Baden-Württemberg

Stellt die AOK Wirtschaftlichkeit über Patientensicherheit?

25.08.2017, 18:00 Uhr

Sevofluran Piramal: Günstiger als Sevorane – und besser, gleichwertig oder schlechter? (Foto: Piramal)

Sevofluran Piramal: Günstiger als Sevorane – und besser, gleichwertig oder schlechter? (Foto: Piramal)


Die Stuttgarter Zeitung hat über einen Anästhesisten berichtet, der die Arzneimittel-Versorgung für den Sprechstundenbedarf mit dem Wirkstoff Sevofluran in Frage stellt. Dem Arzt zufolge wurden Anästhesisten von der AOK Baden-Württemberg dazu angehalten, anstelle von Sevorane® von Abbvie das Generikum Sevofluran® Piramal zur Narkose einzusetzen – das ist laut Kasse rund 100 Euro günstiger. Der Arzt bescheinigt dem Medikament aber „sehr problematische Eigenschaften“. Die GKV droht wohl mit Regressen, müssen auch Apotheker mit Retaxationen rechnen? DAZ.online hat mit Abbvie, der AOK und Piramal geredet.

Große Aufregung gab es diese Woche wegen eines Artikels in der Stuttgarter Zeitung (SZ): „Stuttgarter Ärzte schlagen Alarm“ – ein Anästhesist kritisiert die Abrechnungspolitik der GKV im Sprechstundenbedarf aufs Schärfste. Im konkreten Fall geht es um ein Anästhetikum mit dem Wirkstoff Sevofluran. Seit 2014 hat neben dem Original-Anbieter Abbvie mit Sevorane® auch der generische Pharmahesteller Piramal die Zulassung für das Narkotikum: Piramal vertreibt das Fertigarzneimittel als Sevofluran® Piramal – und bietet es günstiger an als Abbvie ihr Sevorane.

Große Aufregung vor allem auch bei den „Beschuldigten“ des SZ-Artikels: Auf Nachfrage von DAZ.online äußert sich ein Mitarbeiter der AOK, der Artikel sei „schlampig recherchiert“, auch Piramal findet den „Artikel unsinnig“. Was stimmt nun? Wer hat Recht? Der Anästhesist oder doch die AOK, die in Baden-Württemberg den Sprechstundenbedarf für die GKV abrechnet, und Piramal? 

Zum Hintergrund: Was stört den Anästhesisten?

„Die gesetzlichen Krankenkassen möchten Geld sparen“, sagt der Stuttgarter Anästhesist in der SZ. Die GKV versuche durch „hohe Regresse“ die Ärzte zu zwingen, anstelle von Sevorane das 100 Euro günstigere Sevofluran von Piramal einzusetzen. Dieses sei für die in der ambulanten Praxis gängige Narkose via Rachenmaske jedoch nicht zugelassen. Entscheiden sich Anästhesisten dennoch für diese Art der Narkose, handeln sie klassischerweise „off-label“. Wenn etwas passiere, hafte er als Narkosearzt dafür, erklärt der Stuttgarter Anästhesist den Lesern der SZ. Hat das Generikum tatsächlich keine Zulassung für die in der Ambulanz gängige Narkosepraxis?

Zulassungsunterschiede bei Sevorane und dem Generikum?

In der Fachinformation von Piramal für Sevofluran heißt es: „Sevofluran wird entweder über eine Gesichtsmaske oder einen Endotrachealtubus verabreicht.“ Das Original Sevorane eignet sich laut Fachinformation „zur Einleitung und Aufrechterhaltung einer Inhalationsnarkose“ – was sowohl die Gesichts- als auch Larynxmaske umfasst. Also doch ein Unterschied? Woher stammen diese unterschiedlichen Formulierungen, wenn ein generisches Arzneimittel doch immer bezugnehmend auf das Originalpräparat erfolgt? Dieser Umstand ist laut Piramal den Zulassungsmodalitäten geschuldet. Je nachdem, welches Land der Unternehmer als „lead-country“ für die EU-weite Zulassung wählt, können daraus unterschiedliche Formulierungen in den informierenden Texten resultieren. Im Falle von Sevofluran Piramal war das „lead-country“ UK.

