EMA erteilt PRIME-Status

Risdiplam: ein Saft gegen Spinale Muskelatrophie?

Stuttgart - 21.01.2019, 07:00 Uhr

Risdiplam könnte die erste orale Therapie der Spinalen Muskelatrophie sein. (Foto: solvod / stock.adobe.com)

Risdiplam könnte die erste orale Therapie der Spinalen Muskelatrophie sein. (Foto: solvod / stock.adobe.com)


Die EMA forciert die Forschung an Spinaler Muskelatrophie: Sie hat Risdiplam den PRIME-Status erteilt. Hält das Roche-Arzneimittel, was es verspricht, so wäre Risdiplam die erste orale Therapie bei Spinaler Muskelatrophie. Aktuell ist das einzige Arzneimittel bei SMA Nusinersen in Spinraza®. Wie wirkt Risdiplam und was bietet die Pipeline bei SMA?

Die Spinale Muskelatrophie (SMA) zählt zu den seltenen Erkrankungen und trifft etwa einen von 10.000 Menschen. Auf physiologischer Ebene kommt es bei SMA-Patienten zur Zerstörung von Motoneuronen im Vorderhorn des Rückenmarks. In der Folge kann der sensorische Impuls, der das Rückenmark über das Hinterhorn erreicht, nicht auf die motorischen Vorderhornzellen übertragen werden – die Muskulatur wird nicht aktiviert und atrophiert zunehmend. Grund hierfür ist, dass SMA-Patienten ein bestimmtes Protein, das Survival Motoneuron (SMN), zu wenig exprimieren, da ihnen das hierfür codierende Gen SMN1 fehIt oder dieses defekt ist.

Roche ist nicht der einzig rege Arzneimittelhersteller in Sachen Forschung bei Spinaler Muskelatrophie. Auch Novartis ist engagiert. Allerdings verfolgt Novartis – anders als Biogen mit Nusinersen oder Roche mit Risdiplam – einen völlig anderen therapeutischen Ansatz, und zwar einen kausalen. Bislang kann die Progression der SMA bei Erkrankten durch Nusinersen verzögert werden, und auch Risdiplam ist, so die Zulassung erfolgt, „lediglich“ eine disease-modifying therapy. Ohne den Wert dieser Therapien zu schmälern – eine Heilung bringen sie nicht.

In der Nähe des Genortes für SMN1 liegt ein weiteres für SMN codierendes Gen: SMN2. Es ist für geringe Mengen des Survival-Monoteuron-Proteins verantwortlich. Die Schwere und schlechte Prognose der Spinalen Muskelatrophie hängen neben einem jungen Alter bei Symptombeginn auch mit einer niedrigen Anzahl dieser SMN2-Gen-Kopien zusammen.

Einziges Arzneimittel bei SMA derzeit Nusinersen

Eine Heilung der Erkrankung ist derzeit nicht möglich, auch die therapeutischen Optionen sind mit Nusinersen in Spinraza® (Biogen) mehr als überschaubar. Nun könnte sich das Spektrum bei der medikamentösen Behandlung von SMA erweitern, mit Risdiplam. Den therapeutischen Bedarf bei SMA sieht auch die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA: Sie hat dem Risdiplam aus dem Hause Roche nun den PRIME-Status (PRIority MEdicine) erteilt.

Wie wirkt Risdiplam?

