Verbrechen der NS-Zeit

Stolperstein für Apotheker Adolf Mockrauer

Berlin - 23.06.2018, 08:00 Uhr

Stolperstein
zum Gedenken an Adolf Mockrauer, jüdischer Apotheker aus Berlin-Britz, der
durch die Verbrechen der NS-Zeit in den Tod getrieben wurde. (Foto: Inken Rutz)

Stolperstein zum Gedenken an Adolf Mockrauer, jüdischer Apotheker aus Berlin-Britz, der durch die Verbrechen der NS-Zeit in den Tod getrieben wurde. (Foto: Inken Rutz)


Mahnung gegen das Vergessen: Am 16. Juni 2018 wurde in Gedenken an den jüdischen Apotheker Adolf Mockrauer vor der ehemaligen Albrecht-Dürer-Apotheke in Berlin-Britz ein neuer Stolperstein gesetzt. Der Leiter der Apotheke wurde aufgrund seines jüdischen Glaubens während des Nationalsozialismus verfolgt – und nahm sich 1940 im chilenischen Exil aus Verzweiflung das Leben. Sein Schicksal steht beispielhaft für die Vertreibung und Vernichtung jüdischen Lebens in der NS-Zeit.

Stolpersteine dienen dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Das seit 1996 existierende Projekt des Künstlers Gunther Demning wendet sich gegen das Vergessen und lässt ansonsten ahnungslos gebliebene Passanten im übertragenen Sinne über fremde Schicksale stolpern. Der am 16. Juni in Berlin-Britz gesetzte Stolperstein dient dem Gedenken an den jüdischen Apotheker Adolf Mockrauer. Die kleinen Messingtafeln werden jeweils niveaugleich zum Straßenbelag vor dem letzten frei gewählten Wohnort der Opfer eingelassen. Im Falle des Apothekers Mockrauer handelte es sich um das Wohn- und Geschäftshaus in der ehemaligen Rudower Allee 86, heutzutage Buschkrugallee 179.

„Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, zitiert Gunter Demnig auf der Website „Stolpersteine“ den Talmud.

Eines ist klar: An das Grauen des Nationalsozialismus und die damit verbundenen Schicksale kann nicht häufig genug erinnert werden. Stolpersteine bieten einen Moment des Innehaltens – und wirken dem Vergessen entgegen. So gibt die Inschrift des neu verlegten Steines erste Auskunft über das Schicksal des Britzer Apothekers: „Hier wohnte Adolf Mockrauer. JG. 1868. Flucht 1939. Chile. Flucht in den Tod. 16.9.1940.“ Doch wie war das Schicksal Mockrauers mit dem Grauen der NS-Zeit verbunden? Und warum war seine Flucht nach Chile letztlich nicht die erhoffte Rettung?

Adolf Mockrauer – Apotheker in Berlin-Britz

Informationen über das Leben Adolf Mockrauers archiviert das Museum Neukölln in Berlin. Der Homepage des Museums können die wichtigsten Stationen seines Lebens entnommen werden: Mockrauer, geboren 1868 in Tost (Schlesien), dem heutigen polnischen Toszek, eröffnete am 10. November 1928 im Alter von 60 Jahren die Albrecht-Dürer-Apotheke in Berlin-Britz. Das Haus aus den 1920er-Jahren war auch der Wohnort Mockrauers. Er wohnte in einer Wohnung oberhalb der Apotheke. Der Apotheker sei beliebt und seine Apotheke stark frequentiert gewesen.

Mit Beginn der NS-Zeit verschlechterten sich Stück für Stück die Bedingungen für den jüdischen Apotheker. Er wurde zunehmend schikaniert: So wurden ihm aufgrund vermeintlicher Beschwerden die Apothekenräume und die Wohnung gekündigt. Ausgerechnet der Übernahme der Pacht der Apotheke durch das NSDAP-Mitglied Johannes Büker verdankte Mockrauer, dass er als Geschäftsführer weiterhin in der Apotheke arbeiten konnte. Für die Britzer änderte sich also zunächst nichts. Doch mit Fortschreiten der Repressalien gegen die jüdische Bevölkerung sollte sich das bald ändern.