Warum senkt Abbvie den Sevorane-Preis nicht?

DAZ.online hat sich auch die Preise der beiden Sevofluran-haltigen Arzneimittel angeschaut. Es gibt keinen Festbetrag zu Sevofluran. Wäre dies der Fall, wäre auch die Erstattung eine einfache Sache – denn: Die GKV zahlt den Festbetrag. Derzeit listet die Lauer-Taxe Sevorane mit 215 Euro und Sevofluran® Piramal mit 150 Euro. Bezogen auf den Apotheken-Verkaufspreis beträgt die Differenz also mittlerweile „nur“ noch 65 Euro.

Neben der Erstattung des höherpreisigen Arzneimittels seitens der GKV, besteht auch die Möglichkeit, dass Abbvie den Preis für sein Narkosemittel Sevorane® entsprechend nach unten korrigiert. Wie reagiert Abbvie auf diesen Vorschlag? „Erst zum 1. Juli 2017 wurde der Preis von Sevorane® von 279,73 Euro auf 215 Euro (AVP) gesenkt. Dies ist aus unserer Sicht ein angemessenes Kosten-Nutzen-Profil“, erklärt Abbvie hierzu. Auch Piramal hat seine Preise zum am 1. August 2017 angepasst.

Wo produzieren die pharmazeutischen Unternehmer?

Der Stuttgarter Anästhesist bewertet im SZ-Artikel außerdem kritisch, dass „das Mittel der Firma Piramal in Mumbai produziert wird“. Nach den Zwischenfällen in jüngster Zeit über den „Medikamentenpfusch dort wird man im höchsten Maße misstrauisch“, begründet er seine Skepsis. Diese Behauptung entkräftet der generische Hersteller Piramal gegenüber DAZ.online. „Piramal produziert Sevofluran in den Vereinigten Staaten, in Pennsylvania“. Das Originalpräparat Sevorane® lässt Abbvie in Italien und UK herstellen. 

Wie validiert man die Nase eines Anästhesisten?

Am schärfsten kritisiert der Anästhesist die Verpackung. Diese schütze beim Generikum nicht, wie bei Sevorane®, vor einer Zersetzung des Sevoflurans. Aus Sevofluran kann Flusssäure entstehen. Abbvie bestätigt das: „Unter sehr ungünstigen Umständen können Lewis-Säuren (zum Beispiel Metallkationen aus Verunreinigungen und/oder schadhaften Behältnissen) eingetragen werden und die Zersetzung von Sevofluran zu Flußsäure auslösen. Zum Schutz vor umgebenden Lewis-Säuren werden Sevorane® 300 bis 1000 ppm Wasser als Stabilisator zugesetzt“, erklärt Abbvie gegenüber DAZ.online.

Piramal hingegen empfehle – so der Anästhesist – im Sicherheitsdatenblatt eine Geruchsprobe. Das wäre in der Tat aus arbeitsschutzrechtlichen Gründen grotesk, gleichermaßen unzuverlässig, da sich die Nase eines Anästhesisten schlecht validieren lässt. Was sagt Piramal zu den Vorwürfen? Piramal hat das Sicherheitsdatenblatt zum Wirkstoff Sevofluran freiwillig und in Zusammenarbeit mit dem TÜV Nordrhein erstellt. Das Sicherheitsdatenblatt bezieht sich jedoch nicht auf das Fertigprodukt Sevofluran® Piramal, das als Fertigarzneimittel ein solches nicht fordert. „Das Chemikaliengesetz, das Arzneimittelgesetz und der Arbeitsschutz sind nicht harmonisiert", erklärt Piramal auf Nachfrage. Das Arbeitsrecht verlange allerdings teilweise ein solches. Der generische Unternehmer stellt dieses Krankenhäusern und ambulanten Op-Zentren auf Nachfrage zur Verfügung, so diese das für ihr internes Qualitätsmanagement-System (QMS) benötigen. Also keine Schnupperprobe am Sevofluran-Fläschchen vor der Op.