Risdiplam zählt zu den niedermolekularen Arzneistoffen, den sogenannten small molecules. Als orales Arzneimittel verabreicht, fungiert Risdiplam als Spleißmodifikator, der die Bildung von funktionsfähigem SMN-Protein auf Basis des SMN2-Gens erhöht. „Dadurch soll dem Niedergang von Motoneuronen und dem fortschreitenden Muskelschwund bei SMA entgegengewirkt werden", erklärt Roche die Wirkung. Derzeit prüft der Schweizer Pharmakonzern Risdiplam in drei multizentrischen Studien bei Menschen mit SMA, den Fish-Studien:

  • FIREFISH: eine Open-Label-Studie mit SMA Typ I bei Säuglingen im Alter von 1-7 Monaten.
  • SUNFISH: eine doppelblinde, placebokontrollierte Studie mit Kindern und jungen Erwachsenen (2-25 Jahre) mit SMA Typ II und III.
  • JEWELFISH: eine offene explorative Studie mit Patienten im Alter von 6 Monaten bis 60 Jahren mit SMA Typ II oder III, die zuvor im Rahmen einer klinischen Studie mit einer SMN-Targeting-Therapie oder Olesoxime behandelt wurden.
  • Eine neue Studie, RAINBOWFISH bei präsymptomatischer SMA, wird bis Anfang 2019 initiiert.

Was ist der Unterschied von Risdiplam zu Nusinersen?

Nusinersen und Risdiplam unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Applikationsschemata. Risdiplam ist ein oral verfügbarer Wirkstoff, der über genetische Mechanismen die Menge des SMN-Proteins erhöhen kann. Nusinersen hingegen erhalten die Patienten intrathekal. Genau darin liegt nach Ansicht von Roche auch ein wertvoller Vorteil von Risdiplam. „Eine intrathekale Verabreichung birgt potenziell mehr Risiken als eine orale Verabreichung und die Patienten müssen dazu in ein entsprechendes Behandlungszentrum, eine orale Gabe kann zuhause erfolgen. Bei Patienten mit Sekundärkomplikationen der SMA (wie Skoliose und Beschwerden bei der Atmung) kann die Applikation zusätzlich erschwert sein", erklärt Roche auf Nachfrage von DAZ.online beim Neuroscience Forum im November 2018 in Mannheim.

Die Pipeline bei SMA

Dies könnte mit Novartis` Zolgensma (AVXS-101, Onasemnogene abeparvovec-xxxx) allerdings in greifbare Nähe rücken: Zolgensma greift auf Ebene des defekten Gens ein. 

Heilung der SMA 1 durch Gentherapie mit Zolgesma?

Als einmalige Infusion soll Zolgensma das fehlende oder defekte SMN1-Gen durch eine funktionelle Kopie ersetzen, so dass das SMN-Protein wieder selbstständig vom Körper produziert werden kann. Bislang hat Novartis für sein Gentherapeutikum allerdings nur Zulassungsanstrengungen in den Vereinigten Staaten unternommen. Die EMA erteilte Zolgensma bislang, wie auch Risdiplam, den PRIME-Status, das jedoch bereits im vor zwei Jahren (Januar 2017). In den USA ist man schon ein Stück weiter. Dort gewährte die FDA Zolgensma bereits den Breakthrough-Status, akzeptierte im Dezember 2018 den Zulassungsantrag und räumte der Gentherapie ein Priority-Review-Verfahren ein. Allerdings nur für die schwerste Form der SMA, die SMA I.

Zolgensma-Kosten: zwischen vier und fünf Millionen US-Dollar

Klappt alles mit der FDA-Zulassung – diese erwartet Novartis bis Mai 2019 – so werden wahrscheinlich Diskussionen um die Kosten der Behandlung mit Zolgensma nicht ausbleiben. Nach Angaben von Reuters soll die einmalige Therapie mit dem Gentherapeutikum zwischen vier und fünf Millionen US-Dollar kosten. Allerdings ist Nusinersen in Spinraza®, rein von den Behandlungskosten gesehen, nicht gerade günstig: Die Therapie mit Nusinersen kostet im ersten Jahr laut G-BA-Rechnung 621.354 Euro. Im zweiten Jahr rechnet der Gemeinsame Bundesausschuss noch mit 310.677 Euro an Therapiekosten. Diese Diskrepanz ist dem Applikationsschema geschuldet: Die empfohlene Dosis beträgt 12 mg pro Anwendung. Nach vier Aufsättigungsdosen zu Behandlungsbeginn an den Tagen 0, 14, 28 und 63 folgen Erhaltungsdosen mit viermonatigem Abstand.

