirale Wirkstoff ist Lopinavir, das HIV-1- und HIV-2 -Proteasen hemmt und damit zur Bildung unreifer, nicht infektiöser Viren führt. Der Cytochrom-P450-Inhibitor Ritonavir wirkt hauptsächlich als „Verstärker“, indem er die Abbaugeschwindigkeit von Lopinavir in der Leber herabsetzt (Boostering).

In-vitro-Untersuchungen und erste klinische Daten deuteten darauf hin, dass die antiretrovirale Therapie auch bei schweren, durch Coronaviren verursachten Infektionen, inklusive dem Auslöser des Severe Acute Respiratory Syndrome (SARS), und SARS-CoV-2 wirksam sein könnte.

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Kein Unterschied in der Viruslast

Die kürzlich veröffentlichten Ergebnisse einer offenen randomisierten, kontrollierten Studie zum Einsatz der der fixen Kombination bei schwerkranken COVID-19-Patienten sind allerdings nicht sehr ermutigend. 199 hospitalisierte Personen mit laborbestätigter SARS-CoV-2-Infektion, die teilweise beatmet wurden, hatten die Standardbehandlung erhalten und 99 davon zusätzlich zwei Wochen lang zweimal täglich 400 mg Lopinavir plus 100 mg Ritonavir oral. Der Gesundheitszustand der Patienten verbesserte sich im Median nach 16 Tagen (primärer Endpunkt) sowohl mit als auch ohne Lopinavir/Ritonavir. Bei den sekundären Endpunkten, zeigten sich weder bezüglich der Sterblichkeitsrate noch bezüglich der Dauer der intensiv­medizinischen Behandlung und der Zeit bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus signifikante Vorteile in der Lopinavir/Ritonavir-Gruppe. Auch in der Viruslast der Patienten machte sich kein wesent­licher Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen bemerkbar. Als methodische Schwachpunkte führen die Autoren unter anderem an, dass die Behandlung eventuell zu spät gestartet worden und dass die Dosis zu gering gewesen sein könnte. 

SOLIDARITY, DISCOVERY, RECOVERY usw.: Diese Studien laufen

Das muss also noch lange nicht „der Weisheit letzter Schluss“ zu dem HIV-Medikament gegen COVID-19 sein.

  • Die WHO setzt nun auf eine größere Zahl an Studienteilnehmern und hofft auf positive Ergebnisse. Diese sollen aus der SOLIDARITY-Studie gewonnen werden, die vier Behandlungsansätze, darunter auch Grundbehandlung + Lopinavir/Ritonavir sowie Grundbehandlung + Lopinavir/Ritonavir + Beta-Interferon, untersucht. Beta-Interferon gehört zu den Medikamenten der ersten Wahl zur Basistherapie der schubförmigen Multiplen Sklerose (MS). Den deutschen Teil der Studie, an der zahlreiche Länder mitwirken, koordinieren das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) und das Deutsche Zentrum für Lungenforschung (DZL).
  • Parallel dazu hat in der EU die Studie DISCOVERY mit sehr ähnlichem Aufbau begonnen, an der 3.200 Patienten aus Deutschland, Belgien, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, Spanien, Schweden und UK teilnehmen sollen. Die französische Forschungsorganisation INSERM, die die Aktivitäten koordiniert, betont den adaptiven Ansatz als große Stärke der Studie. Hiernach können ineffektive experimentelle Behandlungen sehr schnell fallen gelassen und durch andere ersetzt werden, die sich aus den aktuellen Forschungsaktivitäten herauskristallisieren. Zu den fünfen Armen gehören auch die Grundbehandlung + Lopinavir/Ritonavir sowie Grundbehandlung + Lopinavir/Ritonavir + Beta-Interferon.
  • Weiterhin ist die fixe Kombination in die große fünfarmige Studie RECOVERY der Universität Oxford in UK einbezogen (Lopinavir/Ritonavir vs. Dexamethason vs. Hydroxychloroquin vs Azithromycin vs. Plazebo).
  • Unter den 22 Einträgen für COVID-19-Studien mit der Kombination von Lopinavir und Ritonavir in clinicaltrials.gov (12. April 2020) fällt eine vierarmige Studie im kanadischen Halifax ins Auge (NCT04321993). Diese untersucht die fixe Kombination gegen Hydroxychloroquinsulfat, den Januskinase-Inhibitor Baricitinib (Olumiant®) und den entzündungshemmenden und immunsuppressiven humanen monoklonalen Antikörper Sarilumab (Kevzara®), der die proinflammatorischen und immunmodulierenden Wirkungen des Zytokins IL-6 aufhebt. Auch für Baricitinib und Sarilumab wäre es ein „repurposing“, denn beide sind in der EU seit 2017 gegen rheumatoide Arthritis zugelassen. In die Studie, für die die Rekrutierung noch nicht begonnen hat, sollen insgesamt 1000 Patienten einbezogen werden. Als Studienende wird Juli 2021 angegeben.Eine offene Kohortenstudie mit 400 Patienten, die schon am 1. Juli 2020 abgeschlossen werden soll, vergleicht die Wirksamkeit der drei Antiviralia Arbidol, Oseltamivir und Lopinavir/Ritonavir miteinander (NCT04255017).

Was wird in China getestet?

Das chinesische Clinical Trials Register Interventionsstudien listet (Stand: 12. April 2020) rund zwanzig Studien,unter anderem mit folgenden Vergleichsmedikationen:

  • Lopinavir/Ritonavir vs. Standardbehandlung, (ChiCTR2000030187, ChiCTR2000030117 ChiCTR2000029539, ChiCTR2000029308),
  • Lopinavir/Ritonavir + Interferon gegen Standardbehandlung (ChiCTR2000031196),
  • Lopinavir/Ritonavir + rekombinantes Interferon alpha-2b vs. dieselbe Kombination + Arbidol (ChiCTR2000030854)
  • Lopinavir/Ritonavir vs. Carrimycin (ChiCTR2000029867)
  • Lopinavir/Ritonavir vs. Chloroquinphosphat (ChiCTR2000029609, ChiCTR2000029741
  • alpha-Interferon-Aerosol vs. Kombination mit Lopinavir/Ritonavir oder mit Favipiravir (ChiCTR2000029600)
  • Interferon alpha-1b + Ribavirin + vs. Interferon alpha-1b + Lopinavir/Ritonavir vs. Kombination aus allen dreien (ChiCTR2000029387)
  • Im Rahmen eines integrativen Ansatzes der westlichen und der traditionellen chinesischen Medizin wird daneben auch untersucht, ob die TCM-Zubereitung Qing-Wen Bai-Du-Yin zusätzlich zu Lopinavir/Ritonavir in Kombination mit humanem Interferon alpha-2b etwas bringt (ChiCTR2000030166).

Es ist schwierig bis unmöglich, aus diesem Flickenteppich an Prüfansätzen Voraussagen für die Wirksamkeit oder die Überlegenheit von Lopinavir/Ritonavir gegenüber anderen Wirkstoffen abzuleiten. Viele Studien rekrutieren gerade erst ihre Patienten. Manche haben noch nicht einmal damit begonnen. Hier ist also noch einiges an Geduld gefragt.

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Auch in Europa ist ein solcher Einsatz gegen COVID-19 möglich, bislang jedoch nur in Form eines individuellen Heilversuchs unter der Verantwortung des einzelnen Arztes.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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