Hat die GKV Regresse ausgesprochen?

„Die GKV hat keine Regresse gegen Ärzte ausgesprochen“, stellt die AOK gegenüber DAZ.online die Kritik des Anästhesisten klar. Dieser hatte in der SZ geäußert: „Für das Jahr 2016 soll ich 20.000 Euro zahlen.“ Bislang seien, so die AOK, lediglich Prüfanträge bei den gemeinsamen Prüfungseinrichtungen gestellt. Ob diesen stattgegeben wird oder nicht, diese Entscheidung stehe noch aus. Auch trifft nicht die AOK allein diese Entscheidung. Vertreter der Kassenärzte und Krankenkassen besetzen die Prüfungsstelle.

Müssen Apotheken Retaxen fürchten?

Auch beim Sprechstundenbedarf  hat „der Arzt immer die Möglichkeit, im Einzelfall das Arzneimittel seiner Wahl zu verordnen“, räumt die AOK ein. „Wurde Sevorane korrekt verordnet und korrekt beliefert und abgerechnet, kann es auch keine Retaxationen geben“, erklärt die AOK. 

Stellt die AOK Wirtschaftlichkeit über Patientensicherheit?

Diese Frage der Priorisierung Wirtschaftlichkeit oder Patientensicherheit stellt sich nach Ansicht der AOK „gar nicht“. „Wirtschaftlich ist ein Arzneimittel dann, wenn es bei gleicher Qualität und gegebener Patientensicherheit zu einem günstigeren Preis als das Konkurrenzprodukt angeboten wird“, sagt die AOK.

In keinem Fall seien von den zuständigen Aufsichtsbehörden Nachteile des Generikums Sevofluran Piramal gegenüber dem wirkstoffidentischen Originalpräparat Sevorane festgestellt worden. Bedenken hinsichtlich der Sicherheit des Packmaterials oder bezüglich der Anwendung von Sevofluran Piramal mittels Larynxmaske habe man nicht nachweisen können – „sonst wäre Sevofluran Piramal nicht zugelassen worden“, begründet dei AOK. Die AOK verweist und vertraut in diesen Punkten den Aufsichtsbehörden: „Wenn es wirklich Sicherheitsbedenken gegen das generische Arzneimittel gäbe, wäre es Aufgabe der Aufsichtsbehörden, zu intervenieren und das betroffene Arzneimittel vom Markt zu nehmen“, so die AOK.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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4 Kommentare

Fachinfo

von Dr Schweikert-Wehner am 28.08.2017 um 18:42 Uhr

Ich Dummerchen. Hätten die ja auch mal bei Inhaltsstoffe aufführen können. Bei Baxter fehlt der Hinweis aber doch. Also kein Schutz vor HF-Bildung?

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H2O

von Dr Schweikert-Wehner am 26.08.2017 um 19:26 Uhr

In beiden Fachinfos findet sich kein Hinweis auf Wasser als Zusatz. Haben die Zulassungsbehörden nicht aufgepasst?

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AW: H2O

von Marco Piroth am 28.08.2017 um 13:59 Uhr

Die Behörden haben durchaus aufgepasst, Sie hingegen wohl nicht richtig.

In der Fachinfo von Abbvie finden sich hinter Punkt 11, "Verkaufsabgrenzung", noch Informationen zu den Eigenschaften. Hier steht:

"Zum Schutz vor umgebenden LewisSäuren
werden Sevorane® 300 bis
1000 ppm Wasser als Stabilisator zugesetzt." (Fachinfo Sevorane, Stand: Mai 2014)

Muskelrelxans

von Dr Schweikert-Wehner am 25.08.2017 um 18:10 Uhr

Seltsam: Ich habe gelernt, dass das Muskelrelaxans die Intubation erfordert, da der Patient nicht mehr selbständig atmen kann, nicht umgekehrt.

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