Nahrungsergänzungsmittel aus Jettingen-Scheppach

St. Martins-Apotheke soll mit „sofortiger Vollziehung“ schließen

Stuttgart - 18.10.2019, 17:45 Uhr

Vor selbst hergestellten Präparaten in blauen Plastikdosen mit Etiketten wie dem abgebildeten warnte das Landratsamt Günzburg im September 2019. (b/Foto: Landratsamt Günzburg)

Vor selbst hergestellten Präparaten in blauen Plastikdosen mit Etiketten wie dem abgebildeten warnte das Landratsamt Günzburg im September 2019. (b/Foto: Landratsamt Günzburg)


Wie könnte Procain gefährlich werden?

Wer in letzter Zeit die Medien verfolgt hat, dem dürfte nicht der tragische Fall aus einer Kölner Apotheke entgangen sein, in dem – wahrscheinlich ohne Vorsatz – ein Glucosetoleranz-Test auf Schwangerschaftsdiabetes mit dem Lokalanästhetikum Lidocain verunreinigt wurde und zum tragischen Tod einer Schwangeren und ihres per Notkaiserschnitt geborenen Kindes führte. DAZ.online hat sich mit der Toxizität von Lidocain bei oraler Aufnahme auseinandergesetzt. Zwar geht es um zwei gänzlich unterschiedliche Fälle – doch auch im hier geschilderten Fall geht es (neben einem NEM aus Roter Reisschalenextrakt) um die potenzielle Gefahr eines Lokalanästhetikums bei oraler Einnahme: In den Präparaten aus der St. Martins-Apotheke sind laut Deklaration 200 mg Procainhydrochlorid enthalten. Könnte die tatsächlich enthaltene Dosis zu hoch sein, und wenn ja, welche Gefahren drohen bei Überdosierung?

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Wie gefährlich ist Lidocain?

Der Fachinformation von Procain 1% / 2% Jenapharm® ist zu entnehmen, dass eine Procain-Intoxikation (ähnlich Lidocain) in zwei Phasen verläuft:

1. Stimulation

  • ZNS: Periorale Missempfindungen, Gefühl der tauben Zunge, Unruhe, Delirium, Krämpfe (tonisch-klonisch)
  • Kardiovaskulär: Herzfrequenz erhöht, Blutdruck erhöht, Rötung der Haut

2. Depression

  • ZNS: Koma, Atemstillstand
  • Kardiovaskulär: Pulse nicht tastbar, Blässe, Herzstillstand.

Procain 1 % / 2 % Jenapharm® wird intrakutan oder subkutan injiziert. Eine intravenöse Injektion darf nur in besonderen Einzelfällen nach sorgfältiger Abschätzung von Nutzen und Risiko erfolgen. Die empfohlene Maximaldosis bei einzeitiger Anwendung in Geweben, aus denen eine schnelle Aufnahme von Wirkstoffen erfolgt, beträgt laut Fachinfo 500 mg Procainhydrochlorid. Bei Anwendung im Kopf-, Hals- und Genitalbereich beträgt die empfohlene einzeitige Maximaldosis 200 mg Procainhydrochlorid (innerhalb von 2 Stunden). Das Anwendungsgebiet („zur lokalen und regionalen Nervenblockade in der Schmerztherapie und im Rahmen neuraltherapeutischer Anwendungsprinzipien“) ist dabei natürlich ein anderes als bei oralem Procain, das in einem (vermeintlichen) Nahrungsergänzungsmittel enthalten ist.

Einem Artikel der Pharmazeutischen Zeitung aus dem Jahr 2000 ist aber zu entnehmen, dass Procain auch nach oraler Gabe gut resorbiert wird. DAZ.online konnte leider keine genaueren Daten zur oralen Bioverfügbarkeit von Procain finden. 200 mg Procain scheinen in diesem Zusammenhang dennoch, jedenfalls in einem Nahrungsergänzungsmitel, nichts zu suchen zu haben. 



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Apotheker

von Ingrid manhardt am 19.10.2019 um 21:04 Uhr

Ich verstehe das ganze nicht ist doch niemand zu Schaden gekommen.
Ich kann nur dazu sagen hatte im Jahr 2017 depressionen und dann brustkrebs.
Herr lyhs hat mir sehr geholfen und wenn es nur ein Gespräch war.
Ich glaube einfach dass da missgunst dahinter ist und man ihm das nicht Vergönnt dass er so beliebt ist.
Was machen jetzt die Kunden wie ich wo keine geeigneten Medikamente wieder bekommen.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Apotheker

von Cornelius Zink am 21.10.2019 um 15:27 Uhr

Sehr geehrte Frau Manhardt,

bisher scheint niemand zu Schaden gekommen zu sein. Allerdings legt der Inhalt des Artikels nahe, dass in den Apothekenräumen scheinbar sehr bedenkliche Zustände vorgefunden wurden. Mit etwas Pech könnten diese dazu führen, dass noch jemand zu Schaden kommt.

Die zuständige Behörde sollte hier natürlich vorsorglich eingreifen und nicht auf einen Schadensfall warten.
Ob Missgunst eine Rolle spielt oder nicht wird am Ende das Gericht bewerten müssen.

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