Reichspogromnacht – Zerstörung und Schrecken auch in Britz

Der Schrecken kam auch nach Britz: In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, der Reichspogromnacht, wurde die Apotheke von Neuköllner SA-Leuten gestürmt und Scheiben und Einrichtung zerstört. Adolf Mockrauer wurde verprügelt und gedemütigt. Den Berichten nach sind Anwohner dem Apotheker zur Hilfe geeilt und hätten so Schlimmeres verhindert. Dennoch sei der materielle Schaden erheblich gewesen. Neben allem Materiellen steht aber auch der physische und seelische Schmerz, der nicht beziffert werden kann. 

Der Journalist und Politiker Hanns-Peter Herz (1927-2012), damals 11 Jahre alt, erzählte immer wieder als ein von den Medien vielgefragter Zeitzeuge eindrücklich von den damaligen Ereignissen: „Diese Apotheke war völlig zerstört, die Scheiben eingeschlagen, alle Regale zerhackt, alle Medikamente zertreten, überall lagen Glassplitter von den Röhrchen, ja es war ein Bild, wie man es später nach Bombenangriffen häufiger gesehen hatte. An den Wänden stand: Juden raus!“ Auch an Adolf Mockrauer erinnerte sich Herz genau: „Mockrauer stand hilflos zwischen den Trümmern seiner Apotheke. Er sah fürchterlich aus, das Gesicht war von Schlägen entstellt, vorn fehlten ihm mehrere Zähne.“

Flucht nach Chile

Die Nacht zum 10. November 1938 und ihre Folgen waren ein Grund für die Entscheidung, nach Chile ins Exil zu gehen. Mockrauer verlor durch diese Ereignisse – und zudem durch die sogenannte „Judenvermögensabgabe“ – sein Vermögen. Es folgten weitere Einschränkungen wie der Entzug der Approbation und ein generelles Beschäftigungsverbot für Juden in Apotheken. Mockrauer sah keine Zukunft mehr in Deutschland und entschied sich zur Flucht.

Chile schien damals das richtige Ziel zu sein. Schon 1938 wurden dort durch die damalige linksgerichtete und antifaschistische Volksfrontregierung bisherige rigide Einwanderungsgesetze für Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland außer Kraft gesetzt. So schien Chile auch für Mockrauer eine gute Chance für einen Neuanfang zu bieten. Ohne weitere Auflagen konnte er ein chilenisches Visum erlangen und letztlich im März 1939 nach Abgabe seines restlichen Besitzes ausreisen. In Chile lebte Mockrauer in Quilpué in der Provinz Valparaíso. 

Flucht in den Tod

Die Bedingungen für einen Neustart waren für den damals schon 71 Jahre alten Apotheker alles andere als einfach. Seine Approbation wurde nicht anerkannt. Zudem sollen seine Spanischkenntnisse nur mangelhaft gewesen sein. Verstärkt wurde die verzweifelte Situation durch eine Veränderung der gesellschaftlichen Stimmung in Chile: Zunehmend wurde von faschistischen Kreisen gegen die Geflüchteten Stimmung gemacht. Deutschchilenische Kolonisten, die sich teilweise das antisemitische Gedankengut der Nationalsozialisten angeeignet hatten, gewannen an Einfluss und sollen auch Mockrauer das Leben zur Hölle gemacht haben. Was auch immer genau geschehen war, die Verzweiflung war offensichtlich zu groß: Am 16. September 1940 nahm sich Adolf Mockrauer in Quilpué das Leben.



Inken Rutz, Apothekerin, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

DAZ.online-Miniserie „Jüdische Apotheker“ (4)

Versuche der Wiedergutmachung

DAZ.online-Miniserie „Jüdische Apotheker“ (2)

Von der Reichspogromnacht bis zum Berufsverbot

DAZ.online-Miniserie „Jüdische Apotheker“ (3)

Geschichten von Flucht und Vernichtung

DAZ.online-Miniserie „Jüdische Apotheker“ (1)

Der lange Weg der Emanzipation

Auch SS-Apotheker hielten das mörderische System am Laufen

Vor 70 Jahren wurde Auschwitz befreit

1 Kommentar

Stolperstein

von Alexander Zeitler am 25.06.2018 um 1:21 Uhr

wir müssen nicht nach Chile. Ganz in unserer Nähe lebte der Auschwitz-Apotheker CAPESIUS:
Sehr schnell hatte der nach dem Krieg wieder eine Drogerie und später dann
auch eine Apotheke.
Unfassbar
Nachzulesen : Dieter Schlesak
Capesius der Auschwitzapotheker ISBN 3-8012-0369-7

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.