Entwurf für Gesetzesänderung vorgelegt

Referenzpreissystem in der Schweiz: Jetzt wird es ernst

Remagen - 21.09.2018, 09:00 Uhr

System in Gefahr? Die Einführung eines Referenzpreissystems für Arzneimittel in der Schweiz gefährdet nach Meinung vieler die Versorgung. ( r / Foto: D.Gruber / stock.adobe.com)

System in Gefahr? Die Einführung eines Referenzpreissystems für Arzneimittel in der Schweiz gefährdet nach Meinung vieler die Versorgung. ( r / Foto: D.Gruber / stock.adobe.com)


Am vergangenen Freitag hat der Schweizer Bundesrat den angekündigten Entwurf für eine Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) vorgelegt. Damit geht die Kostendämpfung bei Arzneimitteln nun konkret in die nächste Runde. Auf der Agenda stehen Maßnahmen zu einer verschärften Kontrolle der Ausgaben für die Vertriebskanäle sowie die Einführung eines Referenzpreissystems. Eine Allianz unter großer Beteiligung der Apothekerschaft schießt dagegen.

Im Frühjahr 2018 hatte der Schweizer Bundesrat ein auf einem Expertenbericht zur Entlastung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) basierendes Kostendämpfungsprogramm verabschiedet und sein Innenressort (EDI) gebeten, die neuen Maßnahmen in Form von zwei Paketen bis Herbst 2018 bzw. Ende 2019 zu prüfen und umzusetzen. Am letzten Freitag wurde nun das erste Paket verabschiedet und in die „Vernehmlassung“ geschickt.

Referenzpreissystem als Herzstück der Reform

Über eine Teilrevision des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) sollen längerfristige Einsparungen von mehreren hundert Millionen Franken pro Jahr möglich sein. Die Vorlage beinhaltet zwölf Maßnahmen zur Kostendämpfung. Zu acht werden Gesetzesanpassungen vorgeschlagen. Ein Schwerpunkt ist die Einführung eines Experimentierartikels, der innovative und kostendämpfende Projekte außerhalb des „normalen“ Rahmens des KVG ermöglichen soll. Weiterhin sind Regelungen im Bereich Tarife und Kostensteuerung geplant. Dabei geht es um die Förderung von Pauschalen im ambulanten Bereich, die Einführung einer nationalen Tariforganisation im ambulanten Bereich, die Verpflichtung der Tarifpartner zur Datenlieferung an den Bundesrat für die Festlegung, Anpassung und Genehmigung von Tarifen sowie die Vereinbarung von Maßnahmen zur Steuerung der Kosten medizinischer Leistungen. Außerdem soll die Rechnungskontrolle durch die Versicherer und Versicherten gestärkt werden. Das Herzstück der Reform ist jedoch die Einführung eines Referenzpreissystem für patentabgelaufene Arzneimittel. Dies ist schon länger in Planung und hatte sich schon vor Monaten heftigen Widerstand ausgelöst.

Breite Allianz will dagegen halten

Bei einer Pressekonferenz von IQVIA Schweiz zeigte nun eine breite Allianz seltene Geschlossenheit. Sie besteht aus dem Schweizerischem Apothekerverband pharmaSuisse, dem Verband der Ärzte mit Patientenapotheke (APA), den Verbänden des Großhandels (pharmalog.ch) und der Generikaindustrie (Intergenerika) sowie dem Schweizerischen Verein der Amts- und Spitalapotheker (GSASA), der Vereinigung der Gruppierungen unabhängiger Apotheken (VGUA) und dem Verein für die unabhängige Apotheke (IFAK). Außerdem ist auch ein Zusammenschluss von sechs Pharma-Unternehmen, die in der Schweiz entwickeln, herstellen und hauptsächlich für den Schweizer Gesundheitsmarkt anbieten (IG Schweizer Pharma KMU) mit im Boot. 