Fürchtet Roche die Gentherapie?

Die Frage, ob bei Zulassung und Erfolg von Zolgensma Arzneimittel wie Nusinersen oder potenziell in naher Zukunft auch Risdiplam überflüssig werden, scheint berechtigt. Allerdings würde Zolgensma nur bei SMA I eingesetzt, Risdiplam hingegen wird auch an weniger schweren SMA-Typen untersucht. Auf Nachfrage von DAZ.online erklärt Roche: „Gentherapien können aufgrund der viralen Bestandteile in der Regel nur einmal (zum Beispiel bei SMA als Infusion) verabreicht werden, da der Körper dann eine Immunantwort entwickelt, die mit weiteren Gaben interferiert. Wie nachhaltig Gentherapien wirken, hängt von vielen Faktoren ab. Da sich diese aktuell noch in der Entwicklung befinden, sind aktuell keine ausreichend belegbaren Aussagen zur Wirksamkeit zu machen. "

Was ist Spinale Muskelatrophie?

Spinale Muskelatrophie

Bei der Spinalen Muskelatrophie korreliert der Schweregrad der Erkrankung unter anderem damit, wie jung der Patient bei Symptombeginn ist.

Die Erkrankung beeinträchtigt alle Muskeln des Körpers, meist sind die proximalen Muskeln (Schulter-, Hüft- und Rückenmuskulatur) am schwersten betroffen. Auch die Kau- und Schluckmuskulatur kann atrophisch funktionell eingeschränkt sein.

Durch die Beteiligung der Atemmuskulatur, fällt den Patienten eine ausreichende Sauerstoffaufnahme schwer oder ist unmöglich. Häufige Infektionen der Atemwege und Pneumonien verschärfen die Ateminsuffizienz und zeichnen vor allem bei der schwersten Form der SMA, der infantilen, für den frühen Tod der Patienten verantwortlich.

Es gibt unterschiedliche Ausprägungen der SMA: Typ I, II, III, IV. Bei der schwersten Form, der akut infantilen SMA, beginnt die klinische Symptomatik bereits im Mutterleib oder wird innerhalb der ersten drei Lebensmonate des Kindes diagnostiziert. Die Kinder lernen nie, eigenständig zu sitzen und sterben sehr früh an Ateminsuffizienz oder an sekundären Atemwegsinfektionen, meist während ihrer ersten zwei Lebensjahre.

Typ-II-SMA diagnostizieren Ärzte meist vor Erreichen des zweiten Lebensjahres. Die Kinder können selbstständig sitzen, haben meist jedoch Schwierigkeiten die Sitzposition einzunehmen. Stehen ist teilweise mit Unterstützung von Orthesen möglich. Häufig atmen die Kinder flach, hauptsächlich mit dem Zwerchfell, da die Zwischenrippenmuskulatur schwach ausgeprägt ist. Das kann Schwierigkeiten beim Abhusten oder mit der ausreichenden nächtlichen Sauerstoffversorgung mit sich bringen.

Die juvenile Form der SMA oder TYP-III-SMA variiert im Beginn. Der Diagnosezeitraum liegt bei einem Jahr oder im Jugendalter der Patienten. Selten haben die Kinder mit juveniler SMA Schwierigkeiten beim Essen oder Schlucken, Laufen ist möglich. Allerdings kann mit Progredienz der Erkrankung diese Fähigkeit eingeschränkt werden. Nicht immer klappt Rennen.

Bei der Erwachsenenform der SMA (Typ IV) zeigen sich Symptome nach dem 35. Lebensjahr. Diese Form hat die günstigste Prognose, ist jedoch am seltensten verbreitet. Der Verlauf ist sehr langsam, Einschränkungen beim Atmen oder Schlucken haben diese Patienten in aller Regel nicht.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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