Opioid-Missbrauch in den USA

Weniger Tote, wenn Apotheker Naloxon abgeben dürfen

Remagen - 28.05.2019, 10:15 Uhr

Wenn  Apotheker Naloxon ohne Verschreibung verkaufen dürfen, sterben einer neuen Studie zufolge deutlich weniger Menschen an Überdosen. (s / Foto: imago images / Levine-Roberts)

Wenn  Apotheker Naloxon ohne Verschreibung verkaufen dürfen, sterben einer neuen Studie zufolge deutlich weniger Menschen an Überdosen. (s / Foto: imago images / Levine-Roberts)


Die Opioid-Krise ist in den USA seit Jahren ein großes Thema. Bei der Verminderung von Todesfällen durch Überdosierungen spielt die Verfügbarkeit von Naloxon eine große Rolle. In Bundesstaaten, in denen Apotheker das Antidot direkt ohne Verschreibung verkaufen dürfen, sterben deutlich weniger Menschen an Überdosen. Dies zeigt eine neue US-Studie.  

Gesetze, die es Apothekern ermöglichen, Naloxon direkt an Patienten zu verkaufen, sind mit einem Rückgang der Zahl der Todesfälle durch Überdosierung von Opioiden verbunden, berichten Forscher in JAMA Internal Medicine. Die Wissenschaftler von der William Paterson University in New Jersey und der RAND Corporation in Kalifornien bzw. Virginia stellen zunächst fest, dass vor 2010 nur wenige Staaten irgendeine Form von Gesetz zu Naloxon-Verschreibungen hatten. Bis zum Jahr 2016 hatten dann 47 Regelungen für die Abgabe des lebensrettenden Medikaments getroffen. Neun davon erlaubten es den Apothekern, Naloxon direkt an Patienten zu verkaufen. Die anderen hatten anderweitige Lösungen installiert.

Viele Todesfälle, wenig Naloxon-Verordnungen

Um die Auswirkungen dieser Naloxon-bezogenen Gesetze zu untersuchen, konsultierte das Studienteam mehrere Datenbanken wegen Zahlen zur Opioid-Mortalität, darunter die State Drug Utilization Data 2010 bis 2016, in denen Informationen über den ambulanten Arzneimittelverbrauch im Rahmen von Medicaid erfasst werden, sowie das National Center for Health Statistics System für den Zeitraum 2005 bis 2016.

Von 2005 bis 2016 wurden hohe monatliche Raten an tödlichen Überdosen verzeichnet. Die Autoren geben eine Zahl von 0,59 pro 100.000 Einwohner an. Die Quartalsrate von Medicaid-Verschreibungen für Naloxon war demgegenüber erheblich geringer. Sie lag zwischen 2010 und 2016 bei lediglich 0,046 pro 100.000 Leistungsberechtigten.

Weniger Todesfälle, aber mehr Notaufnahmen

Als die Forscher die durchschnittliche Zahl der Opioid-Todesfälle durch Überdosierungen in den Staaten für 2016 verglichen, fanden sie heraus, dass die Rate in Bundesstaaten, in denen die Apotheker Naloxon in eigener Regie verkaufen durften, um 27 Prozent niedriger war, als in Staaten, in denen dies nicht zulässig war. Außerdem stellten sie fest, dass die Besuche in den Notaufnahmen wegen nicht-tödlicher Überdosierungen in den Staaten, die einen Rückgang in Sterbeziffern beobachteten, zunahmen. Dieser Aspekt war als sekundärer Parameter untersucht worden.

Einfacher Zugang und gute Beratung

„Dies ist ein zusätzlicher Beweis dafür, dass Naloxon-Gesetze, die sich auf einen breiten Zugang in der Distribution konzentrieren, die mit Opioiden verbundenen Schäden wirksam reduzieren", betont die Ko-Autorin der Studie, Rosalie Liccardo Pacula, Senior Economist und Co-Director des Drug Policy Research Centers der RAND Corporation in Santa Monica, Kalifornien, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, die die Studie aufgegriffen hat. „Apotheken sind überall und bieten somit einen einfachen Zugang.“ Einen großen Vorteil sieht Pacula darin, dass die Apotheker mit den Patienten sprechen können, wenn diese ihre Rezepte für Opioide einlösen. „Die Apotheker interagieren regelmäßig mit den Patienten, wenn sie Opioide abholen", sagt die RAND-Forscherin. „Wenn ein Elternteil Opioide für sein Kind abholt, die es wegen einer Operation bekommt, hat der Arzt möglicherweise nicht mit dem Elternteil über die Risiken der Medikamente gesprochen. Auf diese Weise kann der Apotheker die Eltern für die mit Opioiden verbundenen Risiken sensibilisieren. “

Nur verschriebene Opioide erfassbar?

Der ärztliche Direktor des Pittsburgh Poison Center in Pennsylvania Michael Lynch, der nicht an der Studie beteiligt war, gibt gegenüber Reuters zu bedenken, dass dieser Ansatz vielleicht zu kurz greifen könnte. Die meisten Todesfälle durch Überdosierung von Opioiden seien in letzter Zeit nicht durch verschreibungspflichtige Medikamente ausgelöst worden. „Wie sollen Menschen, die nicht über ein Rezept an das Opioid herangekommen sind, erfahren, dass sie bei ihrem Apotheker Naloxon bekommen können?“, fragt Lynch. „Und wie kommt ein Apotheker dazu, einem Patienten Naloxon zu empfehlen, der kein Opioid-Rezept hat?“. Die Zunahme der Notaufnahmen halte Lynch für eine gute Sache, schreibt Reuters weiter. Zwar könne Naloxon eine Überdosis rückgängig machen, aber die Patienten müssten trotzdem von einem Arzt gesehen werden. Aus diesem Grund raten die Studienautoren den Staaten, in denen der Zugang zu Naloxon erleichtert wurde, auch dazu, sich auf eine Zunahme nicht-tödlicher Überdosierungen einzustellen, und die Patienten einer wirksamen Behandlung zuzuführen.

Verbreitung von Antidoten als wichtige Strategie

Der besorgniserregende Opioid-Missbrauch war in den USA in den letzten Jahren ein Dauerthema. Nun scheinen gesetzliche Veränderungen, verschärfte klinische Anwendungsrichtlinien sowie ein gestiegenes öffentliches Bewusstsein aber langsam Wirkung zu zeigen, wie aus einem aktuellen IQVIA-Report hervorgeht. Die gezieltere Verbreitung von Antidoten wie Naloxon gehört zu der „fünf-Punkte-Strategie“ des Centers for Disease Control and Prevention (CDC) für die Bekämpfung der Opioid-Krise. Diese beinhaltet außerdem einen besseren Zugang der Patienten zur Prävention, Behandlung und Rehabilitation, einschließlich der Arzneimittel-gestützten Therapie, eine Stärkung der Überwachung, die Unterstützung der Spitzenforschung zu Schmerz und Sucht und die Förderung einer besseren Praxis bei der Schmerzbekämpfung.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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