Apothekerpräsident Vaucher sieht schwarz

Die Allianz beklagt, dass der Schweizer Bundesrat zur Dämpfung des Prämienwachstums im Gesundheitswesen zum wiederholten Male den Hebel bei der Versorgungssicherheit durch Apotheken, Spitalapotheken und Hausärzten ansetzt. Das sei umso unverständlicher, als gerade in diesem Bereich in den vergangenen Jahren schon mehrere hundert Millionen Franken eingespart worden seien. Dies konnte Gregor Pfister, Associate Director von IQVIA Schweiz, mit Zahlen belegen. Statt der vom BAG geschätzten 60 Millionen Franken habe die letzte Preissenkungsrunde mehr als 190 Millionen Franken eingefahren, erläuterte Pfister. In diesem Jahr bedeute das für die Vertriebskanäle für Arzneimittel Einsparungen von über 40 Millionen, dreimal so viel wie geplant. 

Bereits jetzt setze die jährliche Anpassung der Medikamentenpreise sämtliche Akteure, die Medikamente abgeben oder vertreiben, stark unter Druck, so die Kritik der Betroffenen. Die Kostendeckung aus dem geregelten Vertriebsanteil verringere sich von Jahr zu Jahr, bei steigenden Kosten für Personal, Mieten oder Infrastruktur. Laut pharmaSuisse-Präsident Fabian Vaucher bringt dies jede vierte Apotheke in wirtschaftliche Bedrängnis und verschärft die Situation existenzbedrohter Apotheken zusätzlich. Würden die Maßnahmen effektiv eingeleitet, sieht Vaucher schwarz: „Die Anpassungen im Preismodell werden nicht nur die Sortimentsvielfalt in den Apotheken drastisch reduzieren, sondern im schlimmsten Fall auch zu Schließungen von Apotheken auf dem Lande und im Quartier führen, mit klaren Folgen für die Grundversorgung und die Patienten“, befürchtet er. 

500 Millionen Franken Einsparungen durch andere Lösungsvorschläge

Die breite Allianz kritisiert die geplanten Revisionen zwar scharf, meckert aber nicht nur. Sie präsentiert auch Lösungsvorschläge, die sie gemeinsam mit dem BAG weiter ausarbeiten und umsetzen will. Wie Vaucher bei der Presskonferenz darlegte, sollten sich durch eine bessere Generikadurchdringung 150 Millionen Franken an Einsparungen erzielen lassen, und weitere 100 Millionen durch ein effektives Preisbildungs- oder Festsetzungsmodell. Dabei hat er die drei umsatzstärksten Medikamentengruppen (Immunsuppressiva, Krebsmedikamente, Antiviralia) im Visier, die im Jahr 2016 28 Prozent der gesamten Medikamentenkosten verursachten, bei gerade mal 1,8 Prozent der Bezüge. 50 Millionen Franken könnten zudem durch Abgabe von Biosimilars gespart werden, vermutet er. Einen besonderen Beitrag zur Kostendämpfung leisteten die Apotheker durch Verstärkung der Therapietreue chronisch kranker Patienten, betonte Vaucher weiter. Hierfür stünden noch einmal 100 Millionen an Minderausgaben zu Buche, ebenso wie für die Vermeidung von Arzneimittelabfällen, etwa durch Beratung und die Abgabe adäquater Packungsgrößen. Gemäß Bundesrat landen Medikamente im Wert von mittlerweile 500 Millionen Franken jährlich im Abfall. Das Einsparpotential von 100 Mio. Franken hält er deshalb für realistisch. Macht Summa Summarum ein Einsparvolumen in Höhe von 500 Millionen Franken. 

Die Vernehmlassung für das erste Maßnahmenpaket dauert bis zum 14. Dezember 2018. Spätestens bis Ende 2019 soll der Bundesrat das zweite Maßnahmenpaket in die Anhörung schicken. Schwerpunkte sollen die Bereiche Arzneimittel, angemessene Versorgung und Transparenz sein.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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